Eine Zusammenstellung von aktuellen Ergebnissen aus der FVA-Forschung im Kontext des bisherigen Wissensstandes soll diese Lücken nun schließen und im Folgenden die wichtigsten praxisrelevanten Fragen zum Thema Buchdrucker-Überwinterung klären.

Grundlagen zur Überwinterungsbiologie

Der Buchdrucker passt sich, wie viele andere heimische Insekten auch, durch geeignete Überwinterungsstrategien an die zu dieser Jahreszeit widrigen Umweltbedingungen an. Die für den Buchdrucker maßgebliche Form der Winterruhe ist die Diapause (KOŠTÁL, 2006), also ein genetisch programmiertes Verhalten, welches bereits im Vorfeld unter noch guten Bedingungen initiiert wird. Dabei werden die Lebensfunktionen von adulten Käfern zeitweise zurückgefahren, bspw. Stoffwechsel, Mobilität, und Vermehrung. Zusätzlich schützen diese sich mit einer Art körpereigenem „Frostschutzmittel“, sodass sie im Winter (nach allmählicher Kälteanpassung) auch strengen Frost unbeschadet überstehen können. Jungkäfer und weiße Entwicklungsstadien (Eier, Larven, Puppen) hingegen befinden sich nicht in einer Diapause und entwickeln sich bei Temperaturen >8°C auch im Winter weiter. Bei weißen Stadien ist allerdings die Überlebenswahrscheinlichkeit bei Frost deutlich herabgesetzt; man geht hier von einer Mortalitätsschwelle von ca. -5°C aus (SCHOPF & KRITSCH, 2010). Das führt dazu, dass die Wintermortalität z.T. erheblich zur Populationsregulierung beitragen kann, nicht zuletzt in Verbindung mit etwaiger Verpilzung während feuchter Wärmeperioden in der Überwinterungsphase (FACCOLI, 2002; DWORSCHAK ET AL., 2014a). Die Mortalitätsraten können jedoch selbst lokal stark variieren und sind aufgrund ihrer komplexen Ursachen großräumig kaum quantifizierbar.

Wann gehen Buchdrucker in die Winterruhe?

Bezüglich dem Diapause-Verhalten werden zwei Typen unterschieden (SCHEBECK ET AL., 2022): Die obligat-diapausierenden Käfer gehen stets nach erfolgter Entwicklung in die Winterruhe, ohne sich zu verpaaren. Hierfür sind die Umweltbedingungen nicht relevant. Diese Käfer (der ersten Generation) verpaaren sich demnach erst im Folgejahr – unabhängig davon, ob im aktuellen Jahr noch ausreichend Zeit für Brutanlagen besteht oder nicht. Die fakultativ-diapausierenden Käfer hingegen gehen erst in die Winterruhe, wenn die Umweltbedingungen im aktuellen Jahr (Tageslänge, Temperatur) ungünstig werden – wodurch mehrere Generationen pro Jahr möglich sind. In Mitteleuropa dominiert der fakultative Typ. 

Anhand eines 3-jährigen Experimentes entlang eines Höhengradienten im Schwarzwald (300-1.350 m ü.NN) wurde nun an der FVA erstmals unter Freilandbedingungen untersucht, welchen Einfluss die beiden Faktoren Tageslänge und Temperatur auf das Schwärm- und Brutanlageverhalten von fakultativen Buchdruckern haben (HOFMANN ET AL., im Druck). Die Untersuchung bestätigte bisherige Laborstudien dahingehend, dass die Tageslänge einen großen Einfluss hat (DOLEŽAL & SEHNAL, 2007); ab Mitte August (Tageslänge = 14,7 h) nahmen sowohl Schwärmaktivität als auch Brutanlagen bei den Buchdruckern unabhängig vom Faktor Temperatur deutlich ab. Interessanterweise – und diese Erkenntnis ist neu – ignoriert jedoch ein gewisser Anteil der Käfer die im Spätsommer abnehmende Tageslänge und wird von warmen Temperaturen bis in den Herbst hinein zu Flug und Reproduktion animiert. Die dafür notwendige Tageshöchsttemperatur steigt mit abnehmender Tageslänge an und beträgt Ende Oktober ca. 25°C (Abb. 1).

