Die Schwächung von Fichten, Lärchen und Laubgehölzen durch Stürme und Wassermangel, der Verlust ihrer natürlichen Abwehr und optimale Entwicklungsbedingungen für Borkenkäfer haben im vierten Jahr in Folge eine nie gekannte Massenvermehrung, vor allem von Buchdruckern und Kupferstechern, verursacht. Angesichts der entstandenen Schäden fällt es nicht ganz leicht, die heimischen Borkenkäferarten dennoch als einen wichtigen Teil der Lebensgemeinschaft Wald zu sehen. Doch Borkenkäfer sind dort immer in geringer Zahl und Dichte vorhanden als wichtige Wegbereiter des Holzabbauprozesses. Durch ihren Larvenfrass oder das Einschleppen von Pilzen unterbinden Borkenkäfer den Saftstrom des Baumes zwischen Krone und Wurzel, wodurch dieser absterben kann. Durch die Käfer aktivitäten wird das Holz für weitere holzabbauende Organismen zugänglich und letztlich gelangen die im Baum gespeicherten Nährstoffe wieder in den Stoffkreislauf des Waldes.
In Kalamitätszeiten geraten geraten auch diejeniegen leicht aus dem Blickfeld, die unter "Normalbedingungen" für ein natürliches Gleichgewicht sorgen: die zahlreichen Gegenspieler (Antagonisten), zu denen Insekten, Milben, Vögel, Pilze und Bakterien zählen. Viele von ihnen haben sich auf die verschiedenen Borkenkäferarten ganz oder teilweise spezialisiert. Einige Arten wären sogar potenzielle Kandidaten für biologische Bekämpfungsmassnahmen.
Abb. 2 - Räuber, Schmarotzer und Krankheiten setzen den Borkenkäferpopulationen zu.
Borkenkäfer-Gegenspieler
Dass Spechte auch Borkenkäfer fressen, ist vielen bekannt, kaum beachtet ist dagegen die Wirkung von Insekten als Borkenkäfer-Gegenspieler, wie beispielsweise Schlupfwespen. Viele dieser kleinen Wespenarten legen ihre Eier in die Larven der Käfer, die dann absterben. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts erforscht man die Auswirkungen solcher parasitischer und räuberischer Insekten und von Milben auf die Entwicklung der Borkenkäferpopulationen. Inzwischen sind etwa 300 wirbellose Borkenkäfer-Gegenspieler bekannt.
Käfer
Am Anfang einer Massenvermehrung sind zunächst kaum Borkenkäfer-Gegenspieler vor Ort. Bis sie dort eintreffen, sich vermehren und eingreifen können, dauert es einige Zeit. Genau in dieser Zeit – oftmals im Frühling – springen einige räuberische Laufkäferarten ein, die ohnehin ständig vor Ort sind – unter ihnen der Vierfleckige Rindenläufer (Dromius quadrimaculatus) oder der Echte Schulterläufer (Pterostichus oblongopunctatus), der pro Tag bis zu 20 Borkenkäfer vertilgen kann.
Ein anderer, auffällig schwarz-rot-weiß gefärbter Räuber ist der Ameisenbuntkäfer (Thanasimus formicarius, s. Abb. 1), der zumeist auf Nadelbäumen Jagd auf etwa 20 verschiedene rinden- und holzbrütende europäische Borkenkäferarten macht. Seine Larven stellen in den Borkenkäfergängen den Eiern, Puppen und Larven nach, während die ausgewachsenen Ameisenbuntkäfer die Borkenkäfer beim Schlüpfen aus dem Stamm oder auf der Baumrinde erbeuten. Diese Art hat sich als besonders wirksam nach großen Wind- und Schneebrüchen in Fichtenbeständen erwiesen. Neben Fichten sucht der räuberische Buntkäfer die Borkenkäfer auch auf Kiefern und Laubhölzern in Wäldern, kleinen Baumgruppen oder Alleebäumen.
Die meisten, räuberisch von Borkenkäfern und deren Brut lebenden Käfer sind allerdings eher kleine, schmale, oft langgestreckte und flache Arten, die so bestens in die Borkenkäfergänge von Laub- und Nadelhölzern passen. Dort müssen sich Kupferstecher (Pityogenes chalcographus) und Kleiner Buchenborkenkäfer (Taphrorychus bicolor) sowie andere Holzbrüter vor Jagdkäfern und Scheinrüsslern in Acht nehmen. Auch Rindenglanzkäfer ernähren sich von Borkenkäfereiern oder -larven. Einige sind dabei spezialisiert auf bestimmte Borkenkäferarten wie den Gelbbraunen Fichtenbastkäfer (Hylurgops palliatus), andere besitzen ein breiteres Nahrungsspektrum.
