Die Weisstanne (Abies alba) hat eine lange Tradition im Schweizer Waldbau. Als Schattenbaumart, die sich – allerdings nur bei akzeptablem Verbissdruck – leicht unter Schirm verjüngt, nimmt sie im Plenterwald eine herausragende Stellung ein. Sie wird dort mit Fichte und etwas Buche kombiniert. Daneben findet sie auch Verwendung im gleichförmigen Hochwald. Die Tanne ist weniger störungsanfällig als die Fichte, was biotische Gefährdungen betrifft, und besitzt einen hohen Massenzuwachs. Diese Vorzüge machen sie sowohl im Produktions- wie auch im Schutzwald zu einer wichtigen Baumart.
Verbreitung
Die Tanne ist in der Schweiz mit einem Anteil von rund 12% an der Gesamtstammzahl und 15% am Gesamtvorrat nach der Fichte und Buche die dritthäufigste Baumart. Sie kommt in allen biogeographischen Regionen vor, am häufigsten im westlichen Jura, dem zentralen Mittelland und in den Voralpen, selten hingegen in den kontinentalen Zentralalpen.
Die höchsten absoluten Stammzahlanteile der Tanne findet man zwischen 600 und 1200 m ü.M. Sie kommt aber in der topographisch sehr heterogenen Schweiz über einen weiten Klimagradienten vor. Auch wenn sie nie die obere Waldgrenze bildet, gedeiht die Tanne bis auf rund 1800 m ü.M. Sie wächst oft in luftfeuchten Lagen und auf gut mit Wasser versorgten Böden, kommt vereinzelt aber auch in Regionen mit wenig Niederschlag vor (z.B. im Wallis).
Die 90 Tannenstandorte, die in einem kürzlich durchgeführten Herkunftsversuch verwendet wurden, unterschieden sich um bis zu 7 °C mittlere Jahrestemperatur und 1200 mm Jahresniederschlag. Das Fehlen der Tanne in manchen Regionen der Zentralalpen ist nach heutigem Stand der Forschung neben klimatischen Faktoren auch auf menschliches Einwirken zurückzuführen.
Genetische Vielfalt
Genetische Vielfalt ist eine grundlegende Voraussetzung dafür, dass Populationen auf Änderungen der Umwelt reagieren und sich evolutiv an neue Bedingungen anpassen können. Eine möglichst grosse genetische Vielfalt gilt als die beste Garantie, dass sich Baumbestände längerfristig an das erwartete wärmere und trockenere Klima der Zukunft anpassen können. Wie die meisten Baumarten weist die Tanne den grössten Anteil ihrer genetischen Vielfalt innerhalb der Populationen auf. Die Unterschiede zwischen Populationen sind deutlich geringer.
Eine quantitativ-genetische Studie mit Sämlingen von 90 Schweizer Tannenpopulationen aus unterschiedlichen Regionen und Höhenlagen bestätigte dies. Die Resultate zeigten durchaus auch Populationsunterschiede für die Tanne, insbesondere in deren Höhenwachstum. Diese Unterschiede zwischen Populationen waren jedoch viel geringer als bei der Fichte. Schweizer Tannenpopulationen sind sich genetisch also ähnlich, weisen aber eine hohe genetische Vielfalt innerhalb der Populationen auf.
Die Tanne in der Zukunft
Wird die Tanne zu einer Gewinnerin im Klimawandel? Die folgenden drei Punkte lassen vermuten, dass die Baumart tatsächlich Potenzial dazu hat.
1) Die Tanne besitzt ein geringes Risiko für ungenügende Anpassung an den Klimawandel.
Im Vergleich zur Fichte und Buche ist die Tanne in der Schweiz wenig differenziert in Sämlingsmerkmalen (Wachstum und Phänologie), obwohl sie in ganz unterschiedlichem Klima gedeiht. Die Populationsunterschiede waren zudem nur schwach mit dem lokalen Klima der Herkünfte korreliert.
Diese beiden Befunde deuten auf einen geringen Grad an lokaler Angepasstheit hin, d.h. die Tanne kann als "adaptiver Generalist" bezeichnet werden, im Gegensatz zum "adaptiven Spezialisten" Fichte. Dass die Tanne trotzdem mit unterschiedlichen Klimabedingungen zurechtkommt, könnte mit einer hohen phänotypischen Plastizität erklärt werden, d.h. der Fähigkeit jedes Individuums, mit seinem Phänotyp auf Änderungen in der lokalen Umwelt zu reagieren (z.B. mit variablem Spross/Wurzel-Verhältnis oder physiologischen Anpassungen). Hierzu gibt es allerdings bislang noch keine Forschungsergebnisse für die Tanne.
