Immer wieder kommt es vor, dass umstürzende Bäume Fahrleitungen von Bahnanlagen zerstören und dadurch massive Probleme im Bahnverkehr verursachen. Mit einem speziellen Waldpflegekonzept will der Forstdienst der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) die Anzahl solcher Störungen nachhaltig verringern.

Tägliche Meldungen von langen Wartezeiten und verstopften Strassen auf der Nord-Süd- und West-Ost-Achse zeugen davon, dass die Mobilität an ihre Grenzen stösst. In dieser Situation ist auch der öffentliche Verkehr gefordert. Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und hohe Leistungskapazität sind sowohl Aufgabe des "service public" als auch eine riesige Marktchance für den öffentlichen Verkehr.

Diese zunehmende Leistung und Effizienz im Eisenbahnverkehr erhöht die Anforderungen an die Verfügbarkeit und Sicherheit der Infrastrukturanlagen. Bei den SBB sank die Zahl der Mitarbeiter je 100'000 Zugkilometer von 108 (1903) über 46 (1970) auf knapp 22 (2000). Die mittlere Zugdichte betrug 1903 pro Tag und Linie 26, 1970 bereits 85 und 2000 gar 123 (davon 123 Reise- und 26 Güterzüge).

Pflegekonzept innerhalb eines Sicherheitsstreifens

Damit diesen Mengenzunahmen auch die Leistungsqualität, zum Beispiel die Pünktlichkeit, zu folgen vermag, sind die Standards der Infrastrukturanlagen anzupassen. Das gilt auch für den Sicherheitsstreifen, welcher jenen Bereich neben den Gleisen definiert, aus dem durch Bäume oder Gehölzteile Gefahren für den Bahnbetrieb und die Bahnanlagen entstehen können. Das Waldpflegekonzept beruht darauf, in diesem Sicherheitsstreifen einen gesunden Wald- und Baumbestand mittels individueller Beurteilung der Stabilität und durch rechtzeitige sowie regelmässige Pflege zu erreichen. Auf Grund des unterschiedlichen Schadenpotenzials und eines differenzierten Sicherheitsbedürfnisses wurde das gesamte Streckennetz der SBB hinsichtlich verkehrspolitischer Bedeutung und der Belastung klassiert und in drei Streckenkategorien eingeteilt (vgl. Abb. 2):

  • Kategorie 1: Hauptlinien, stark frequentierte Strecken
  • Kategorie 2: Nebenlinien, schwach frequentierte Strecken
  • Kategorie 3: Besondere Strecken, zum Beispiel hohe Fahrgeschwindigkeit (über 160 km/h) oder betrieblich von sehr wichtiger Bedeutung

Der Bereich neben den Gleisen, aus welchem durch Bäume oder Gehölzteile Gefahren für den Bahnbetrieb oder die Bahnanlagen entstehen können, wird als Sicherheitsstreifen definiert. Er besteht aus folgenden "Modulen":

  • gehölzfreie Zone (intensive Unterhaltzone)
  • Niederhaltezone
  • stabile Waldzone
  • Kontrollzone

Die Lichtraumprofile für die Vegetation unterscheiden sich für die drei Unterhaltskategorien in der Zusammensetzung der Module. Immer gültig sind die folgenden Eckwerte (vgl. Abb. 3):

  • Sieben Meter ab Gleisachse gelten als gehölzfreie Intensivzone
  • Die Breite des Sicherheitsstreifens beträgt mindestens eine Bäumlänge, in der Praxis durchschnittlich 40 m ab Gleisachse

Niederhaltezone

Diese Zone erstreckt sich bis 20 m ab Gleisachse. Durch geeignete pflegerische Massnahmen soll der Aufwuchs – begrenzt durch die Profillinie – bis zur definierten Höhe niedergehalten werden. Als waldbauliche Massnahmen kommen in Frage:

  • Entnahme von bahngefährdenden Bäumen
  • Förderung einer Waldrandstruktur
  • Förderung langsam wachsender Arten, welche die geforderte Maximalhöhe von Natur aus einhalten
  • frühes Freistellen von standfesten Einzelindividuen, damit die Kronenlängen erhalten bleiben

Stabile Waldzone

Das ist der Bereich von 20 m bis 40 m ab Gleisachse, in welchem durch periodische Massnahmen die Entwicklung der Bäume derart gelenkt wird, dass der Bahnbetrieb sicher geführt werden kann. Die Stabilität des Bestandes und des einzelnen Baumes wird durch regelmässige Pflege gegen Sturm und andere Naturgefahren wie Schnee- und Eisbruch sichergestellt. Die Pflegemassnahmen sind frühzeitig und präventiv einzuleiten, bevor sich die Stabilität auf Grund von Konkurrenz unter den Bäumen verringert. Das Ziel ist eine Bestockung aus standfesten Einzelindividuen oder Kleinkollektiven standortgerechter Baumarten.

