Das Schweizerische Landesforstinventar (LFI) liefert statistisch gesicherte Aussagen über Zustand und Entwicklung des Schweizer Waldes in den fünf Regionen Jura, Mittelland, Voralpen, Alpen und Alpensüdseite. Es wurde als Stichprobeninventur mit permanenten Probeflächen in einem quadratischen Gitternetz konzipiert. Mit dem ersten LFI (1983-1985) wurden insgesamt 128'450 Probebäume ab 12 cm BHD erfasst. Rund 55'000 davon waren Fichten, aber nur 145 Eiben. Die dickste Eibe hatte einen BHD von 54 cm, die höchste erreichte 19 m.
Das LFI ist zwar nicht dazu geschaffen, relativ seltene Arten wie die Eibe kleinräumig zu erfassen. Für die gesamte Schweiz sind jedoch quantitative Angaben wie Stammzahl und deren Veränderung statistisch aussagekräftig und von einer Qualität, die sich mit Umfragen nicht erreichen lässt.
Geografische und standörtliche Verbreitung
Die Schweiz liegt mitten im europäischen Hauptareal der Eibe (Taxus baccata). Die bedeutendsten Verbreitungsgebiete liegen im östlichen Mittelland, im Jura, in den Randalpen zwischen Boden- und Thunersee und im unteren Rhonetal. Anhäufungen von LFI-Probeflächen mit Eibenvorkommen (Abb. 2, schwarze Punkte) sind Indikatoren für eigentliche Verbreitungsschwerpunkte. So wird mit dem LFI1 die grösste Eibendichte in der Ostschweiz in der weiteren Umgebung des Hörnlimassivs belegt.
Abb. 2 - Vorkommen der Eibe in der Schweiz nach Verbreitungsatlas und LFI.
Inneralpin und auf der Alpensüdseite tritt die Eibe dagegen nur vereinzelt auf. Die im Jahr 1970 kartierten reichen Vorkommen in den Regionen Sargans, Prättigau und Bündner Rheintal werden mit dem LFI1 nicht bestätigt. Anhand der Daten aus den Folgeinventuren LFI2 (1993-1995) und LFI3 (2004-2007) sind keine Migrationen oder Veränderungen des Hauptverbreitungsgebietes nachweisbar.
Bedingt durch ihre Winterfrostempfindlichkeit kommt die Eibe nach LFI fast nur in den kollinen/submontanen (48%) und unteren montanen (44%) Höhenstufen vor. Mehr als die Hälfte der Eiben wachsen zwischen 600 und 800 m ü. M. (Abb. 3). Der Zentralwert liegt bei 720 m ü. M., nur wenig unterhalb jenem der Buche. In der Schweiz steigt die Eibe bis auf 1400 m, im LFI liegt die höchste Fläche mit Eiben im Glarnerland auf 1250 m. Die typische Nebenbaumart gedeiht in der Schweiz zu 60% in reinen und gemischten Laubholzbeständen. Dabei sind die drei häufigsten vorherrschenden Baumarten folgende: Buche 34%, Fichte 18% und Tanne 16%.
Abb. 3 - Stammzahlverteilung der Eibe nach Höhenlage im ersten LFI.
Die heutigen Eibenvorkommen sind auf Standorte, auf denen die Buche weniger konkurrenzfähig ist (trocken oder feucht) und auf optimale Eibenstandorte in luftfeuchten Hanglagen mit Seitenlicht beschränkt. Entsprechend häufig wurde die Eibe im LFI auf Steilhängen und in Kretenlagen gefunden. Am häufigsten erscheint sie in Nordost- bis Südostexpositionen mit 30 bis 40 Grad Geländeneigung. Kennzeichnend für die Eibe ist auch ihre Vorliebe für basischen Untergrund: Drei Viertel aller Individuen stehen auf Böden mit pH-Werten über 6,2.
Abb. 4 - Bedingt durch ihre Frostempfindlichkeit kommt die Eibe nur selten über 1000m vor. Foto: Thomas Reich (WSL)
Häufigkeit, Holzvorrat und Nutzung
Gemäss LFI3 stehen im Schweizer Wald 1,17 Mio. (+/- 20%) Eiben mit einem Brusthöhen-Durchmesser (BHD) von 12 cm und mehr (Tab. 1). Damit nimmt die Eibe unter den heimischen Waldbaumarten vor dem Feldahorn Rang 30 ein und ist annähernd so häufig wie Spitzahorn, Zitterpappel oder Sommerlinde. Rund 2 von 1000 Waldbäumen sind Eiben, in den Regionen Mittelland und Jura sind es gar 4 beziehungsweise 5 von 1000. Am höchsten ist die Dichte im Kanton Zürich, wo fast jeder hundertste Waldbaum eine Eibe ist.
