Abb. 1+2: Stehendes und schwaches Totholz in einem Urwald in Tschechien. (Fotos FVA/Schaber-Schoor)

Die politische Zielsetzung, den Anteil erneuerbarer Energien an der Energieversorgung erheblich zu erhöhen, und die inzwischen auf einen historischen Höchststand gekletterten Rohölpreise haben bundesweit zu einer boomenden energetischen Nutzung von Holz geführt. Der damit verbundene positive Effekt für die Betriebseinkommen der Waldbesitzer wird die Entwicklung weiter verstärken, das Potenzial an Energieholz zu konkretisieren, zu lokalisieren und für eine ökonomisch effiziente Nutzung zu erschließen. Obwohl der Anteil des auf Bundesebene technisch nutzbaren Potenzials an Waldenergieholz nicht mehr als 1,5 % des Primärenergieverbrauchs von Deutschland abdeckt, soll Waldenergieholz dennoch einen bedeutenden Beitrag zum Energiemix leisten (1).

Zwischen dem klima- und energiepolitisch erforderlichen Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien einerseits und einer naturnah ausgerichteten Waldbewirtschaftung andererseits, besteht aber möglicherweise ein gravierender Zielkonflikt. Darauf weist eine vom Forschungszentrum Jülich im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durchgeführte Studie hin und fordert konkrete Handlungskonzepte zur Lösung des Zielkonflikts (2). Als Teil dieses Zielkonflikts wird die Frage gesehen, welche Auswirkungen eine intensive Produktion von Waldenergieholz auf die Menge und Zusammensetzung des im Wald verbleibenden Totholzes und das Vorkommen der an Totholz gebundenen Arten hat. Denn von den rund 14.000 Arten in den Wäldern Deutschlands sind nach aktuellem Kenntnisstand 33 % unmittelbar auf Totholzstrukturen angewiesen. Es handelt sich um Säuger, Vögel, Käfer, Schwebfliegen, Nachtschmetterlinge, Wanzen, Mollusken, Moose, Flechten und Pilze (3).

Energieholzerzeugung und Biodiversität

Eine Intensivierung der Nutzung von Waldrest- und Schwachholz soll auf die Erhaltung und die Steigerung der Biodiversität der Wälder keine Auswirkungen haben, so zumindest nach den Vorstellungen der 5. Ministerkonferenz zum Schutz der Wälder in Europa vom 5. - 7. November 2007 in Warschau, Polen. In der dort verabschiedeten Warschauer Deklaration (4) verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten "die biologische Vielfalt der Wälder, einschließlich deren genetische Ressourcen, durch die nachhaltige Waldbewirtschaftung zu erhalten, zu schützen, wiederherzustellen und zu verbessern" gleichzeitig aber "die Verwendung von Holz aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern als erneuerbaren Rohstoff und Energiequelle zu steigern". In der mit der Deklaration verbundenen WARSCHAU RESOLUTION 1 ‑ Wälder, Holz und Energie ‑ verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten zur Verbesserung der Rolle des Waldsektors in der Energieproduktion "wirksame Maßnahmen im Rahmen der nachhaltigen Waldbewirtschaftung zu ergreifen, welche die Nutzung von Holzbiomasse für die Energiegewinnung steigern unter Berücksichtigung der Wichtigkeit, Rest- und Altholz als erneuerbare Energiequellen einzusetzen". Sie verpflichten sich zudem "die Umweltverträglichkeit der Holzproduktion für Energie einschließlich der Auswirkungen auf den Boden, das Wasser, die Biodiversität und die Nährstoffzyklen zu bewerten". Bemerkenswert an der Resolution ist vor allem die Verpflichtung, Auswirkungen der Holzproduktion für Energie u. a. auf die Biodiversität nach Gesichtspunkten der Umweltverträglichkeit beurteilen zu wollen.

Habitattradition und Totholzvorräte

Da die Zahl und die Fläche mitteleuropäischer Urwälder äußerst gering ist gibt es einerseits nur wenige konkrete Vorstellungen über die spezifische Totholzausstattung dieser Wälder und die Unterschiede zu bewirtschafteten Wäldern. Andererseits lassen sich die mit einer geregelten Waldbewirtschaftung einhergegangenen Beeinträchtigungen von Waldlebensgemeinschaften gerade am Beispiel totholzbewohnender Arten recht gut nachvollziehen.

