Ausrangierte Eisenbahnschwellen trifft man heute in der Schweiz fast überall an und gerät ob deren vielfältiger Verwendung leicht ins Staunen. Der folgende Artikel blickt zurück in die über 150-jährige Geschichte der Holzschwellen, die Mitte des 19. Jahrhunderts eine heftige Debatte unter Forstexperten auslöste.
Ursprünglich als neue Feindin des Waldes betrachtet, wandelte sich das Bild der Eisenbahnen mit zunehmenden Importen von Kohle, Eisen und anderen Substituten aber bald. Heute lassen sich die Holzschwellen als unentbehrliche Opfer ansehen, dank denen es erstmals in der Schweizer Geschichte gelungen ist, den Rückgang der Wälder zu stoppen und deren Zustand nachhaltig zu verbessern.
1846, zwei Jahre vor der Eröffnung der ersten eigentlichen Eisenbahnlinie in der Schweiz, hiess es in einem regierungsrätlichen Rechenschaftsbericht des Kantons Zürich:
"Die Eiche hat nun in der Eisenbahn einen neuen Feind gefunden und es kostet die Forstbehörden Mühe, nachtheiligen Verschwendungsgelüsten Einhalt zu thun."
Auch dreissig Jahre später wurden ähnliche Bedenken in einer deutschen Fachzeitschrift geäussert:
"Den wundesten Punkt bildet der immer riesiger werdende Bedarf an Eisenbahnschwellen. (..) Auf der ganzen Erde wächst nur ein Bruchtheil von dem Eichenholze hinzu, welches alljährlich unter unsere Schienen gebettet wird, um dort, trotz aller Präparirung, in wenigen Jahrzehnten zu verfaulen. Es ist nur zu gewiss, dass die zweite, höchstens dritte Generation, von uns an gerechnet, vor der Unmöglichkeit stehen wird, Bahnen mit Eichenschwellen zu bauen, und wenn man sie mit Gold aufwiegen wollte! Auch die Schwellen aus anderen Holzarten werden bei ihrer viel kürzeren Dauer immer theurer und seltener werden und zuletzt nicht mehr zu beschaffen sein."
Anfang des 20. Jahrhunderts hingegen präsentierte sich eine stark veränderte Situation. In der Schweizerischen Zeitschrift für Forstwesen erschienen bis in die 1930er-Jahre mehrere Artikel, die immer nachdrücklicher die Schweizerischen Bundesbahnen zu vermehrtem Einsatz einheimischer Holzschwellen aufforderten.
"Vermehrter Einkauf von einheimischen Holzschwellen, dafür Herabsetzung des Bezugs ausländischen Schwellenmaterials, stellt eine Massnahme dar, die im wohlverstandenen eigensten Interesse der Bahnen liegt. Die schweizerische Waldwirtschaft wird jedenfalls nicht ruhen, bis der Holzschwelle bei den Bundesbahnen derjenige Platz eingeräumt wird, der ihr gebührt."
Die Eisenbahn wurde nun gar als eigentliche "Retterin" des Waldes propagiert. So haben - gut hundert Jahre nach der regierungsrätlichen Einschätzung - im Urteil des Zürcher Forsthistorikers Heinrich Grossmann "(..) Bahnen den Schweizer Wald vor dem völligen Ruin gerettet und das Land weiterer Entwaldung mit all ihren verderblichen Folgen bewahrt." Was war also in der zweiten Jahrhunderthälfte geschehen, dass die Eisenbahn von der "neuen Feindin" zur eigentlichen "Retterin" des Waldes wurde?
Der "bedrohte" Wald
Als Mitte des 19. Jahrhunderts das Eisenbahnzeitalter in der Schweiz seinen späten Einzug hielt, galt der Zustand des einheimischen Waldes aufgrund jahrzehntelanger Rodungen als äusserst prekär. Die Waldfläche betrug 1851 noch rund 722'000 ha. Der Holzvorrat wurde von damaligen Fachleuten auf zirka 150 bis 225 m3/ha und der jährliche Zuwachs auf etwa 3,2 m3/ha geschätzt.