Wenn auch die meisten Bäume für Eibenverhältnisse noch jung sind, so ist doch die Schweizer Eibenpopulation im europäischen Vergleich gross. Der Schweizer Eibenpopulation kommt für die Erhaltung der Art in West- und Mitteleuropa wohl eine besondere Bedeutung zu. Ähnlich grosse Stammzahlen sind nur für den Kaukasus belegt. Das mag auch daran liegen, dass der spätmittelalterliche Eibenraubbau im Gebiet der heutigen Schweiz vermutlich weniger ausgeprägt war als in Deutschland und Österreich. Jedenfalls quert keine der Eibentransportrouten des 16. Jahrhunderts die Schweiz, wenn auch Eibenholz seit dem 15. Jahrhundert aus dem Albisgebiet nach England exportiert wurde.
Innerhalb von rund 20 Jahren hat die Stammzahl der Eiben über 12cm BHD von 0.74 auf 1.17 Mio. Stück zugenommen. Am deutlichsten zeigt sich die Zunahme im Jura und in den Voralpen der Westschweiz, sowie im östlichen Mittelland. Noch stärker hat der Holzvorrat der Eibe zugenommen: Von 100’000 m3 (1983/85) auf 139’000 m3 (1993/95) bis heute 354’000 m3 hat sich das Schaftholz in Rinde mehr als verdreifacht, obschon Eiben nicht selten genutzt werden.
Mengenangaben zu Zuwachs und Nutzung in Festmetern sind für die Eibe mit dem LFI bedingt durch die sehr grossen Schätzfehler nicht sinnvoll. Doch lässt sich anhand der Probebäume zeigen, wie klein der Anteil der genutzten Bäume ab 12 cm BHD ist: auf den gemeinsamen Probeflächen der Inventuren LFI2 und LFI3 ist die Zahl der genutzten Eiben zehnmal kleiner als jene der eingewachsenen. Dies spricht für eine sehr moderate, verantwortungsvolle Nutzung.
Abb. 5 - Besonders häufig ist die Eibe im Kanton Zürich, wo fast jeder hundertste Waldbaum eine Eibe ist. Foto: Thomas Reich (WSL)
Bestandesentwicklung und Wildverbiss
Die starke Zunahme von Stammzahl und Vorrat der Eiben ab 12 cm BHD mag über die Tatsache hinweg täuschen, dass der Nachwuchs der Eibe auch in der Schweiz nicht gesichert ist. Erst Pflanzen ab 1,3 m Höhe (d.h. ab BHD 0,1 cm) sind in der Regel dem Gipfeltriebverbiss durch Rehwild entwachsen. Man spricht in diesem Fall von "gesichertem Nachwuchs" oder "gesicherter Verjüngung".
Betrachten wir die Eibenpopulation der Individuen ab BHD 0,1 cm, so hat sich die Gesamtzahl der Individuen in den letzten 20 Jahren mit einer geringfügigen Zunahme von 2,6 auf 2,7 Mio. Stück kaum verändert. Auffallend ist jedoch die Verlagerung in stärkere Durchmesser (Abb. 6): Es gibt deutlich mehr dickere Eiben. Rund 150'000 Individuen haben einem BHD von 24 cm und mehr. Dagegen sind Individuen der Durchmesserklasse 0-3 cm (BHD 0,1 bis 3,9 cm) abgenommen und sind mit 170'000 Stück (LFI3) massiv untervertreten. Die Eibenpopulation ist also lediglich dicker (älter) geworden und der Mangel an Eibennachwuchs hat sich tendenziell verschärft. Der heutige Bestand ist nicht nachhaltig aufgebaut.
Abb. 6 - Stammzahlverteilung der Eibe nach Durchmesserklassen, gesamte Schweiz.
Die Problematik der fehlenden Eibenverjüngung lässt sich anhand des ersten LFI von 1985 zeitlich recht gut einordnen. Die Stammzahlverteilung LFI1 zeigt ab BHD 8 cm einen Verlauf, wie er für normale Populationen üblich ist: eine exponentionelle Abnahme mit zunehmendem Durchmesser (Abb. 6). Die Klasse 4-7 cm entspricht dieser Funktion nicht mehr und ist "untervertreten".
