Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) und die Schweizerische Vogelwarte Sempach haben eine Praxishilfe zum Thema "Holznutzung und Naturschutz" herausgegeben. Die Publikation enthält Merkblätter für Förster, die in enger Zusammenarbeit mit der forstlichen Praxis und unter Beizug von Waldbauspezialisten entstanden sind.
Dank der jahrzehntelangen schonenden Waldbewirtschaftung ist der Wald in der Schweiz auch heute noch ein weitgehend naturnaher Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Dennoch gibt es Defizite. Als Folge der seit etwa 20 Jahren anhaltenden Unternutzung ist der Wald vorratsreicher und dichter geworden. Er leidet zunehmend an Lichtmangel und Strukturarmut. Zudem gibt es vor allem im Mittelland teils ausgedehnte, standortfremd bestockte Bestände sowie – mit Ausnahme des Gebirgswaldes – einen zu geringen Anteil an stehendem und liegendem Totholz.
Die schweizerische Waldwirtschaft durchlebt turbulente Zeiten. Im Spannungsfeld Ökonomie und Ökologie werden teils hitzige Diskussionen geführt. Der globalisierte Holzmarkt und die Sparmassnahmen der öffentlichen Hand zwingen die Waldeigentümer zur Rationalisierung der Waldpflege und Holznutzung. Das schweizerische Waldprogramm (WAP-CH) schlägt eine weitgehende Deregulierung der gesetzlichen Vorschriften im Wald vor. Der Bund will sich künftig nur noch in den Bereichen Schutzwald und Biodiversitätsförderung (Naturschutz) finanziell engagieren.
Im Schweizer Wald stocken europaweit die höchsten Holzvorräte. Durchschnittlich waren es 1993/1995 (LFI 2) 365 m3 pro Hektare. Eine Steigerung der Holznutzung wäre nicht nur möglich, sondern sie wird vom Bund und den Kantonen ausdrücklich befürwortet. Vorderhand nur zögerlich anziehende Holzpreise veranlassten die Waldeigentümer noch kaum zu substanziell erhöhter Holznutzung. Momentan herrscht beim holzverarbeitenden Gewerbe und bei der Holzindustrie sogar akuter Holzmangel. Und schliesslich lassen steigende Öl- und Gaspreise auch die Nachfrage nach Energieholz deutlich zunehmen. Gleichzeitig hat in der Schweiz das erste Grosssägewerk den Betrieb aufgenommen. Diese Entwicklungen dürften schon in naher Zukunft eine Trendwende einleiten und zu einem merklich gesteigerten Holzeinschlag im Schweizer Wald führen.
An wen richten sich die Merkblätter?
Für die Planung und Durchführung von Holzschlägen wird (hoffentlich) auch künftig forstlich ausgebildetes Fachpersonal zuständig sein. Deshalb richten sich die neuen Merkblätter in erster Linie an Förster, welche als Revierförster oder Betriebsleiter für die waldbauliche Planung beziehungsweise die Holzanzeichnung im Bestand verantwortlich sind.
Im Rahmen der Schriftenreihe Umwelt des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) ist überdies ein Grundlagenbericht zum Thema Holznutzung und Naturschutz erschienen. Dieser richtet sich vorab an Fachleute der forstlichen Planung sowie Naturschutzfachstellen.
Holznutzung und Naturschutz – ein Gegensatz?
Abb. 2 - Alte Bäume sind ein besonders artenreicher Lebensraum für Insekten, Vögel und Kleinsäuger.
Foto: Schweizerische Vogelwarte Sempach
Auch wenn momentan die so genannten Waldbau-Standards noch nicht definiert sind, steht fest, dass die Interessen des Naturschutzes grundsätzlich bei jedem forstlichen Eingriff im Wald angemessen mitberücksichtigt werden müssen. Dazu wollen die neuen Waldbaulichen Merkblätter der Schweizerischen Vogelwarte einen Beitrag leisten. Sie sind ausdrücklich nur für den Wirtschaftswald konzipiert, weil eine Steigerung der Holznutzung in erster Linie hier erfolgen dürfte.