Beeinträchtigung von Waldlebensgemeinschaften

Nach (5) lassen sich für die Beeinträchtigungen vor allem drei Ursachen ausmachen:

  1. Rodungsbedingter Verlust großer zusammenhängender Waldgebiete
  2. Nutzungsbedingte Entnahme von Tot- und Altholzstrukturen
  3. Bestockungswandel von Baumarten der natürlichen Waldgesellschaften hin zu nicht standortheimischen Baumarten, wie Fichte und Kiefer

Bezogen auf Waldstrukturaufnahmen in Urwäldern und in Schutzgebieten ergeben sich im Vergleich mit Wirtschaftswäldern aus den beiden erst genannten Ursachen vor allem Unterschiede in Bezug auf ein nach Raum und Zeit kontinuierliches Angebot von Totholz in vielfältiger Strukturqualität und -quantität. Ein Bestockungswandel hin zu nicht heimischen Baumarten führte ungeachtet einer späteren Wiedereinbringung standortheimischer Baumarten zu einer Unterbrechung der Habitattradition. Dies hat offensichtlich eine deutliche Verarmung der Fauna zur Folge, besonders der an Totholz vorkommenden Spezialisten (6).

Mindesttotholzmengen

Seit Jahren wird die Frage diskutiert, wie viel Totholz im Wirtschaftswald nachhaltig vorhanden sein muss, um die Vielfalt der auf Totholz spezialisierten Flora und Fauna in unseren Wäldern erhalten zu können. Bei der Auseinandersetzung mit dieser Frage hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass zwischen Umweltparametern und Artvorkommen vor allem nicht lineare Beziehungen bestehen. Dies drückt sich darin aus, dass es entlang von Gradienten eines Umweltfaktors oft zu einem abrupten Wechsel zwischen dem häufigen und seltenen Auftreten einer Art kommt (5). Die Suche nach solchen Wechseln und den damit verbundenen Schwellenwerten mit Hilfe statistischer Studien findet gezielt statt, um daraus z. B. realisierbare Totholzkonzepte abzuleiten (6). Als besonders aussagekräftig für das Auftreten von xylobionten Käfern, Schnecken und Holzpilzen hat sich das gesamte Angebot an Totholz pro Hektar (Totholz über 12 cm einschließlich des Totholzes an noch lebenden Bäumen) herausgestellt (5).

Schwellenwerte

Anfang der 1990er Jahre galten empirisch ermittelte Werte von 5-10 m3/ha Totholz als ausreichend und 10-20 m3/ha Totholz als gut (7). Jüngere Untersuchungen, für die ein statistischer Ansatz gewählt wurde, liegen alle über diesen Werten. Die Schwellenwerte für signifikant höhere Artenzahlen für Insekten, Mollusken, Spechte und Holzpilze bewegen sich durchweg in einem Bereich von 30-60 m3/ha Totholz. Für starke Naturnähezeiger unter den xylobionten Käfern sowie Käfer der Roten Liste liegt die Mindesttotholzmenge sogar bei 100 m3/ha und darüber (5). Die Bundeswaldinventur 2 (2001-2002), bei der erstmalig Totholz erfasst wurde, weist für die bundesdeutschen Wälder durchschnittlich 11,5 m3/ha Totholz aus (8). Dieses Ergebnis wirkt neben den oben genannten Zahlen bescheiden. In einzelnen Bundesländern wurden höhere Durchschnittswerte ermittelt (z. B. Baden-Württemberg 19,1 m3/ha) und auf Sturmwurfflächen auch mehr als 30 m3/ha Totholz gemessen (Baden-Württemberg, Sturmwurfflächen Sturm "Lothar", durchschnittlich 35,8 m3/ha Totholz). Insgesamt liegen die Totholzmengen in unseren Wirtschaftswäldern deutlich unter den Mengen, die für das Überleben anspruchsvollerer Arten notwendig sind (9).

Totholzkonzeptionen der Bundesländer

Entsprechende Erkenntnisse haben zum Teil schon vor vielen Jahren dazu geführt, dass von den Länderforstverwaltungen Programme zur Ausweisung von Altholzinseln, zum Belassen von Alt- und Habitatbäumen und zur Erhöhung des Anteils von stehendem Totholz besonders stärkerer Dimension ins Leben gerufen wurden. Derzeit liegen außer in drei Bundesländern Dokumente vor, die mindestens qualitative Vorgaben für Totholz bzw. Alt- und Totholz enthalten. Eingeführte Konzepte, die sich ausführlicher mit dem Thema befassen, gibt es insgesamt sechs:

  • 10-Punkte-Programm der Bayerischen Staatsforsten
  • Methusalem-Projekt in Brandenburg
  • Altholzinsel-Programm in Hessen
  • Richtlinie Alt- und Totholz im Wirtschaftswald in Mecklenburg-Vorpommern
  • Habitatbaumkonzept im LÖWE in Niedersachsen
  • das Dicke Buchen-Programm im Saarland

Das 10-Punkte-Programm der Bayerischen Staatsforsten enthält als einziges Konzept sogenannte Mindestschwellen für Totholzmengen, gestaffelt nach Altersklassen (20 bzw. 40 m3/ha Totholz).