Es stellt sich die Frage, wann dieser Einbruch statt gefunden haben könnte. Wann sind die im LFI1 noch gut vertretenen 8-11cm dicken Eiben entstanden? Anhand des Durchmesserzuwachses in der Periode LFI2-LFI3 (11 Jahre) haben wir ermittelt, dass die Schweizer Eiben je nach Durchmesser jährlich 1-2 mm Durchmesserzuwachs leisten. Unter der Annahme eines gleichmässigen Zuwachses von 1-2 mm pro Jahr hätten die Eiben der Klasse 8-11 cm etwa 40-110 Jahre vor dem LFI1 die Kluppschwelle 0 cm überschritten, also etwa zwischen 1875 und 1945. Nach diesem Zeitraum sind bedeutend weniger Eiben in die vor Wildverbiss gesicherte Verjüngung (über 1,3 m Höhe) eingewachsen.
Die Parallelen zur Entwicklung der Wildbestände sind offensichtlich. Um 1800 lagen die Schalenwildbestände in der Schweiz auf dem absoluten Tiefststand: Als Folge der politischen Umwälzungen im Nachgang zur französischen Revolution und bedingt durch die verbreitete Armut und Nahrungsknappheit der Bevölkerung waren vier von fünf frei lebenden Huftierarten praktisch ausgerottet. Mit dem ersten Bundesgesetz über Jagd- und Vogelschutz von 1875 wurde landesweit die Grundlage für eine geregelte Jagd und für die Hebung der Schalenwildbestände gelegt.
Seit 1900 zeigte sich dann ein Erholung und rasche Zunahme der Rehwildbestände. Bereits im LFI1 zeigten 40% der Eiben von 0,3-1,29 m Höhe aktuelle Verbissspuren durch Wild am Gipfeltrieb. Dieser Wildverbiss ist höher als bei jeder anderen Baumart und dreimal so hoch wie bei der ebenfalls gefährdeten Weisstanne und liegt weit über der tragbaren Belastung.
Die Eiben werden heute vielenorts, sobald sie der Deckung der Krautschicht entwachsen sind, vom Wild so stark angegangen werden, dass sie nur noch selten höher als 50 cm werden. Die grösste Herausforderung bei der Eibenförderung liegt also auch in der Schweiz im Schutz des Nachwuchses vor Wildschäden.
Abb. 7 - Kleine Eiben sind im Schweizer Wald stark untervertreten. Der Schutz des Nachwuchses vor Wildschäden ist eine grosse Herausforderung. Foto: Thomas Reich (WSL)
Nischen für die Eibenförderung
Obschon die Eibe in der Schweiz im europäischen Vergleich relativ häufig ist, erfordert der Mangel an Nachwuchs gezielte Förderungs- und Schutzmassnahmen, wo immer möglich und sinnvoll. Der grösste Erfolg dürfte dabei im natürlichen Hauptareal in den typischen Standortsnischen der Eibe zu erwarten sein. Basierend auf den Daten des LFI und weiteren Erhebungen haben wir eine erste provisorische Karte der potentiellen Eibenverbreitung in der Schweiz unter heutigen Konkurrenz- und Klimabedingungen modelliert (Kartenausschnitt Abb. 8).
Abb. 8 - Modelliertes Eibenvorkommen im Gebiet der Rigi: Zugersee (oben) und Vierwaldstättersee (unten). Die dunklen Flächen sind Wälder, in denen die Eibe mit hoher Wahrscheinlichkeit zu finden ist.
Die modellierte Verbreitung entspricht dabei der räumlichen Vorhersage der heutigen, realisierten Nische. Diese ist im Allgemeinen deutlich kleiner als die potentielle Nische, vor allem bei nicht-dominanten Arten. Für das Modell wurden Standortsdaten von 302 Eibenvorkommen verwendet. Die Berechnungen basieren auf der Methode der "Boosted Regression Trees".
Die Karte der berechneten Vorkommenswahrscheinlichkeit der Eibe zeigt praktisch für alle heutigen Vorkommen eine hohe, in einigen wenigen Fällen eine mittlere Wahrscheinlichkeit. Die modellierte Umweltnische deckt die heutigen Vorkommen also gut ab. Falls das definitive Modell für die Schweiz zum selben Verbreitungsmuster führt, schliessen wir, dass Massnahmen zu Förderung der Eibe in den Vor- und Randalpen der Zentral- und Ostschweiz am effektivsten sein könnten, weil dort am meisten Gebiete mit hohen Vorkommenswahrscheinlichkeiten prognostiziert werden.
Die Eibenfreunde...
...sind ein Zusammenschluss von eibenbegeisterten Mitteleuropäern. Sie haben sich 1994 gegründet. Damals war die Eibe zum Baum des Jahres gewählt worden. Seither führt die Gruppierung alljährlich eine internationale Tagung mit Fachexkursionen durch. Von den 300 Eibenfreunden aus 15 Ländern nehmen regelmässig drei bis vier Dutzend an diesem mehrtägigen Treffen teil.
(TR)