Neben mangelhafter Verjüngung gibt es noch andere Faktoren, die zum Rückgang von Eibenpopulationen (Taxus baccata L.) in der Schweiz beitragen können – zum Beispiel die genetische Vielfalt. Wissenschafter der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL untersuchten den Einfluss der beiden Merkmale "Populationsgrösse" und "Populationsverteilung" auf die genetische Vielfalt der Eibe. Bei dieser zweihäusigen Baumart gilt es auch das Verhältnis von weiblichen und männlichen Individuen zu beachten.

Die Forscher untersuchten 14 Eibenpopulationen in der Nordschweiz und im Wallis (vgl. Tab. 1 und Abb. 3). In den meisten dieser Populationen ist das Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Individuen erstaunlicherweise nicht ausgeglichen: Es gibt mehr Weibchen als Männchen. Vergleicht man zusätzlich die Anzahl Eiben einer Population mit dem Geschlechterverhältnis, so zeigt sich, dass der Anteil weiblicher Bäume in kleinen Populationen (unter 150 Individuen) im Durchschnitt bei 62 Prozent und in grossen Populationen (über 200 Individuen) bei 53 Prozent liegt. In kleinen Eibenpopulationen sind die Weibchen also deutlich in der Überzahl. Dieser Unterschied kommt unerwartet, ist aber statistisch signifikant.

Kurz vorgestellt

Im Projekt "Förderung seltener Baumarten (SEBA)" bestimmten Wissenschafter der ETH Zürich die Verbreitung und Gefährdung für zehn seltene oder relativ seltene Baumarten und erarbeiteten mögliche Förderungsmassnahmen. Im Rahmen des ähnlichen Projektes "Erhaltung und Nutzung genetischer Ressourcen im Wald" entwickeln Mitarbeiter der WSL Grundlagen und Umsetzungsstrategien für verschiedene Baumarten.

Die Eibe gilt als im Alter schattenertragende, konkurrenzschwache und standortvariable Baumart. In der Schweiz kommt sie hauptsächlich am Jurasüdfuss, im östlichen Mittelland und in den Voralpen in grösseren und kleineren Populationen vor. Räumlich stärker abgetrennte Eibenbestände finden sich im Wallis, im Tessin und in Graubünden. Die Eibe scheint aufgrund ihrer Verbreitung und Häufigkeit nicht gefährdet zu sein. Als besonderer Problemfaktor gilt hingegen die seit einigen Jahrzehnten ungenügende Verjüngung, wofür möglicherweise die hohe Schalenwilddichte in der Schweiz verantwortlich ist. Langfristig kann der fehlende Nachwuchs die Eibe in der Schweiz gefährden. Daneben könnte die Eibe aber auch durch genetische Faktoren bedroht sein, welche von der Populationsgrösse und der Populationsverteilung im Raum abhängen. Um Grundlagen für Erhaltungsstrategien zu liefern, haben Wissenschafter der Forschungsanstalt WSL die genetische Struktur der Eibe in vier Regionen der Schweiz untersucht:

  • Jurasüdfuss
  • Albiskette
  • Hörnli-Bodensee-Region
  • Ober-Wallis

Tab. 1 - Lokalität, Populationsgrösse und Geschlechterverhältnis der 15 untersuchten Populationen der Eibe in der Schweiz und des im Kasten 2 erwähnten Eibenbestandes (NSK). Population «Waldjini Talwald» wurde mit nur vier erfassbaren Individuen von der molekular genetischen Untersuchung und der Bestimmung des Geschlechterverhältnisses ausgeschlossen. G bedeutet grosse Population (mehr als 200 Individuen); K bedeutet kleine Population (weniger als 150 Individuen).

Genetische Drift in kleinen Populationen?

Extreme Ereignisse wie Feuer, Lawinen oder Hangrutschungen verändern die Häufigkeit verschiedener "genetischer Typen" in einer Population. Genetische Typen können ganz oder teilweise verloren gehen. Dieser Prozess, der genetische Drift genannt wird, verringert die Vielfalt im Bestand, vor allem in kleinen Populationen. Durch den Rückgang an genetischer Vielfalt erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich innerhalb der wenigen verbleibenden Individuen nah verwandte Bäume paaren. Dies kann zu Inzuchterscheinungen führen.