Energieholznutzung und Totholz

Entsprechend der sehr unterschiedlichen Ausstattung unserer Wälder mit Totholz und den darauf angewiesenen Arten, können keine pauschalen Empfehlungen für eine Vermeidung von Beeinträchtigungen durch eine intensive Produktion von Waldenergieholz gegeben werden. Aus der zitierten Literatur ergibt sich zunächst eindeutig, wie groß die Bedeutung von Resten alter Wälder mit einer ununterbrochenen Habitattradition und von Altbäumen (Buchenwälder bzw. -altbäume > 180 J., Eichen- und Nadelwälder bzw. Eichen- und Nadelaltbäume > 300 J.) für den Erhalt von Lebensgemeinschaften totholzreicher Wälder und das Vorkommen besonders hoch gefährdeter Spezialisten ist. Die hohe Biodiversität von Waldzellen mit Habitattradition mit den in ihnen ablaufenden dynamischen Prozessen kann mittels segregativer Schutzstrategien gesichert werden. Ein Bruch der Habitattradition aufgrund einer Nutzung muss in jedem Fall verhindert werden. Ein auf Nachhaltigkeit gerichtetes Altbaumkonzept wird ‑ mit oder ohne Intensivierung der Energieholzproduktion ‑ ohne ein entsprechendes Management, bei dem Altbäume und Altbaumanwärter kartenmäßig erfasst und am besten dauerhaft markiert werden, nicht funktionieren.

Totholzreiche Bestände

Ältere Wälder (> 140 Jahre) weisen natürlicherweise schon höhere Anteile an stehendem und liegendem Totholz auf. Je naturnäher die Baumartenzusammensetzung dieser Wälder ist, umso bedenklicher ist aus ökologischer Sicht die Nutzung vorhandener Energieholzpotenziale, sowohl aus dem stehenden wie dem liegenden Bestand. Naturnahe Wälder in fortgeschrittenem Alter eignen sich besonders für eine Anreicherung von Totholz und bilden flächenmäßig die Schwer- bzw. Ausgangspunkte für ein Totholzmanagement (5).

Totholzarme Bestände

Jüngere Bestände (< 140 Jahre) sind noch verhältnismäßig arm an Totholz. Die waldbaulichen Maßnahmen dienen der Steuerung der Holzproduktion. Der größte Teil des technisch nutzbaren Potenzials an Waldenergieholz befindet sich in diesen Wäldern. Auch hier gilt: je natürlicher die Baumartenzusammensetzung umso mehr trägt eine Anreicherung von Totholzstrukturen zur Erhaltung der Biodiversität bei. Jüngere Bestände aus nicht standortheimischen Baumarten respektive entsprechende Nadelholzbestände sind bezogen auf Totholzbewohner von geringerer naturschutzfachlicher Bedeutung. Die Ausnutzung dieser Bestände für die Energieholzproduktion wird viel stärker von anderen Parametern, wie der Bestandesstabilität, dem Nährstoffexport oder den ökonomischen Rahmenbedingungen abhängen. Für ein Totholzmanagement sind diese Wälder dann interessant, wenn sie sich über große Flächen ausdehnen. Beim Aufbau eines räumlich kontinuierlichen Totholzangebotes innerhalb einer Waldlandschaft sollen auch solche Bestände einbezogen werden.

Fazit

Totholz ist ein entscheidender Faktor für die Sicherung der Biodiversität im Wald. Vor allem Spezialisten innerhalb der eingangs genannten Organismengruppen sind in Bezug auf Raum und Zeit, Strukturqualität und –quantität und Strukturtradition auf ein kontinuierliches Angebot von Totholz angewiesen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellte in seinem Urteil vom Januar 2006 fest, dass § 43 BNatSchG (Legalausnahme für land- und forstwirtschaftliche Bodennutzung) nicht im Einklang mit europäischem Recht (FFH-Richtlinie) steht. Die Konsequenz aus dem Urteil ist, dass forstliche Eingriffe oder Vorhaben nur zulässig sind, wenn die Fortpflanzungs- und Ruhestätten geschützter Arten (Arten nach FFH-Richtlinie, Anhang IV; Vogelschutz-Richtlinie, Art.1; besonders und streng geschützte Arten nach Bundesartenschutz-Verordnung sowie streng geschützte Arten nach EU-Verordnung 338/97) nicht beeinträchtigt werden. Die Umsetzung des Urteils in nationales Recht wurde mit der kleinen Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) vom Dezember 2007 vollzogen. Von dieser Neuregelung "profitiert" eine große Zahl der auf Totholz spezialisierten Arten. Die bisher vorliegenden Alt- und Totholzkonzepte sind fachlich eine meist gute Grundlage, um Waldnutzung und Sicherung der Biodiversität miteinander zu vereinbaren. An konkreten qualitativen und vor allem quantitativen Vorgaben für Totholz bzw. Alt- und Totholz sowie ein Monitoring zur Überprüfung der Wirksamkeit der Konzepte von Fall zu Fall wird über kurz oder lang wohl kein Weg vorbeiführen.

Literatur

Die Literaturliste können Sie hier als PDF-Datei herunterladen.