Parasitische Wespen
Parasitische Wespen (Schmarotzer) wie Erz- und Brackwespen (Chalcidoidea, Braconidae) sind in der Regel stärker auf einzelne Borkenkäferarten spezialisiert als die räuberischen Insektenarten. Einige Arten gelangen durch die Einbohrlöcher der Borkenkäfer in die Gänge und parasitieren deren Larven, andere stechen ihren Legebohrer durch die Baumrinde in den Wirt und legen dort ein Ei ab. Die Larven fressen danach den Wirtskörper auf. Eine dritte Gruppe überfällt die sich ein- oder ausbohrenden Borkenkäfer und legt direkt in ihnen ein Ei ab. Oft vermehren sich diese Schlupfwespenarten bei hohem Borkenkäferdruck schneller als ihre Wirte und sind in der Lage, deren Population sehr rasch zu verkleinern. Erzwespen parasitieren bevorzugt Larven, einige wenige befallen aber auch die Käfer selbst. Dabei nutzen manche Arten ein breites Spektrum von nadel- und laubholzbewohnenden Borkenkäfern, darunter auch ökonomisch wichtige Arten wie den Sechszähnigen Kiefernborkenkäfer (Ips acuminatus), den Buchdrucker (Ips typographus), den Nordischen Fichtenborkenkäfer (Ips duplicatus) und die beiden Waldgärtnerarten (Tomicus piniperda und T. minor). Die Erzwespe schlüpft dabei durch die Einbohrlöcher der Käfer unter die Borke der Bäume und parasitiert in den Käfergängen die Larven. Die Wirksamkeit der Erzwespen beruht vor allem auf ihrer enormen Vermehrungsrate. Unter anderem beim Großen Buchdrucker wurden oft hohe Parasitierungsraten nachgewiesen.
Pilze
Auch Pilze, deren Sporen auf der Körperhülle der Borkenkäfer wachsen, sind wichtige Gegenspieler. Sie dringen ins Körperinnere der Käfer ein, worauf diese absterben. Ebenso darf die Wirkung von tödlichem Pilzbefall von Käferlarven in den Brutgängen nicht unterschätzt werden. Insektenpathogene Pilze können in feuchteren Gegenden die Massenvermehrung von Borkenkäfern stark beeinflussen.
Bakterien
Ebenso können Bakterien am Zusammenbruch einer Borkenkäferpopulation massgeblich beteiligt sein, sowohl im Nadel- (Buchdrucker, Kupferstecher, Nutzholzborkenkäfer), als auch im Laubholz. Sie sind insbesondere bei Borkenkäferlarven wirksam.
Vögel
Abb. 7 - Weiblicher Dreizehenspecht auf Futtersuche. Foto: Sgbeer (Wikipedia)
Große Räuber wie Klein-, Bunt- oder Schwarzspecht (Dendrocopos minor, D. major, D. martius) spüren Borkenkäferstadien unter der Rinde auf. Oft stehen Borkenkäfer im Winter auf ihrem Speiseplan, wenn andere Nahrungsquellen nicht oder nur schlecht zugänglich sind. Diese Arten sind aber nicht in der Lage, hohe Borkenkäferpopulationen signifikant zu beeinflussen. In den Fichtenwäldern im Alpenraum ist der Dreizehenspecht(Picoides tridactylus) ein wichtiger Borkenkäfer-Gegenspieler. Ein Specht vertilgt pro Tag zwischen 2000 und 3000 Borkenkäferlarven. Dabei hinterlässt er spezielle Ringelspuren an der Rinde, die seine Anwessenheit verraten.
Wie bedeutsam sind die Gegenspieler?
Räuberische Insekten und Milben sind wichtige Borkenkäfer-Gegenspieler, da sie nicht auf einzelne Borkenkäferarten spezialisiert sind. Sie ernähren sich auch von anderen Insekten, sodass sie im Ökosystem immer in ausreichender Anzahl vorhanden sind. Bei einer Borkenkäfer-Massenvermerung sind sie deshalb auch in der Lage, unverzüglich auf die in die Höhe schnellende Käferanzahl zu reagieren.
Je nach Art spielen Spechte unterschiedlich starke Rollen als Borkenkäfergegenspieler. Sie dezimieren die Borkenkäfer dadurch, indem sie Larven, Puppen und Jungkäfer aus der Rinde hacken und dadurch, dass diese in herabgefallenden Rindenplatten am Waldboden vertrocknen. Ausserdem ist die Käferentwicklung unter der Rinde am Stamm, die von Spechten durchlöchert wurde, oftmals gestört wie z. B. durch extreme Temperaturwechsel oder Austrocknung. Den grössten Einfluss unter den Spechtarten dürfte wohl der Dreizehenspecht mit seinen hohen täglichen Futterrationen an Borkenkäfern und ihrer Brut haben. Diese Spechtart hat insbesondere in hohen Lagen mit nur einer Käfergeneration sehr wohl einen Einfluss auf die Borkenkäferpopulation.
Erz- und Brackwespen können ihre Vermehrungsrate sehr schnell der der Borkenkäferpopulation anpassen und so regulierend eingreifen.
Auch Pilze und Bakterien sind nicht sehr spezialisiert und können deshalb bei Massenvermehrungen schnell wirksam werden. Pilze sind besonders in feuchteren Gegenden wirksam.
