Von den 112 in der Schweiz und den gegen 300 in Europa vorkommenden Borkenkäferarten befällt nur etwa ein gutes Dutzend in grösserem Ausmass lebende Bäume. Da diese Arten ökonomische Verluste verursachen können, werden sie als Schädlinge eingestuft. Borkenkäfer spielen aber eine wichtige ökologische Rolle beim Abbau von frischem Totholz oder bei der Gestaltung ganzer Lebensräume und sind daher wichtige Komponenten in der langfristigen, natürlichen Dynamik vor allem von Nadelwäldern. Wegen der wirtschaftlichen Bedeutung der schädlichen Arten wurden umfangreiche Untersuchungen zu ihren natürlichen Regulationsfaktoren durchgeführt, insbesondere zur Bedeutung von Spechten, räuberischen Käfern und Fliegen sowie von parasitischen Wespen.
Als Räuber bezeichnet man Gegenspieler (Antagonisten), die für ihre Entwicklung mehrere Beutetiere benötigen und meist grösser als ihre Beute sind. Die wichtigsten räuberischen Artengruppen – neben den weiter unten behandelten Spechten – finden sich unter den Käfern und Fliegen sowie den Milben (Abb. 2–4). Parasiten und Parasitoide entwickeln sich an oder in einem Wirt. Bei Parasiten überlebt der Wirt die Parasitierung meistens, bei Parasitoiden stirbt er ab. Hier von Interesse sind insbesondere Parasitoide. In der Regel sind dies ebenfalls Insekten. Pathogene sind Krankheitserreger.
Die wichtigsten Räuber, Parasiten und Pathogene («Natürliche Feinde») werden hier vorgestellt. Ihre Lebensweise und Wirkung werden im Originalartikel Natürliche Feinde von Borkenkäfern (Merkbl. Prax. 67) besprochen.
Räuberische Insekten
Fast 70 räuberischen Käferarten und über 30 Fliegenarten sind als Räuber von Borkenkäfern bekannt. Einige weitere Insekten ernähren sich mindestens fakultativ von Borkenkäfern.
Käfer
Fliegen
Weitere räuberische Insekten
Räuberische Milben
Betrachtet man Brutbilder von Borkenkäfern unter der Lupe, entdeckt man häufig eine reichhaltige Milbenfauna. Die Mehrzahl dieser Milben lebt allerdings von Pilzen, Nematoden oder anderen Organismen und benützt die Borkenkäfer lediglich als Vektoren (Transportvehikel), um von einem Baum zum anderen zu gelangen und neue Nahrungsquellen zu erschliessen. Einige wenige Arten leben aber räuberisch von Borkenkäfern und saugen deren Eier, Larven und Puppen aus.
Parasitoide
Die wichtigsten parasitischen Insekten sind die über 150 parasitoiden Wespenarten («Schlupfwespen» im weitesten Sinne). Sie töten während ihrer Larvalentwicklung genau einen Wirt. Die adulten Wespen nehmen als Nahrung nur Pollen, Nektar und Honigtau zu sich. Sowohl Eier, Larven, Puppen als auch adulte Borkenkäfer können spezialisierten Parasitoiden zum Opfer fallen. Ganz selten werden Eier parasitiert. Die Larven der meisten Parasitoiden leben dagegen ektoparasitisch an Larven oder Puppen von Borkenkäfern. Schliesslich gibt es noch Adultparasitoide. Sie überfallen sich einbohrende Borkenkäfer und injizieren ihnen ein Ei.
Räuberische und parasitische Larven (Auswahl)
Buntkäfer
Thanasimus formicarius
Kurzflügler
Nudobius lentus
Lanzenfliegen
Lonchaea sp.
Blumenwanzen
Scoloposcelis pulchella
Rindenglanzkäfer
Rhizophagus grandis
Kamelhalsfliegen
Phaeostigma notata
Langbeinfliegen
Medetera signaticornis
Pteromaliden
Roptrocerus xylophagorum
Weitere Fotos von Borkenkäfer-Gegenspielern siehe www.wsl.ch/antagonisten ➝ Bildgalerie.
Spechte
Neben den wirbellosen natürlichen Feinden von Borkenkäfern spielen auch Spechte eine gewisse Rolle als Antagonisten. Einerseits picken sie Käfer von der Rindenoberfläche und hacken Larven, Puppen und Jungkäfer aus der Baumrinde heraus. Anderseits fallen abgehackte Rindenplatten mit der darunterliegenden Borkenkäferbrut zu Boden, wo die Borkenkäferbrut entweder vertrocknet, von Vögeln aufgepickt oder von räuberischen Insekten und Kleinsäugern gefressen wird. In europäischen Fichtenwäldern ist der Dreizehenspecht ein wichtiger natürlicher Feind von Borkenkäfern (Abb. 8).
Abb. 8. Der Dreizehenspecht (Picoides tridactylus) ernährt sich vor allem von Borkenkäferlarven. Er ist deshalb vorwiegend in totholzreichen Fichtenwäldern zuhause. Das Männchen unterscheidet sich vom Weibchen gut durch seinen gelben Scheitel. Foto: Beat Wermelinger
Pathogene
Wie andere Insekten werden auch Borkenkäfer von verschiedenen Pilzen, Viren, Einzellern oder Nematoden befallen. Die wichtigsten und auch auffälligsten Pathogene (Krankheitserreger) sind die Pilze. Die wichtigste Art beim Buchdrucker ist Beauveria bassiana (Abb. 9).