In den Augen der jungen Schweizer Forstwissenschaft vermochten die Bergwälder ihre Schutzfunktion nur noch ungenügend zu erfüllen. Namhafte Autoren wie der ETH-Professor Elias Landolt schlugen deshalb mit zahlreichen Schriften Alarm, verwiesen dabei auf die starke Zunahme von Überschwemmungen und rechneten vor, wann bei Fortsetzung der aktuellen Übernutzung in der Schweiz der letzte Baum gefällt würde. Der dem Bund vorgeschlagene Massnahmenkatalog zur Verbesserung des Waldzustandes stiess jedoch vorerst auf taube Ohren.
Zur gleichen Zeit hingegen nahm der Bau von Eisenbahnlinien einen ersten grossen Aufschwung. Zwischen 1854 und 1865 nahmen jährlich meist gleich mehrere Strecken den Betrieb auf. Auch in den darauf folgenden Jahren entwickelte sich das Schienennetz rasant weiter. Um 1914 war der Ausbau des Normal- und Schmalspurbahnnetzes bereits weitgehend abgeschlossen und erreichte mit einer Gesamtlänge von 5032 km eine im internationalen Vergleich einmalig hohe Dichte.
Das geplante Eisenbahnnetz stellte zu Baubeginn für die Forstexperten eine zusätzliche Bedrohung für den Wald dar, benötigte doch der Bau und Betrieb von Strecken in verschiedener Hinsicht grosse Mengen Holz. Neben Rodungen einzelner Waldstücke für eine sinnvolle Linienführung wurde vor allem Bauholz für den Geleiseoberbau und für die Gebäude benötigt. Hinzu kam, dass anfänglich auf einzelnen Strecken auch Lokomotiven mit Brennholz betrieben wurden.
Holzschwellen als "pièces de résistance"
Die Befürchtungen der Forstexperten über die negativen Auswirkungen der Eisenbahnen wurden in den entsprechenden Fachzeitschriften rege diskutiert. Anlass für besonders ausführliche Debatten boten dabei die Holzschwellen. Diese galten seit den 1830er-Jahren als optimale Lösung für die Schienenbefestigung. Der Bedarf an Holzschwellen war allerdings enorm. Im Schnitt wurden pro Kilometer rund 1700 Stück benötigt, die je nach Holzart und Imprägnierung nach wenigen Jahren bereits wieder ersetzt werden mussten.
Für die rund 0,095 m3 grossen Schwellen kam nur wetterbeständiges oder zumindest gut imprägnierbares Stammholz von einigen Baumarten in Frage. Wie aus der Abbildung 4 hervorgeht, waren das in der Schweiz anfänglich auch Weichhölzer wie Tanne, Lärche und Arve. Dem Einsatz von Buchenschwellen waren lange Zeit technische Grenzen bei der Imprägnierung gesetzt. Ohne Imprägnierung hielt eine Buchenschwelle knapp vier Jahre, und selbst mit den verschiedenen Imprägnierungsarten war die Lebensdauer kaum höher als bei Weichhölzern.
Abb. 4 - Holzschwellenarten des Schweizer Schienennetzes 1868 und 1914. Quelle: Eisenbahnstatistik 1868 und 1914
Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelang es, dank eines neuen Teerölverfahrens, die Lebensdauer von Buchenschwellen beträchtlich zu steigern. Das beste Schwellenholz lieferten jedoch die Eichen. Selbst ohne Imprägnierung hielten eichene Schwellen meist deutlich länger als die anderen Holzarten mit Imprägnierung. Die Eichenschwellen fanden denn auch eine entsprechend grosse Verbreitung.