Die Merkblätter decken sechs wichtige Waldtypen ab und umfassen jeweils mehrere ähnliche Waldgesellschaften. Für jeden dieser Waldtypen wird ein "Naturschutzziel" formuliert, und anhand von "Waldbaulichen Empfehlungen" werden Massnahmen aufgezeigt, mit welchen dieses Ziel zu erreichen ist. Ein Formular hilft beim konkreten Bestand den Ist- und Soll-Zustand zu bestimmen und daraus die nötigen Massnahmen abzuleiten.
Die Massnahmen sollen im Zuge der regulären Holznutzung, das heisst ohne Mehraufwand umgesetzt werden und sind deshalb auch nicht entschädigungsberechtigt. Schliesslich lässt sich anhand der genannten Formulare nach Ausführung des Schlages eine Erfolgskontrolle vornehmen. Eine Fotodokumentation illustriert ausgewählte Massnahmen anhand konkreter Waldbestände.
Was haben denn die Vögel damit zu tun?
Abb. 3 - Der Kernbeisser brütet in Laub- und Mischwäldern und bevorzugt alte Laubbäume.
Foto: Schweizerische Vogelwarte Sempach
Die Frage ist berechtigt, warum sich ausgerechnet die Schweizerische Vogelwarte mit der Ausarbeitung von Waldbaulichen Merkblättern befasst. Für 58 der 195 regelmässig in der Schweiz brütenden Vogelarten ist der Wald der Hauptlebensraum. 27 davon werden in so genannten "Steckbriefen" näher vorgestellt. Vögel gelten aufgrund ihrer teils sehr spezifischen Lebensweise und -ansprüche als gute Indikatoren für den Zustand ihres Lebensraumes. Aufgrund des Vorkommens beziehungsweise Nichtvorkommens einer bestimmten Vogelart lassen sich somit allfällige Defizite im Aufbau und in der Baumartenzusammensetzung eines Waldbestandes feststellen, um danach die nötigen Aufwertungsmassnahmen einzuleiten.
Obwohl sich die Merkblätter in erster Linie auf die bewährte einzelstammweise Holznutzung beziehen, können sie auch bei der Beurteilung von flächenweisen Holznutzungen wie Räumungen oder begrenzten Kahlschlägen hilfreich sein. Solche sind nicht à priori negativ zu bewerten, sofern dabei gewisse Rahmenbedingungen eing halten werden.
Unter ökologischem Blickwinkel problematisch sind insbesondere die Ganzjahresnutzung, die Bodenverdichtung sowie die Gefahr des allzu schematischen oder grossflächigen Vorgehens. Unerwünscht ist auch die Wiederbepflanzung von Kahlflächen mit wenig standortgerechten Reinbeständen.
Fazit
Gegenwärtig herrschen "forstlich unruhige Zeiten". Vieles ist im Fluss und manches umstritten. Fest steht, dass in der schweizerischen Wald- und Holzwirtschaft ein grundlegender Strukturwandel im Gang ist. Die angestrebte und auch ökologisch sinnvolle Steigerung der Holznutzung wird sich nicht zuletzt auf die künftigen Ernteverfahren auswirken. Diese werden aller Voraussicht nach stärker mechanisiert sein und zu grösserflächigen Schlägen führen. In dafür ungeeigneten Gebieten – und solche gibt es weiterhin viele – wird sich jedoch der naturnahe und seit über hundert Jahren bewährte schweizerische Waldbau, wenn auch in modifizierter Form, nach wie vor behaupten.
Grundsätzlich bedeutet jede Art der Holznutzung einen Eingriff in den Lebensraum Wald. Deshalb lautet die Antwort auf die eingangs gestellte Frage: Holznutzung und Naturschutz im Wald schliessen sich dann gegenseitig nicht aus, wenn die Holzernte so ausgeführt wird, dass die damit verbundenen Chancen genutzt und vorhandene Risiken vermieden werden. Ziel sollte es sein, bereits auf kleiner Fläche eine möglichst grosse Vielfalt an verschiedenen Baumarten und Entwicklungsstufen zu erreichen. Dazu wollen die neuen Merkblätter der Schweizerischen Vogelwarte einen Beitrag leisten.