Abb. 9. Oft finden sich in den Brutbildern des Buchdruckers vom Pilz Beauveria bassiana befallene Tiere. Foto: Beat Wermelinger
Andere Pathogene wie Viren und Einzeller (z. B. Bakterien, Protozoen, Mikrosporidien, Amöben) werden von Borkenkäfern beim Fressen aufgenommen. Sie vermehren sich in deren Darmgewebe, dessen Zellen sie durch Toxine zerstören.
Nematoden oder Fadenwürmer stechen mit ihrem hohlen Stilett (Mundwerkzeuge) das Gewebe von Wirtstieren an und saugen es aus. Die höchstens wenige Millimeter langen Tiere dringen durch die Haut, die Mund- oder Afteröffnung ins Körperinnere ihres Wirtes, wo sie in der Körperhöhle Zellen anstechen und aussaugen. Der Beitrag von Nematoden zur Regulation von Borkenkäfern ist unklar, dürfte aber eher bescheiden sein.
Bedeutung natürlicher Feinde
Obwohl Spechte die auffälligsten Gegenspieler von Borkenkäfern sind, wird ihnen im Allgemeinen keine entscheidende Rolle bei der Regulation von Borkenkäfer-Massenvermehrungen zugeschrieben. Obwohl es eine Vielzahl von Untersuchungen über die Mortalität von Borkenkäfern durch räuberische und parasitische Arthropoden sowie Pathogene unter Labor- und Freilandbedingungen gibt, kann ihre Wirkung nicht generell in Zahlen gefasst werden. Räuberische Insekten und Milben werden aber im Vergleich zu den Parasitoiden als sehr bedeutend betrachtet und können hohe Absterberaten bei Borkenkäfern verursachen.
Die Gesamtwirkung aller antagonistischen Organismen hängt von zahlreichen Faktoren ab: Witterung, Zeitpunkt innerhalb einer Massenvermehrung, Wechselwirkungen innerhalb von Antagonisten (Spechte und räuberische Arthropoden fressen auch andere räuberische oder parasitische Insekten), Jahreszeit, lokale Besonderheiten und nicht zuletzt die Bekämpfungsmassnahmen des Menschen. Natürliche Feinde verhinden aber in der Latenzphase weitgehend, dass die Borkenkäferpopulationen eine Grösse erreichen können, die es ihnen erlaubt, auch vitale Bäume zu befallen. Erst ein Sturm oder eine Schwächung der Bäume führen dazu, dass sich die Borkenkäfer so stark vermehren können, dass genügend Käfer dem Tod durch natürliche Feinde entgehen, um vitale Fichten zu besiedeln.
Natürliche Feinde und Borkenkäferbekämpfung
Borkenkäfer werden üblicherweise bekämpft, indem die befallenen Bäume gefällt und aus dem Wald abgeführt werden. Dies zeigt aber nur Wirkung, wenn die Borkenkäfer tatsächlich noch im Baum und nicht schon ausgeflogen sind. Erfolgt diese Massnahme zu spät, kann sie sogar gegenteilige Wirkung haben, weil viele der natürlichen Gegenspieler des Buchdruckers später ausschlüpfen als diese Borkenkäferart (Abb. 10).
Abb. 10. Schematische Darstellung des relativen Schlüpfverlaufs des Buchdruckers und einiger Gruppen seiner häufigsten natürlichen Feinde beim Ausflug im Frühling.
Speziell nach dem Überwintern fliegen vor allem die Parasitoiden («Schlupfwespen») sowie räuberische Fliegen und gewisse räuberische Käfer bis zu fünf Wochen später als der Buchdrucker aus. Werden die abgestorbenen Fichten – die Wirtsbäume des Buchdruckers – in dieser Zeit gefällt und entrindet oder abgeführt, werden keine Borkenkäfer eliminiert, sondern nur die noch darin befindlichen Antagonisten abgetötet oder entfernt. Beim Schlüpfen der ersten Buchdruckergeneration im Sommer ist diese Verzögerung weniger ausgeprägt. Durch Borkenkäfer befallene Bäume, die schon seit mehreren Monaten verlassen sind und deren Rinde abgefallen ist, beherbergen keine natürlichen Feinde von Borkenkäfer mehr, sie sind jedoch für andere Totholzbewohner wertvoll.
Der Klimawandel führt dazu, dass die Borkenkäfer früher ausfliegen und sich schneller entwickeln. Gegen Ende dieses Jahrhunderts wird pro Jahr regelmässig eine Generation Buchdrucker mehr entstehen und im Schweizer Mittelland werden jährlich drei Generationen die Norm sein. Ob die natürlichen Feinde ebenfalls zusätzliche Generationen bilden werden und wie sich die Verschiebung ihrer jährlichen Flugzeiten auf die Regulation von Borkenkäfern auswirken wird, kann derzeit kaum beurteilt werden. Beispiele anderer Räuber-Beute-Beziehungen zeigen aber, dass sich die Synchronisation im Klimawandel häufig verschlechtert.
Literatur
Literaturverweise finden sich im Originalartikel (PDF).
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Wermelinger, B. (2021; 2., aktualisierte Auflage): Insekten im Wald – Vielfalt, Funktionen und Bedeutung. Eidg. Forschungsanstalt WSL, Birmensdorf; Haupt, Bern, 268 S.Preis: 49.90 CHF | ISBN: 978-3-258-08217-2
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