Die ersten Schätzungen des Schwellenbedarfs durch Fachleute führten zu den eingangs zitierten Einschätzungen der Eisenbahn als Gefahr für den Bestand der Eichen und anderer Baumarten. Die damals bereits im Rückgang befindlichen Eichenwälder der Schweiz gingen wegen der grossen Nachfrage nach Eichenschwellen tatsächlich noch stärker zurück. Im Gegensatz zu den Weichhölzern mussten Eichenschwellen denn auch grösstenteils importiert werden. Die zeitgenössischen Befürchtungen für den Wald schienen sich bis Anfang der 1880er-Jahre zu bewahrheiten. Der Holzpreis stieg und die Anzahl verbauter Holzschwellen wuchs ziemlich genau wie von den Experten vorausgesagt.
Der Einsatz von Eisenschwellen brachte dann jedoch die unverhoffte Wende. Wie in Abbildung 5 ersichtlich wird, wurden zwischen 1882 und 1914 grosse Teile der damaligen Holzschwellen ersetzt. Die Schweiz besass unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg im internationalen Vergleich den höchsten Anteil an Eisenschwellen. Das Verhältnis zwischen ca. 37 % hölzernen und ca. 63 % eisernen Schwellen blieb bis 1945 konstant und veränderte sich erst wieder mit dem Aufkommen der Betonschwellen.
Abb. 5 - Schwellenarten des Schweizer Schienennetzes 1868-1914. Quelle: Eisenbahnstatistik 1868-1914
Die Anzahl effektiv verbauter Holzschwellen ist in Abbildung 6 dargestellt. Vorsichtig geschätzt dürften zum Zeitpunkt der grössten Ausdehnung des mit Holz unterlegten Schienennetzes (1882) 490'000 bis 640'000 m3 Schwellenholz benötigt worden sein. Dies entsprach zwischen 18 und 27 % eines nachhaltigen Gesamtjahresertrags der Schweiz um 1860. Der Aufbau des Streckennetzes bis zur grössten Verbreitung der Holzschwellen vollzog sich allerdings über 35 Jahre. Der Bedarf an Schwellenholz schlug sich deshalb relativ behutsam nieder und dürfte im jährlichen Mittel nur selten über einem Prozent des Gesamtjahresertrags gelegen haben. Hinzu kamen für die Erneuerung jährlich 10'000 bis 80'000 m3 Schwellenholz. Die Fortschritte in der Imprägnierungstechnik und das Ersetzen Hunderter von Schienenkilometern mit Eisenschwellen liessen den Bedarf für die Erneuerung nach 1882 ebenfalls stark zurückgehen.
Abb. 6 - Geschätzte Anzahl verbauter Holzschwellen in der Schweiz 1868-1914. Quelle: Schätzung aufgrund Eisenbahnstatistik 1868-1914
Der "gerettete" Wald
Zu der befürchteten Gefährdung des allgemeinen Waldbestandes durch Eisenbahnen kam es also nicht. Die Waldfläche der Schweiz nahm zwischen 1851 und 1914 sogar um rund 27% auf 917'000 ha zu. Auch sonst wurde die Forstwirtschaft im Allgemeinen stark entlastet, ersetzten doch nicht nur bei den Eisenbahnschwellen zahlreiche Substitute die hölzernen Bau-, Brenn- und Werkstoffe.
Besonders entscheidend wirkte sich der Import von Kohle aus. Wie Daniel Marek in seiner Dissertation aufzeigte, veränderte sich die Energiebasis der Schweiz zwischen 1851 und 1910 grundlegend. Abbildung 7 veranschaulicht den Wandel vom solaren zum fossilen Energiesystem. Der Brennholzanteil ging in dieser Zeit trotz Verfünffachung des Energiekonsums sogar leicht zurück. Selbst private Haushaltungen stiegen um die Jahrhundertwende durch den Einsatz neuer Heizungen allmählich auf Kohlefeuerungen um, sodass der Wald insgesamt eine enorme Entlastung erfuhr.
