Der Wald bedeckt etwa 30 % der Fläche der Schweiz und ist als Lebensraum für Vögel von grosser Bedeutung. Ungefähr die Hälfte der regelmässig brütenden Vogelarten kommt im Wald vor, und rund 60 Arten sind sogar zwingend auf den Wald als Lebensraum angewiesen.
Einige davon sind ausgesprochene Generalisten, die in allen Wäldern leben können, von den Laubwäldern der Hügelstufe bis zu den Lärchen-Arvenwäldern an der oberen Waldgrenze. Daneben gibt es aber auch spezialisierte Arten, die entweder nur in Laubwäldern oder nur in Nadelwäldern vorkommen. Die Schweiz trägt für mehrere Vogelarten des Waldes eine besondere Verantwortung auf internationaler Ebene.
Nur wenige Waldvogelarten gefährdet
Abb. 2 - Alle gefährdeten Waldvögel der Schweiz sind Lebensraumspezialisten. Beispielsweise ist der Ziegenmelker ist auf lückige Wälder angewiesen, wie die Föhrenwälder an den südexponierten Hängen des Walliser Rhonetals. Foto: Ulrich Wasem (WSL)
Von den Vogelarten des Waldes sind neun auf der Roten Liste der gefährdeten Arten aufgeführt, und acht weitere gelten als "potenziell gefährdet". Die Situation hinsichtlich Gefährdung ist damit bei den Waldvogelarten deutlich besser als bei den Arten der Feuchtgebiete oder denjenigen des Kulturlandes. Das ist eine direkte Folge der Landschaftsentwicklung in der Schweiz in den letzten rund 150 Jahren.
Die Feuchtgebiete wurden fast alle trockengelegt und damit zerstört. Im Kulturland sind durch die Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung die Lebensräume der Vögel ebenfalls verschwunden oder haben massiv an Qualität eingebüsst. Hingegen hat man, nicht zuletzt mit den Vorschriften der Forstpolizeigesetze von 1876 und 1902, eine Zunahme der bewaldeten Fläche erreicht. Im Berggebiet allerdings hat die Waldfläche auch deswegen zugenommen, weil vormals landwirtschaftlich genutzte Flächen nicht mehr bewirtschaftet und mit der Zeit zu Wald wurden.
Lebensraumspezialisten unter Druck
Alle neun gefährdeten Arten im Wald sind Lebensraum-Spezialisten:
- Auerhuhn (EN)
- Fitis (VU)
- Gartengrasmücke (VU)
- Grauspecht (EN)
- Halsbandschnäpper (EN)
- Waldlaubsänger (VU)
- Waldschnepfe (VU)
- Weissrückenspecht (VU)
- Ziegenmelker (EN)
Abb. 3 - Dichte und dunkle Stangenhölzer sind zwar im allgemeinen nicht besonders artenreich, aber für einige Arten trotzdem wichtig. Der Sperber horstet gerne in solchen Beständen, weil er dort ausreichend Deckung findet. Foto: Bohuš Číčel, Creative Commons
Die meisten dieser Arten sind auf lichte, strukturreiche oder sogar lückige Wälder angewiesen. Ausserdem sind Alt- und Totholzbestände von grosser Bedeutung für den Lebensraum. Der Arealverlust und der Bestandsrückgang der gefährdeten Arten spiegeln die Entwicklung der Wälder in der Schweiz im zwanzigsten Jahrhundert wider: von abwechslungsreichen, lockeren, offenen Wäldern hin zu vorratsreichen, geschlossenen, dichten und dunklen Beständen.
Aber nicht nur der Aufbau des Waldes, sondern auch die Artenzusammensetzung in der Baumschicht ist für die Vögel im Wald wichtig. Forschungsarbeiten u.a. der Schweizerischen Vogelwarte haben gezeigt, dass Meisen grössere Reviere benötigen, je kleiner das Nahrungsangebot in einem Wald ist. Gleichzeitig hängt das Nahrungsangebot aber stark von den Baumarten ab, die in einem Wald dominieren. Waldeigentümer und Förster können mit ihren waldbaulichen Entscheiden die Artenzusammensetzung in der Baumschicht langfristig steuern und so die zukünftige Vogelwelt in den Wäldern positiv oder auch negativ beeinflussen.
Naturnaher Waldbau und Artenförderungsmassnahmen
Für die Zukunft der Vögel im Schweizer Wald ist es von entscheidender Bedeutung, dass im Wirtschaftswald die lange Tradition des naturnahen Waldbaus weitergeführt wird, und zwar auf der ganzen Fläche. Daneben braucht es aber auf geeigneten Flächen auch Artenförderungsmassnahmen zugunsten jener Spezialisten, die auf lichte, lockere Wälder angewiesen sind, oder zugunsten von Arten wie dem Mittelspecht, der nur in eichenreichen Wäldern leben kann. Nur wenn man dies alles beachtet, wird es möglich sein, dass die grundsätzlich erfreuliche Situation der Vogelwelt im Wald gut bleibt und gleichzeitig die bestehenden Defizite behoben werden.
Dazu beitragen können aber nicht nur Waldeigentümer und Förster. Auch jede Konsumentin, jeder Architekt, Politiker und jede Bauherrin kann seinen bzw. ihren Beitrag leisten. Durch den Gebrauch oder Kauf von Holz aus naturnaher Produktion und Verarbeitung unterstützen sie jene Betriebe und Waldeigentümer, die ihre Verantwortung für den Lebensraum der Tiere und Pflanzen des Waldes wahrnehmen.
(TR)