Unter sich ändernden Klimabedingungen hat die Tanne als adaptiver Generalist den Vorteil, dass sie ein geringes Risiko für ungenügende Anpassung besitzt. Somit könnte die Tanne im Vergleich zur Fichte und Buche vom Klimawandel weniger stark betroffen sein.
2) Die Tanne besitzt möglicherweise eine höhere Trockenheitstoleranz als andere Baumarten.
Eine Untersuchung des Einflusses von Trockenperioden auf den Grundflächenzuwachs in Schweizer Ertragskundeflächen im Zeitraum 1900 bis 2007 ergab, dass der Grundflächenzuwachs der Tanne durch Wassermangel weniger limitiert wurde als derjenige der Fichte und Buche. Auch eine Jahrringanalyse zum Einfluss von Trockenperioden auf den Zuwachs von Tanne, Fichte und Buche in Süddeutschland und Österreich zeigte für die Tanne weitaus geringere Zuwachseinbrüche als für die Fichte, sowie eine raschere Erholung nach der Trockenheit.
Die Tanne scheint also im Klimawandel gegenüber anderen Baumarten einen Vorteil zu besitzen. Verschiedene Tannenherkünfte unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Trockenheitstoleranz allerdings kaum. In einem Experiment mit Topfpflanzen und Triebstücken reagierten vier Tannenherkünfte von Standorten in den Alpen mit sehr unterschiedlichem Klima gleichermassen auf den Trockenstress, d.h. sogenannte "Trockentannen" gibt es zumindest bei Jungpflanzen vermutlich nicht.
3) Das potenzielle Areal der Tanne ist wahrscheinlich grösser als ihr heutiges Vorkommen.
Aus der Paläoökologie wissen wir, dass die Tanne vor Beginn der Landnutzung durch neolithische Bauernkulturen vor ca. 8000 bis 6000 Jahren deutlich weiter verbreitet war als heute. Es gab damals Weisstannen-Mischwälder in der Südschweiz und Italien, die z.T. bis ans Mittelmeer reichten – bei ähnlichem Jahresniederschlag wie heute (>700–800 mm) und Temperaturen, die rund 5 bis 8 Grad über dem aktuellen (1961–1990) Temperaturlimit der Tanne lagen.
Der Rückgang der Tanne kann durch das Einwirken des Menschen erklärt werden, der durch Rodung, Feuer und Beweidung die Tanne zurückdrängte. Für die Zukunft zeigen dynamische Vegetationsmodelle für die Tanne in der Schweiz bis zum Jahr 2300 eine Zunahme in der Biomasse nördlich und südlich der Alpen. Auch Simulationen der Standortsveränderung legen nahe, dass in Zukunft weite Teile des heutigen hochmontanen Fichtengürtels in den Alpen für die Tanne geeignet sein werden. Das Areal der Tanne könnte sich also in Zukunft ausdehnen, solange die Niederschläge – insbesondere im Sommer – nicht zu stark zurückgehen und Waldbrände wie auch Wildverbiss der Tanne nicht zu sehr zusetzen.
Risiken
Aller Potenziale zum Trotz sind gewisse Risiken oder Unsicherheiten im Waldbau mit der Tanne im Klimawandel zu beachten. Die hohe Empfindlichkeit der Baumart auf Wildverbiss ist dabei in der Schweiz das grösste Problem, weil dadurch die Naturverjüngung oft verhindert wird. Grossflächige Störungen wie Waldbrände, die mit dem Klimawandel vermehrt auftreten dürften, könnten der Tanne zusetzen und andere Baumarten bevorteilen.
Baumartenverbreitungsmodelle legen nahe, dass in Zukunft der Konkurrenzdruck durch Laubbäume zunehmen könnte. Zudem ist unsicher, ob die Tanne nicht in extremen Trockenperioden (wie 1947–1949) durch Borkenkäfer gefährdet ist. Hierzu ist im Gegensatz zum Buchdrucker-Fichten-System noch wenig bekannt. Schliesslich ist unklar, ob sich ein "Tannensterben" – wie in den 1970er bis 1980er-Jahren des 20. Jahrhunderts beobachtet – in Zukunft wiederholen könnte.
Fazit
Die Tanne besitzt grosses Potenzial im Klimawandel. Als adaptiver Generalist mit hoher Trockenheitstoleranz und einem vermutlich grösseren potenziellen Verbreitungsgebiet als heute könnte die Baumart im Klimawandel zu den Gewinnern gehören. Ob sich in der Schweiz das Potenzial der Tanne realisieren lässt, ist aber angesichts des starken Wildeinflusses fraglich. Zudem zeigten sich bei Tannen in der Vergangenheit periodisch Vitalitätsprobleme. Solche Risiken kann man in Mischbeständen gering halten, wofür sich die Tanne als ausgeprägte Mischbaumart, die sich mit vielen anderen Baumarten verträgt, bestens eignet.
(TR)