Abb. 7 - Primärenergiebilanz der Schweiz 1851 und 1910. Quelle: Marek: Kohle, S. 36
Der Anteil der Eisenbahn an dieser Entwicklung ist kaum zu überschätzen. Die neuen Transportmöglichkeiten, die durch den Schienenweg eröffnet wurden, stellten eine Revolution im Verkehrswesen dar und bildeten das eigentliche Kernstück der Industrialisierung. Erst mit dem Bau von Eisenbahnen liessen sich schwere Güter über grössere Landstrecken bewegen und dies erst noch viel schneller, zuverlässiger, bequemer und billiger als mit allen herkömmlichen Verkehrsmitteln.
Fazit
Die Schweizer Waldwirtschaft stand Anfang des 20. Jahrhunderts vor einer völlig neuen Situation. Erstmals in der Geschichte wurde der Rückgang der Wälder gestoppt. Das "hölzerne Zeitalter" fand mit dem Import neuer Ressourcen innerhalb kurzer Zeit ein Ende. Dies kommt in einer weiteren Gegenüberstellung zweier Texte deutlich zum Ausdruck:
- 1864 sah Elias Landolt in seinem Manuskript für ein forstliches Lesebuch die Bedeutung des Holzes auch in Zukunft ungebrochen: "Je weiter die Civilisation fortschreitet, desto unentbehrlicher wird der Wald."
- 1901 sah dies bereits ganz anders aus. In einem Artikel über die damalige Energiesituation fragt Gottfried Konrad Vogler: "Was kann der Forstmann thun, um sein Brennholz (..) wieder mehr zu Ehren zu bringen?" Nach einer kurzen Erörterung der Gründe für den Rückgang des Holzkonsums führte Vogler zum Schluss einen ganzen Katalog ausgeklügelter Ideen zur Attraktivitätssteigerung des Holzes an, damit dem Einbruch auf der Nachfrageseite Einhalt geboten werden könne. Die Forstwirtschaft spürte knapp vierzig Jahre nach der prägnanten Formulierung Landolts nur allzu gut, wie entbehrlich Holz geworden war.
Insofern lässt sich mit Heinrich Grossmann feststellen: "Die Eisenbahnen hatten den Kampf zugunsten des Waldes entschieden." Der Wandel des Energiesystems und der Rückgang des Holzkonsums hingegen stellen uns heute vor neue Aufgaben.
Quellen und Literatur
- Bürgi, Matthias: Waldentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Zürich 1998.
- Grossmann, Heinrich: Die schweiz. Forstwirtschaft inder zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: SZF 10und 11/1949, 464-486.
- Grossmann, Heinrich: Eisenbahn und Schweizer Wald vor 100 Jahren, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 14/1966, 1298-208.
- Haarmann, August: Eisenbahn-Geleise. Geschichtlicher Theil, Leipzig, 1891.
- Historische Statistik der Schweiz, Zürich, 1996
- Knuchel, Hermann: Eisen- oder Holzschwellen, in: SZF1/1933, 14-16.
- Landolt, Elias: Der Wald in seinen Beziehungen zur Befriedigung der Bedürfnisse des täglichen Lebens, (Manuscript für das forstliche Lesebuch), in: SZF 1864,165-170.
- Landolt, Elias: Die forstlichen Zustände in den Alpen und im Jura. Auszug aus dem Bericht an den hohen schweizerischen Bundesrath über die Untersuchung der Gebirgswaldungen, Bern, 1963.
- Marek, Daniel: Kohle. Die Industrialisierung der Schweiz aus der Energieperspektive 1850-1900, Bern, 1992.
- Schweizerische Eisenbahnstatistik 1868-1914, Bern, 1874-1916.
- Volger, Gottlieb Konrad: Steinkohle und Holz, in: SZF 1/1901, 6-12.
(TR)