Die Wissenschafter haben die genetische Vielfalt in den oben erwähnten Eibenbeständen anhand einer modernen molekular-genetischen Methode erfasst und dadurch genetische Drift nachzuweisen versucht. Die Ergebnisse zeigen, dass in kleinen Eibenpopulationen tatsächlich Hinweise für genetische Drift gegeben sind, während in grossen Populationen wie erwartet keine erkennbaren Spuren von Drift auftreten. Ausserdem ist die genetische Vielfalt in kleinen Populationen geringer als in den grossen.

Diese Verringerung der genetischen Vielfalt lässt aufhorchen. Sie erstaunt umso mehr, als die Eibe in der Schweiz noch relativ weit verbreitet ist und viele, wenn auch häufig nur kleine Vorkommen besitzt. Wie tief ist wohl die genetische Vielfalt in den räumlich zerstreuten, oft sehr kleinen Eibenpopulationen in anderen europäischen Ländern? Mit genetischer Drift lässt sich auch das oben erwähnte unausgeglichene Geschlechterverhältnis in den kleinen Populationen erklären. Die Frage, weshalb aber stets mehr Weibchen als Männchen auftreten, können nur zusätzliche Studien beantworten.

Sind die Eibenpopulationen der Schweiz untereinander vernetzt?

Aus den Erhebungen des Projektes SEBA leiten die Forscher ab, dass die Eibenpopulationen in den Voralpen, im östlichen Mittelland und am Jurasüdfuss stärker untereinander verbunden sind als diejenigen, die räumlich abgetrennt sind. Auch diese Vermutung lässt sich mit genetischen Methoden überprüfen. Tatsächlich belegt die Untersuchung, dass sich Eiben der drei Nordschweizer Regionen im Durchschnitt genetisch nur wenig voneinander unterscheiden. Diese Regionen waren also während der letzten Baumgenerationen nicht oder kaum voneinander isoliert. Allerdings zeigt sich hier der Einfluss der Bestandesgrösse: Kleine Bestände scheinen weniger vernetzt zu sein als grosse.

Wie verhält sich nun eine kleine, geographisch stärker abgegrenzte Population wie diejenige im Walliser Blindtal (Wk2)? Die genetische Vielfalt dieser Population unterscheidet sich deutlich von den Nordschweizer Eibenbeständen und auch von den anderen Walliser Populationen. Das bedeutet, dass zwischen den untersuchten Walliser Eibenbeständen kaum genetischer Austausch besteht. Die kleine Walliser Population im Blindtal ist also isoliert. Hingegen unterscheidet sich die grosse Walliser Population (Wg1) genetisch nicht auffällig von den Nordschweizer Eiben.

Massnahmen zur Erhaltung der Eibe

Weil in kleinen Populationen genetische Drift wahrscheinlich und die genetische Vielfalt geringer ist, sollte man gerade in diesen Beständen Massnahmen ergreifen, um die Eiben langfristig zu erhalten. Wenn Alteiben gezielt und schrittweise freigestellt werden (Abb. 4), zeigen sie erhöhten Zuwachs und reproduzieren stärker. Die höhere Pollenproduktion vermag den Genaustausch zwischen Populationen zu unterstützen. Auf diese Weise können auch kleine Eibenbestände einen Beitrag zur genetischen Vernetzung von Populationen leisten (Trittsteine).

Höhere Pollenproduktion kann auch zu höherem Fruchtansatz führen. Das bedeutet, dass sich durch gezielte Freistellung von Eiben längerfristig die Anzahl Individuen erhöhen und dadurch wohl ein ausgeglicheneres Geschlechterverhältnis erzielen lässt. Dies verbessert die Paarungsbedingungen und trägt zur Erhaltung der lokalen genetischen Vielfalt bei.

Um einen ausreichenden Eibennachwuchs zu garantieren, ist momentan der Einzelschutz vielerorts die einzige erfolgversprechende Massnahme. Denn junge Eibentriebe stehen in der Gunst des Schalenwilds ganz oben. Einzelschutz kann zur ausreichenden Verjüngung der Eibe in unseren Wäldern beitragen, und damit lässt sich auch die genetische Vielfalt und die Vernetzung von Populationen fördern.

(TR)