Neben diesen natürlichen Gegenspielern gibt es aber noch weitere Faktoren, die eine Wirkung auf die Borkenkäferentwicklung haben:
- Zeitpunkt der Massenvermehrung
- Temperatur und Witterung
- Jahreszeit
- Wechselwirkung zwischen den Gegenspielern
- lokale Besonderheiten
- Befallsdisposition potenzieller Wirtsbäume sowie
- Bekämpfungsmassnahmen durch den Forstbetrieb
Borkenkäfer-Gegenspieler und ihre Eignung für biologische Maßnahmen
Natürliche Gegenspieler sind oftmals vorhanden, aber zumeist auf natürlichem Wege nicht in der Lage, die Borkenkäfer entsprechend einzudämmen oder gar auszulöschen. In der folgenden Tabelle sind einige biologische Massnahmen aufgelistet mit einer Einschätzung der Eignung für die Bekämpfung bzw. Zucht.
- Mögliche biologische Massnahmen gegen Borkenkäfer.
Gegenspieler | Wirtstier | Eignung für Zucht und Bekämpfung |
Räuber | ||
Ameisen-Buntkäfer | Larven fressen Eier, Larven, Puppen div. Borkenkäferarten; Käfer jagen schwärmende Borkenkäfer auf Holz | lässt sich im Labor gut züchten; Massenproduktion aufwändig |
Rindenglanzkäfer (div. Arten) | auf bestimmte Borkenkäferarten spezialisiert | erhebliche Potenz zur Verminderung von Borkenkäferpopulationen; Versuche zur Massenzucht und Freilassung dieser effizienten Räuber wären lohnenswert |
Flachkäfer (Nemosoma elongatum) | grosse Anzahl verschiedener Borkenkäferarten | recht große Potenz zur Verminderung von Borkenkäferpopulationen; Versuche zur Massenzucht und Freilassung wären lohnenswert |
Echter Schulterläufer (Grablaufkäfer) | bes. Linierter Nutzholzborkenkäfer | |
andere Laufkäferarten | verschiedene Borkenkäferarten | |
Kurzflügelkäfer | in den Brutbildern verschiedener Borkenkäferarten | |
Scheinrüssler | versch. Bockkenkäfer und deren Larven | |
Langbeinfliegen insbes. Medetera-Arten | div. Borkenkäferarten | |
Lanzett-, Zitter- und Blumenfliegen | div. Borkenkäferarten, bes. Buchdrucker | |
Kamelhalsfliegen | div. Borkenkäferarten | |
Weichhautmilben (Tarsonemoides) | Buchdrucker und andere Arten | |
Buntspecht | vereinzelt Borkenkäfer | als Gegenspieler eher bedeutungslos; andere Verwandte im Alpenraum sind da effektiver |
Dreizehenspecht | als Gegenspieler im Alpenraum sehr effektiv | |
Schwarzspecht | rinden- und holzbrütende Borkenkäfer | |
Parasitoide/Schmarotzer | ||
Erzwespen (verschiedene Tomicobia-Arten) | bes. Borkenkäfer an Nadelholz | |
Schlupfwespen | parasitieren zumeist grössere Bockkäferarten | |
Brackwespen | sind teilweise spezialisiert auf bestimmte Borkenkäferarten, meistens haben sie aber ein breiteres Spektrum an Beutetieren; sind sehr empfindlich gegenüber Pestiziden! | sehr empfindlich gegenüber Pestiziden! |
Krankheitserreger/Pathogene | ||
Pilze | alle Borkenkäferstadien können infiziert werden | effektive Gegenspieler; treten meist erst dann auf, wenn die Borkenkäferpopulation bereits eine bestimmte Größe erreicht hat und genügend Käfer vorhanden sind, um die Pilze weiterzuverbreiten |
Bakterien | sie werden mit der Nahrung aufgenommen und infizieren den Verdauungstrakt; verschiedene Borkenkäferarten | effektive Gegenspieler; treten meist erst dann auf, wenn die Borkenkäferpopulation bereits eine bestimmte Größe erreicht hat und genügend Käfer vorhanden sind, um die Bakterien weiterzuverbreiten |
Fadenwürmer | töten Wirtstier oder sterilisieren deren Weibchen; die Arten sind oft spezialisiert auf bestimmte Borkenkäferarten |
Fazit
- Alle Gegenspieler der Borkenkäfer zusammen können Massenvermehrungen nicht verhindern, sondern höchstens in ihrem Ausmass begrenzen.
- Aber sie spielen eine wichtige Rolle beim Zusammenbruch der Borkenkäferpopulation und in der anschliessenden Phase bis zum nächsten Anstieg der Borkenkäferzahl.
- Vorausgesetzt, es herrschen keine extremen Witterungsbedingungen wie in den vergangenen Jahren, sorgen die Gegenspieler dafür, dass sich die Borkenkäferpopulationen nicht unbeschränkt vermehren.
- Die Förderung der natürlichen Gegenspieler gehört daher zu einem modernen Waldschutz unbedingt dazu.