Die Weißtanne (Abies alba) ist eine heimische Nadelbaumart mit vielerlei waldbaulichen Vorteilen. So ist sie beispielsweise schattenfest und kann dadurch lange im Dunkelstand verharren. Sie ist beim Aufbau wüchsiger, vorrats- und ertragsreicher, vielschichtiger Dauerwälder, die eine hohe Kohlenstoffspeicherfähigkeit besitzen, ein wichtiges Element. Aufgrund ihres intensiven Wurzelwerkes hat die Tanne auf vielen Standorten eine stabilisierende Funktion. Trotz dieser Vorteile beträgt die Weißtannenfläche in Bayern aktuell nur 49.000 Hektar, also rund 2 Prozent der Waldfläche Bayerns. Gründe dafür werden nun angeführt.
Die nacheiszeitliche Rückwanderung der Tanne ist noch nicht abgeschlossen
Das Areal der Weißtanne ist auffälliger Weise nach Norden hin begrenzt (Abb. 1). Deshalb geht man davon aus, dass die nacheiszeitliche Rückwanderung der Weißtanne zum Erliegen gekommen ist und sich kaum noch fortsetzt. Allerdings stimmt der Haltepunkt der Rückwanderung mit Naturraumgrenzen überein. Dies kann einerseits klimatische Ursachen haben. Andererseits kann auch ein Grund sein, dass die Waldflächen der Hügelländer und Ebenen in Mitteleuropa bereits nutzungsgeprägt und fragmentiert waren, als die Tanne dort ankam.
Die Weißtanne ist besonders empfindlich gegenüber Schwefeldioxid-Immissionen
Die Empfindlichkeit der Weißtanne gegenüber Schwefeldioxid-Immissionen ist unbestritten. Die jahrzehntelange Belastung mit Luftschadstoffen bis in die 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts dürfte die Seltenheit der Tanne mit verursacht haben. Vielerorts ist nach dem Rückgang der Emissionen eine Abnahme der Schäden und eine Revitalisierung der Bäume zu beobachten.
Die Weißtanne verträgt keine Kahlschlagwirtschaft mit kurzen Umtrieben
Die Weißtanne ist an dauerwaldartige Waldbehandlungsformen gebunden. Der vor allem früher verbreitete Kahlschlag oder Saumbetrieb verhinderte die artgerechte Verjüngung der Tanne und führte mit zu dem starken Rückgang der Tanne. Wildverbiss durch überhöhte Schalenwildbestände verstärkte diesen Rückgang maßgeblich.
Die Weißtanne stellt als mitteleuropäische Gebirgsbaumart besondere Ansprüche an das Klima
Die Areale und Anbaugebiete der Waldbäume sind sehr stark klimatisch bedingt. Der Aspekt der klimatischen Limitierung des Tannenvorkommens soll im Folgenden näher beleuchtet werden.
Basis Verbreitungskarte – Entwicklung Schwellenmodell
Ein Vergleich der Klimahüllen zeigt, dass die Tanne eine charakteristische Position zwischen der Fichte und der Rotbuche einnimmt (Abb. 2). Die drei Baumarten mischen sich in einem bestimmten Temperatur- und Niederschlagsbereich und bauen natürlicherweise strukturreiche Bergmischwälder auf. Hin zu wärmeren Temperaturen verschwindet zunächst die Fichte, dann die Weißtanne und zuletzt bleibt die Rotbuche übrig.
Ausgehend von den Klimahüllen wurden Artverbreitungsmodelle entwickelt, die die Übertragung der Schwellenwerte auf die Fläche erlauben. Bei der Modellbildung wurden reale und potentielle Tannenvorkommen (Abb. 3) verwendet. Diese Vorkommen werden mit Klimadaten verbunden. Dadurch entsteht eine Risikomatrix (Abb. 4), die die Verteilung der europäischen Weißtannen widerspiegelt.
Weder potentielle noch aktuelle Vorkommen sind unter sehr kühlen und sehr hohen Temperaturen verbreitet. Auch eine zurückgehende Niederschlagssumme beeinflusst die Vorkommen. Der so ermittelten Anzahl der Vorkommen kann ein abgestuftes Anabaurisiko zugeordnet werden. Im optimalen mittleren Temperaturbereich ist das Anabaurisiko für die Weißtanne sehr gering (blau), zu den Rändern hin steigt es (orange). Diese Risikomatrix kann man problemlos regionalisieren (Abb. 5). Dabei zeigt sich das erhöhte Risiko des Tannenanbaus in den warm-trockenen Beckenlagen und Flusstälern. Diese Risikomatrix lässt sich auch auf ein mögliches Klima der Periode 2071 bis 2100 anwenden (Abb. 6).
Die daraus entstehende Karte offenbart eine Zunahme des Anbaurisikos in vielen Regionen Bayerns. Die Gebiete mit sehr geringem Anbaurisiko (blau) schrumpfen auf die ausgeprägten Gebirgslagen zusammen. Neben den Karten für die Weißtanne gibt es auch welche für Fichte, Rotbuche, Eiche (Trauben- und Stieleiche), Bergahorn, Europäische Lärche, Waldkiefer und Douglasie.
Abb. 5: Regionalisierung der Risikomatrix der Weißtanne mit den Klimawerten der Periode 1971-2000.
Abb. 6: Regionalisierung der Risikomatrix der Weißtanne mit den Klimawerten der Periode 2071-2100 (Regionales Klimamodell WETTREG, Szenario B1).