Diese Erkenntnisse zeigen zum einen das komplexe Zusammenspiel beider Faktoren Tageslänge und Temperatur; zum anderen verdeutlichen sie die im Klimawandel potentielle Verlängerung der Aktivitätsperiode des Buchdruckers im Herbst. Der Zeitpunkt des Eintritts in die Winterruhe ist also innerhalb von Buchdrucker-Populationen äußerst heterogen und kann zwischen Juni/Juli (obligater Teil) über August (tageslängenabhängiger fakultativer Teil) bis in den Herbst hinein (temperaturgesteuerter fakultativer Teil) variieren. Spät angelegte Bruten erfahren zwar in den weißen Stadien ein prinzipiell erhöhtes Absterberisiko im Falle von frühen Frostereignissen unter -5°C, diese werden aber mit dem sich erwärmenden Klima zunehmend seltener. So konnte bspw. im Winter 2019/20 im Freiburger Stadtwald das Überleben weißer Stadien bis auf eine Höhe von 950 m ü.NN beobachtet werden. Letztlich profitieren die Populationen von der Verlängerung der Aktivitätsperiode, da dadurch die Generationenanzahl pro Jahr steigt und mithin die Dichte der überwinternden Buchdrucker-Populationen.

Wo überwintern Buchdrucker?

Ähnlich wie beim Diapause-Typ ist auch die Wahl des Überwinterungsortes abhängig vom Klima bzw. dem resultierenden Voltinismus (d.h. die Generationenanzahl/Jahr) der Buchdruckerpopulationen: univoltine Populationen (eine Generation/Jahr) in kühleren, nördlichen Breiten bzw. höheren Gebirgslagen bevorzugen die Überwinterung in der Bodenstreu (bessere Isolation), während bi-/multivoltine Populationen (zwei oder mehr Generationen/Jahr) primär unter der Rinde überwintern. Die Überwinterung unter der Rinde findet entweder direkt im Brutbild statt, oder in eigens dafür angelegten Überwinterungsgängen (Abb. 2), welche im Brutbaum oder benachbarten Bäumen angelegt werden. Betrachtet man die Gesamtheit der bisherigen Studien zum Thema, fällt auf, dass der Anteil der Bodenüberwinterer vor allem in Skandinavien (also in kälterem Klima mit univoltinen Populationen) relativ hoch ist, und dass in Mitteleuropa dieser Anteil <30%, zumeist sogar <10% ausmacht (Tab. 1). Hohe Käferdichten in der Bodenstreu, wie sie für Süddeutschland in der Historie des Öfteren berichtet wurden (z.B. FRANZ, 1950; WELLENSTEIN, 1954), geben allein weder Auskunft über die Art des Aufsuchens (passiv/aktiv) noch über das Verhältnis (Rinde/Boden) der Überwinterungsorte.

Tab. 1: Übersicht zum Verhältnis von rinden- und bodenüberwinternden Buchdruckern in Europa – deutlich wird der Einfluss des Voltinismus auf den Überwinterungsort; Referenzen siehe DWORSCHAK ET AL. (2014b).

Verhältnis in %
Rinden-/ Bodenüberwinterer

Untersuchungsgebiet

Referenz

Univoltine Populationen

<10 / >90

Schweden

Weslien & Lindelöw, 1989

<10 / >90

Norwegen

Botterweg, 1982

50 / 50

Schweiz 1.000 m ü.NN.

Wermelinger et al., 2011

Uni- und bivoltine Populationen

50 / 50

Kroatien >1.000 m ü.NN.

Hrasovec et al., 2011

50 / 50

Südschweden

Komonen et al., 2011

>70 / <30

Dänemark

Harding & Ravn, 1985

Bi- und multivoltine Populationen

>70 / <30

Polen

Onysko & Starzyk, 2011

>90 / <10

Schweiz 500 m ü.NN.

Wermelinger et al., 2011

>90 / <10

Niedersachsen (D)

Biermann, 1977

>95 / <5

Tschechien

Zumr, 1982

Es ist also davon auszugehen, dass die Mehrheit der überwinternden Käfer hierzulande unter der Rinde verbleibt, auch wenn im Herbst bereits fertig entwickelte und ausflugsfähige Stadien erreicht sind. Fällt die Rinde im Verlauf des Winters ab, werden die Käfer passiv in die Bodenstreu verfrachtet (DWORSCHAK ET AL., 2014b). Folglich erhöht sich der Anteil der Bodenüberwinterer mit der Zeit. Eine FVA-Untersuchung von 83 Überwinterungsbäumen im Nationalpark Schwarzwald (ca. 800 m ü.NN.) zeigte eine deutliche Dominanz von noch fast vollständig berindeten Bäumen im Oktober (89%, d.h. zu diesem frühen Zeitpunkt sind noch kaum Käfer passiv in die Bodenstreu verfrachtet worden), und eine Abnahme dieses Anteils auf 66% im darauffolgenden März (KAUTZ ET AL., 2023). 