Die Kontrollzone

Sie grenzt an die "Stabile Waldzone" und reicht bis ca. 60 m ab Gleisachse. Es geht darum, zu verhindern, dass umstürzende Bäume durch Stossen von näheren Bäumen (Dominoeffekt) oder durch direktes Abgleiten oder Abstürzen die Bahn gefährden könnten. Wie die Benennung der Zone ausdrückt, geht es in erster Linie darum, regelmässige Kontrollen vorzunehmen. Es werden nur Massnahmen bei wenigen offensichtlich instabilen Einzelbäumen nötig.

Auf 40% der Strecken, alle diejenigen mit weniger Verkehrsaufkommen, grenzt die stabile Waldzone direkt bis zum Gleis. Selbstverständlich wird auf diesen Strecken ebenso angestrebt, dass ein gut aufgebauter Waldrand zum Hauptbestand überleitet. Ca. 2% des Streckennetzes verlangen eine praktisch hundertprozentige Sicherheit vor Baumstürzen oder anderen störenden Einflüssen aus dem Wald. Es sind dies vor allem die Neubaustrecken Bahn 2000, wo die Züge mit Geschwindigkeiten grösser 160 km/h verkehren. Diese Profile werden bereits beim Bau der Anlage erstellt und sind in der Folge optimal zu erhalten.

Abb. 3 - Mindestabstände und Profillinien der drei verschiedenen Bahnlinien-Kategorien

Realisierung des Konzeptes

Auf einem Drittel des 3000 km langen Bahnnetzes stossen Wälder, Einzelbäume, Feldgehölze, Obst- oder Parkanlagen an die Gleise. Ein grosser Teil dieser Objekte sind im Eigentum Dritter. So sind in jedem Fall die massgebenden eidgenössischen, kantonalen und kommunalen Gesetze zu beachten, zum Beispiel das Waldgesetz (WaG), die Waldverordnung, kantonale Waldgesetze und Verordnungen, das Eisenbahngesetz, das Natur- und Heimatschutzgesetz sowie kantonale und kommunale Verordnungen zum Schutze von Hecken und Feldgehölzen. Zur langfristigen Gewährleistung der Sicherheitsziele vertritt der Forstdienst der SBB die Politik, dass die Sicherheitsstreifen in der regionalen Waldentwicklungsplanung der Kantone als spezielle Zone ausgeschieden werden.

Die praktische Realisierung der Sicherheitsstreifen tangiert massgebend die Interessen der Waldeigentümer. Bei der Umsetzung des Konzeptes ist die SBB immer an die Autonomie der Waldeigentümer gebunden und entsprechend wird die geforderte Leistung entschädigt. Folgende Lösungsansätze sind möglich:

  • Waldkauf durch die SBB. Diese Variante kommt vor allem beim Bau von neuen Anlagen zur Anwendung.
  • Erstellen einer Dienstbarkeit. Eine Waldwirtschaftsbeschränkung, befristet auf beispielsweise 25 Jahre, wird im Grundbuch eingetragen. Diese Form wird jeweils bei Ausbauten eingesetzt.
  • Bewirtschaftungsverträge. Ein Massnahmen- und Terminplan wird gegenseitig vereinbart, ohne dass es zu einem Grundbucheintrag kommt. Diese Variante wird oft bei grossen anstossenden Waldeigentümern angewandt.
  • Vereinbarungen für den Einzelfall. Die einzelnen Pflegeeingriffe werden dem Waldeigentümer in einer jeweils einmaligen Abmachung direkt abgegolten.

Es ist die Aufgabe des Forstdienstes der SBB, die unternehmerischen, forstpolitischen und die Interessen der Eigentümer in Einklang zu bringen. Die SBB streben mit der Realisierung des Konzeptes drei Hauptnutzen an:

  • hohe Zuverlässigkeit und Sicherheit für den Bahnkunden
  • hohe Verfügbarkeit der Bahninfrastruktur
  • möglichst optimaler ökologischer Nutzen durch den regelmässigen Einsatz von finanziellen Mitteln für die Erhaltung und Überführung von Waldsäumen, Waldrändern und die regelmässige Heckenpflege

Die SBB haben sich zum Ziel gesetzt, ihren Umweltvorteil gegenüber den sie konkurrierenden Verkehrsarten zu halten: Das Konzept ist logischerweise in erster Linie bezogen auf den Bahnbetrieb – genauso unterstützt es aber auch ein aktuelles forstpolitisches Anliegen, nämlich die Erweiterung der Waldränder. Abgeltungen und Übernahme von Verantwortung durch den Forstdienst der SBB sind die Vorteile für die Eigentümer. Gerade die Entlastung vom Haftungsrecht durch die anbegehrten und entschädigten Massnahmen sind ein nicht zu unterschätzender Vorteil für den Waldeigentümer. Letztlich verbessert jeder Verkehrsanteil, welcher auf der Bahn statt auf der Strasse oder in der Luft abgewickelt wird, die Umweltbelastungssituation des Landes (und des Waldes).

 

(TR)