Wo bleibt der Boden?
In diesen provisorischen Klima-Risikokarten werden leidglich Klimawerte verwendet. Das ist darin begründet, dass klimatische Größen und insbesondere die Temperatur die wichtigste Steuergröße für die Verbreitung der Arten sind. Erst auf der lokalen Ebene kommen weitere Steuergrößen hinzu.
In niederschlagsarmen und warmen Regionen kann die Sonneneinstrahlung die Bäume zusätzlich belasten. Umgekehrt profitieren sie in Regionen mit Wärmemangel von zusätzlicher Strahlungsenergie, z.B. an Südhängen. In Gebieten mit knappen Niederschlägen kann ein tiefgründiger Boden über Durststrecken hinweghelfen. Dies gilt insbesondere für die Tanne mit ihrem tiefreichenden Wurzelwerk. Weder der Faktor Strahlung noch der Boden kann allerdings eine regionale Klimaungunst komplett aufheben. Lediglich in der Übergangszone der klimaökologischen Randbereiche haben solche Faktoren einen Einfluss. Daher sollten bei der Anwendung der Klima-Risikokarten in der Praxis speziell lin klimaökologischen Randbereichen einer Baumart Lage- und Bodenparameter besonders berücksichtigt werden. Dort spielen auch eine geeignete waldbauliche Behandlung und eine konsequente Wildbestandsregulierung eine Rolle. Gerade Populationen in diesen Randbereichen befinden sich in evolutiver Anpassung und können somit ein wertvolles Genpotential für die Anpassung der Wälder darstellen.
Ein ausreichender Wasserhaushalt ist für die Weißtanne wichtiger als eine gute Nährstoffversorgung. Tannen wachsen sowohl auf karbonatreichen als auch auf silikatischen, basenarmen Standorten. Sie gedeihen auch auf luftarmen, vergleyten Böden und können schwere tonige Substrate mit ihrem Wurzeln durchdringen. Selbst auf staunassen Böden dringen Tannenwurzeln bis in eine Tiefe von 1,6 Metern und damit weiter als viele andere Baumarten vor.
Bäume für die Zukunft
Die Beziehung zwischen dem Vorkommen der Arten und den herrschenden Standortsbedingungen sollen noch präziser und transparenter erfasst werden. Die zugrunde gelegten Artverbreitungsmodelle beziehen zahlreiche Standortsfaktoren gleichzeitig ein und beschreiben das Potential für den Tannenanbau. Das Ergebnis sind Vorhersagemodelle, die für die Gegenwart (Abb. 7) und die Zukunft (Abb. 8) unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten des Vorkommens der Weißtanne ergeben. In der Gegenwart ist es fast auf der ganzen Landesfläche möglich Weißtannen erfolgreich anzubauen. In der Zukunft verringern sich diese Regionen ganz beträchtlich. Lediglich in vereinzelten Punkten im Gebirge verbessert sich die Lage.
Als Ergebnis entstehen Karten, die Provisorien (Abb. 5 und 6) zwar auf den ersten Blick sehr ähnlich, aber höher aufgelöst sind und neben dem Klima auch weitere Standortsfaktoren berücksichtigen.
Heilsbringer Weißtanne?
Bei der Baumartenwahl gibt es keine Patentlösung. Unter bestimmten, gut definierten Standortsbedingungen ist die Weißtanne eine hochvitale und sehr leistungsfähige Baumart. Das "Tannenparadies" ist der mitteleuropäische Gebirgsraum mit seinem mäßig kühlen und mäßig feuchten Klima. Außerhalb ihres eng begrenzten Areals hat die Weißtanne dort Anbaupotentiale, wo die klimatischen Bedingungen nicht zu sehr von den im Areal herrschenden abweichen. Die verschiedenen als "Trockentannen" bekannten Vorkommen entpuppen sich bei näherer Betrachtung stets als solche, die zwar unter geringeren Jahresniederschlagssummen, aber bei nicht zu warmen Temperaturen (unter 9,5 °C) gedeihen. Die Wärme- und Trockentoleranz der Weißtanne sollte nicht über Gebühr beansprucht werden.
Alternative Küstentanne?
Die Heimat der Küstentanne (Abies grandis) liegt im pazifischen Westen Nordamerikas (Abb. 9). Ihr Areal ist zweigeteilt. Das Klima im Küstenareal ähnelt in gewisser Weise dem Klima bei uns, das Inlandsareal hat dagegen ein völlig anderes Klima (Abb. 10). Daher werden für den Anbau in Bayern nur die Küstenherkünfte verwendet.
Im küstennahen Teilareal herrschen im Vergleich zum Klima Deutschlands kühlere Sommer und wärmere Winter. Mögliche Anbaugebiete der Küstentanne liegen bei dem gegenwärtigen Klima in den (sub-)atlantisch geprägten Regionen Bayerns (Abb. 11). Im Klimawandel verlagern sich diese Gebiete in die höheren Mittelgebirge und in die Alpen (Abb. 12).
Aufgrund der relativ engen Temperaturspektren der Küstentanne existieren kaum Gebiete, die sich sowohl gegenwärtig als auch künftig für den Anbau eignen. Wo man auch erwägt, die Küstentanne in Bayern anzubauen, das Risiko wird entweder gegenwärtig oder in der Zukunft hoch sein.