Verlassen Buchdrucker im Winter aktiv den Stamm?

Auch wenn die passive Verfrachtung durch Rindenabfall an stehenden Überwinterungsbäumen ein entscheidender Mechanismus ist, stellt sich die Frage, inwieweit Buchdrucker zusätzlich aktiv im Winterhalbjahr den Überwinterungsbaum bzw. gepolterten Stamm verlassen können. Mögliche Gründe dafür sind ggfs. vorteilhafte Temperatur- und Feuchtebedingungen im Boden, Nahrungskonkurrenz bzw. mangelnde Nährstoffversorgung innerhalb des Stammes, oder ein Auftreten von natürlichen Gegenspielern. Um dieser Frage nachzugehen, wurden durch die FVA in der Nähe von Freiburg verschiedene Experimente an Stammstücken, Poltern und auch stehenden Fichten durchgeführt. Stets wurden die Proben im Spätsommer mit Buchdruckern aus Pheromonfallen besiedelt bzw. mit Pheromonen beködert, anschließend mit feinmaschigen Netzen eingepackt und die ab Herbst austretenden Käfer gezählt (Abb. 3a-c).

Der durchschnittliche Anteil der die Proben im Zeitraum von November bis März aktiv verlassenden Käfern lag zwischen 5 und 62% (n = 79, 300-1.350 m ü.NN; Tab. 2).

Tab. 2: Übersicht der Experimente zum Anteil der die Proben im Winterhalbjahr (November-März) verlassenden Buchdrucker nach Besiedlung im Spätsommer (Mittelwert ± Standardabweichung); die Stichprobe der stehenden und liegenden Bäume ist aufgrund von Schwierigkeiten bei der Besiedlung reduziert.

Jahr

Meereshöhe
[m ü.NN]

Methode

Stichprobe

Besiedlungsdichte

Anteil [%]

2021/22

300

Stammstück (60 cm lang)

15

mittel

       21 ± 26

2021/22

600

Stammstück (60 cm lang)

15

mittel

       27 ± 25

2021/22

950

Stammstück (60 cm lang)

15

mittel

       20 ± 30

2021/22

1.350

Stammstück (60 cm lang)

15

gering

         5 ± 10

2021/22

300

Baum stehend (15 m lang)

2

gering

       10 ± 1

2021/22

300

Baum liegend (3 x 5 m lang)

1

hoch

       37

2022/23

300

Baum stehend (15 m lang)

6

gering

       13 ± 1

2023/24

300

Stamm liegend (5 m lang)

10

mittel

       62 ± 9

Die relativ hohe Variabilität in den Anteilen kann verschiedene Gründe haben (z.B. die Besiedlungsdichte, Substratqualität und Witterung), welche nicht genauer quantifiziert werden können. Augenscheinlich ist jedoch der hohe Anteil den Stamm verlassender Käfer nach dem ersten Frostereignis (Abb. 4). Dieser Hinweis deckt sich mit einer Studie aus dem Winter 2022/23 an einzelnen stehenden Überwinterungsbäumen (WALD UND HOLZ NRW, 2023).

Wann endet die Winterruhe der Buchdrucker?

