Ehemals größte Anlage ihrer Art in West- und Mitteleuropa
Den Wenigsten von uns ist bekannt, dass im Bayerischen Wald einst die größte Waldeisenbahn West- und Mitteleuropas verkehrte. Die Anlage einer dauerhaft zu betreibenden Waldbahn war im Jahre 1900 die Antwort der Bayerischen Staatsforstverwaltung auf die ständig steigende Nachfrage nach dem begehrten Rohstoff Holz. Schon vor 100 Jahren suchte die Forstverwaltung nach Lösungen, die heimische Sägeindustrie reibungslos und kontinuierlich zu beliefern.
Entlang der bayerisch-böhmischen Grenze erstreckt sich um Rachel und Lusen ein geschlossenes Waldgebiet mit einer Länge von 20 km und einer Tiefe von 7 km, das sich im Wesentlichen mit der Fläche des heutigen Nationalparks Bayerischer Wald deckt. Die Wälder wurden seit dem 15. Jahrhundert hauptsächlich von den zahlreichen Glashütten genutzt, die große Mengen an Pottasche für die Glasherstellung benötigten. Als im ausgehenden 18. Jahrhundert die Nachfrage nach Holz als Bau- und Brennstoff immer größer wurde, verbot man die Aschenbrennerei im Jahre 1788. Die große Zeit der Glashütten war endgültig vorbei und die Nutzholzgewinnung gewann immer mehr an Bedeutung.
Vorgeschichte
Nachdem im Jahre 1877 als eine der letzten Hauptbahnstrecken in Bayern die Linie Plattling – Deggendorf – Zwiesel eröffnet worden war, siedelten sich entlang der Strecke etliche Sägewerke und andere holzverarbeitende Betriebe an.
Das Holz aus dem Gebiet um Rachel und Lusen wurde größtenteils über Trift aus dem Wald befördert. Um die steigende Nachfrage an Langholz zu befriedigen, musste dieses mit Ochsen- und Pferdefuhrwerken mühsam über schlechte Wege und Landstraßen zur Verladung nach Zwiesel gebracht werden. Doch die schweren Fuhrwerke beschädigten in Verbindung mit den für diese Gegend typischen häufigen Regenfällen und der starken Schneeschmelze regelmäßig besonders stark die Wege. In der Folge stiegen die Transportkosten rapide an, während sich die Gewinne der Waldbesitzer aus dem Holzverkauf erheblich schmälerten. Daher forcierten die Staatsforstverwaltung und einige Industrielle den Bau einer Eisenbahnstrecke von Zwiesel nach Spiegelau.
Doch erst das Bayerische Lokalbahngesetz von 1882 ermöglichte den Bau einer Lokalbahn von Zwiesel über Spiegelau nach Grafenau. Die anliegenden Gemeinden mussten die für den Bau erforderlichen Grundstücke kostenlos abtreten, so dass nur die reinen Streckenbaukosten anfielen. Am 1. September 1890 verkehrte dann der erste reguläre Zug von Zwiesel nach Grafenau.
Die Staatsforstverwaltung stand jedoch weiterhin vor dem Problem, dass die Wegeverhältnisse im "Unteren Wald" katastrophal waren und die hohen Fuhrlöhne die Gewinne aufzehrten. Der damalige Forstmeister des Forstamtes Spiegelau, Ludwig Leythäuser, forderte deswegen den Bau einer Waldeisenbahn, ausgehend vom Staatsbahnhof Spiegelau in die ausgedehnten Waldungen um Rachel und Lusen.
Bau und Betrieb der Waldbahn
Nachdem Leythäuser zur Forstkammer der Regierung von Niederbayern versetzt worden war, forcierte er als Inspektions-Bezirksleiter für den Bayerischen Wald den Bau der Waldeisenbahn von Spiegelau. Im Jahre 1900 wurden Gleise, Drehschemelwagen, Muldenkippwagen und anderes Waldbahnmaterial aus den Forstämtern Altdorf und Ebersberg nach Spiegelau überwiesen und im gleichen Jahr noch eine Versuchsstrecke angelegt. Nach umfangreichen Vorerhebungen über die zu erwartenden Frachtmengen wurde schließlich der Bau der Waldbahn im Jahre 1908 genehmigt und mit einem Vorschusskredit in Höhe von 160.000 Mark für Bau und Rollmaterial bedacht.
Mit dem Bau des ersten Streckenabschnitts, dem "Alten Hauptstrang", wurde im Herbst 1908 begonnen. Bereits im November 1909 war ausgehend vom Staatsbahnhof in Spiegelau die Sagwasser-Säge bei Streckenkilometer 17,5 erreicht. Im Streckenverlauf entlang der Spiegelauer Bahnhofstraße (heutige "Nationalparkbasisstraße") waren mehrere Sägewerke mit Privatgleisen an die Waldbahn angeschlossen. Die Verfrachtung von Schnittware zum Staatsbahnhof Spiegelau bildete über die gesamte Betriebsdauer einen erheblichen Anteil am Transportaufkommen der Waldbahn.