Die Diapause der Buchdrucker, egal ob obligat oder fakultativ induziert, wird bereits im Hochwinter durch anhaltend niedrige Temperaturen beendet (DOLEŽAL & SEHNAL, 2007). Danach dienen die wärmeren Spätwintertage mit Temperaturen >8°C zur Entwicklung bzw. Regeneration der Flugmuskulatur und Fruchtbarkeit. Sobald eine gewisse Temperatursumme erreicht ist und schwärmtaugliche Temperaturen (>16,5°C; LOBINGER, 1994) vorherrschen, kann der Käfer im Frühjahr wieder aktiv werden. Neueste FVA-Experimente zeigen, dass zur Bestimmung des Starttermins für Schwärmaktivität und Brutanlagen die Tageslänge kaum einen Einfluss hat; vielmehr ist dieser stark abhängig von maximaler Tagestemperatur und nach der Diapause erfahrener Temperatursumme. In der Konsequenz heißt das, dass sich der Start also zunehmend in Richtung Jahresbeginn verschiebt, wenn die Monate Februar und März im Zuge des Klimawandels immer wärmer werden. Je nach Klimaszenario (RCP 4.5 bzw. 8.5) wird in Südwestdeutschland der Schwärm- und Befallsstart gegen Ende des Jahrhunderts (2080-2100) demnach um 2-4 Wochen früher als derzeit (2009-20) stattfinden. Kontraproduktiv für den Bruterfolg solch früh im Jahr angelegter Bruten sind Spätfröste, welche dann die weißen Stadien dezimieren könnten; allerdings wird diesem Effekt eine untergeordnete Rolle beigemessen, da diese Spätfröste selten die erforderlichen letalen Temperaturen (z.B. mehrere Nächte unter -5°C) erreichen.

Schlussfolgerungen für das Management im Herbst und Winter

Borkenkäfer-Management ist nicht nur während der Aktivitätsperiode des Buchdruckers angeraten, sondern auch darüber hinaus! Vor allem dann, wenn die Managementkapazitäten an ihre Grenzen kommen – also in Sommern mit außergewöhnlichem Befallsaufkommen und rascher Käferentwicklung – sind Maßnahmen auch im Herbst noch geeignet, um die überwinternde Populationsdichte wirksam zu begrenzen und damit das Befallsrisiko im Folgejahr deutlich zu senken. Der Buchdrucker büßt im Winterhalbjahr, schlicht gesagt, seinen Schnelligkeitsvorteil gegenüber dem Management ein.

Die dargestellten Erkenntnisse hinsichtlich des temperaturgesteuerten Beginns und Endes der Aktivitätsperiode werden auch im an der FVA neu entwickelten Phänologiemodell PHENIPS-Clim (JENTSCHKE, 2024) abgebildet. Somit sind nun erstmals sowohl späte Brutanlagen, z.B. im September oder Oktober, als auch der Schwärmbeginn im Frühjahr nahezu tagesscharf prognostizierbar. Diese Vorhersagen werden im 1 km-Raster bereits flächendeckend für Südwestdeutschland bereitgestellt (FVA-Borkenkäfer-Portal; Integration in die baden-württembergischen forstlichen Infosysteme ist geplant) und unterstützen die Waldbewirtschaftenden bei der Planung zur Umsetzung von Managementmaßnahmen.

Was ist zu tun im Winterhalbjahr? – Das Wichtigste auf einen Blick:

  • Regelmäßige Befallskontrollen bis in den Herbst hinein fortführen; auch im Winter sind bei hoher Befallsdynamik periodische Kontrollen sinnvoll.

  • Auch im September (ggfs. Oktober) während und nach Warmphasen noch nach Bohrmehl suchen, auch wenn dieses nun seltener wird und andere Befallsmerkmale (Kronenverfärbung, Nadelabfall, Rindenabfall) dominieren.

  • Je früher Überwinterungsbäume saniert werden (am besten noch im Herbst), umso höher ist die Wirksamkeit der Maßnahme; andernfalls fallen zunehmend Käfer mitsamt Rinde ab und/oder verlassen den Baum aktiv in die Bodenstreu.

  • Aus diesen Gründen sollten auch Befallspolter mit Käferbruten vor dem ersten Frost schnellstens abgefahren werden; kann dies absolut nicht gewährleistet werden, kann in diesem Zeitraum eine Vorausflugsspritzung mit einem zugelassenen Pflanzenschutzmittel als ultima ratio (d.h. alle Alternativen sind ausgeschöpft) zielführend sein.

  • Sturm- und Schneebruchschäden aus dem Winter bieten im folgenden Frühjahr hervorragendes Brutmaterial für die überwinterten Käfer; sie sollten daher möglichst prophylaktisch vor Schwärm- und Befallsbeginn (z.B. durch Entrindung) brutuntauglich gemacht, oder abgefahren werden.

  • Auf den temperaturabhängigen Schwärm- und Befallsstart im Frühjahr sollte flexibel reagiert werden können; spätestens ab diesem Zeitpunkt wird die Sanierung von Überwinterungsbäumen unwirksam, stattdessen sind nun wieder regelmäßige Frischbefallskontrollen durchzuführen.