Nachdem in den Jahren 1913 bis 1923 keine neuen Strecken gebaut worden waren, änderte sich die Situation im Jahre 1925 schlagartig, als heftige Orkane im Herbst und im Winter ganze Revierteile verwüsteten. In den Forstämtern Klingenbrunn und Spiegelau lagen über 200.000 Fm Holz. Unter diesem Eindruck wurde eilends der Streckenbau in die Hochlagen des Rachelgebietes vorangetrieben, damit das Sturmholz so schnell wie möglich ausgefahren werden konnte.
Der Leiter des Forstamtes Spiegelau, Oberforstmeister Gustav Fellmeth, war bestrebt, ein leistungsfähiges Waldbahnnetz herzustellen, um künftig auf solche Katastrophen reagieren zu können. Wie vorausschauend die Entscheidung Fellmeths war, zeigte sich schon zwei Jahre später, als sich im Winter 1929/30 wieder Orkane austobten. Die neuerlichen Sturmschäden übertrafen sogar noch die vorigen. Tag für Tag wurden bis zu 1.500 Fm Derbholz aus dem Wald gebracht. In den Jahren 1930 und 1931 wurden insgesamt über 180.000 Fm Großnutzholz und 920.000 rm Schichtholz sowie über 4.300 t Sägewaren ausgefahren.
Fellmeth trieb daneben auch die planmäßige Erschließung der Wälder weiter voran; Rücke- und Ziehwege wurden angelegt und auf die Lagerplätze an der Waldbahn hin ausgerichtet. Unter Fellmeths Leitung wurden moderne Motorlokomotiven beschafft, um die hohen Betriebskosten des Dampflokomotivbetriebes zu senken.
1931 hatte die Spiegelauer Waldbahn mit 94,96 km fest verlegter Strecken ihre größte Ausdehnung erreicht; unter Anrechnung der zahlreichen "fliegenden Gleise" (lose verlegte, temporäre Gleisjoche) wären es sicher mehr als 100 Streckenkilometer gewesen.
Das Ende der Waldbahn Spiegelau
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden Strecke und Rollmaterial nur noch in beschränktem Umfang erhalten, so dass sich die Waldbahnstrecken nach Kriegsende zwar in einem etwas heruntergekommenen Zustand präsentierten, aber auf Grund des Mangels an Lastkraftwagen noch immer als zeitgemäßes Transportmittel angesehen wurden. Da während des Krieges neue Lokomotiven zur Waldbahn gekommen waren, war der Fortbestand der Bahn zumindest auf dem Triebfahrzeugsektor für einige Jahre gesichert. 1953 wurde sogar noch die Scheerhüttenstrecke im Zuge von Notstandsarbeiten neu gebaut, aber das Ende des immer mehr vernachlässigten Schienennetzes war bereits abzusehen.
Eine Inspektion der Bahnaufsicht und von Vertretern der Oberforstdirektion Regensburg im Jahre 1957 erklärte die Bahn zwar weiterhin für betriebsfähig (für Höchstgeschwindigkeit 10 km/h), forderte aber Investitionen in Höhe von 500.000 DM. Da die Bahn in den zurückliegenden zehn Jahren lediglich einen Gewinn von durchschnittlich 20.000 DM erzielte, beschloss man am 21.9.1957 per OFS Nr. M 200-31, die Waldbahn bis 1.10.1960 restlos abzubauen und ein Ersatzwegenetz zur Verfügung zu stellen. Die letzte offizielle Waldbahnfahrt fand am 11. Mai 1960 statt. Am 8. September 1960 waren alle Streckengleise abgebaut.
60 Jahre lang zuverlässig "gedient"
Die Waldbahn Spiegelau bot zum Zeitpunkt ihrer Erbauung die einzige Möglichkeit, die schwierigen Bringungsverhältnisse im Unteren Bayerischen Wald zu meistern. Die Waldbahn ermöglichte erstmals einen kostendeckenden Abtransport von Nadelbloch- und Langholz sowie die Nutzung der Buchenbestände, deren Holz sich nicht triften ließ. Darüber hinaus konnte die Trift als Transportmittel weitgehend abgelöst werden und somit einen durchgängigen Holztransport während der schneefreien Monate gewährleisten. Die Bahn trug wesentlich dazu bei, dass die großen Holzmengen während der Windwurfjahre 1927/28 und 1930/31 zügig und kontinuierlich abgefahren werden konnten und damit Forstschutzprobleme von vornherein vermieden wurden. Einhergehend mit dem Waldbahnbau wurde auch die systematische Erschließung und Feinerschließung des Rachel-Lusen-Gebietes vorangetrieben. Das unermüdliche Wirken des Oberforstmeisters Gustav Fellmeth soll hierbei ausdrücklich erwähnt werden.
60 Jahre lang erfüllte dieser Betrieb seine Aufgabe meist zur vollsten Zufriedenheit der Staatsforstverwaltung und gab vielen Familien wichtige Arbeitsplätze in der damals äußerst strukturschwachen Region. In unserer heutigen schnelllebigen Zeit kann man sich kaum noch vorstellen, dass ein System über einen derart langen Zeitraum fast unverändert seinen Dienst verrichten konnte. Behalten wir also diesen einstmals größten Nebenbetrieb der Bayerischen Staatsforstverwaltung in würdiger Erinnerung!