Vorbemerkungen

Die gesundheitliche Belastung, welche von der Behaarung der EPS-Raupe ab dem dritten Larvenstadium ausgeht, gewinnt vielerorts an Bedeutung und tritt zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit. Die Bekämpfung mit Insektiziden/Bioziden kann naturschutzfachlich kritisch gesehen werden, und auch das Absaugen der Gespinste bedeutet einen merkbaren finanziellen Aufwand für Städte und Gemeinden. Deshalb wird nach alternativen biologischen Bekämpfungsmethoden gesucht, um die Vermehrung und Ausbreitung der Schmetterlinge einzudämmen.
Diesbezüglich untersucht das Team Wald- und Klimaschutz aktuell zwei Ansätze. Zum einen wurde geprüft, ob Meisen als Fressfeinde von EPS-Raupen fungieren können und die Raupen an ihre Brut verfüttern. Dabei wäre das Aufhängen von Meisennistkästen in hoher Dichte das Mittel der Wahl. Zum anderen wird in einem noch laufenden Versuch getestet, ob die im Weinbau etablierte „Verwirrmethode“ auf EPS-Falter übertragbar ist. Bei solchen Maßnahmen werden die männlichen Falter durch ein Überangebot an Sexuallockstoffen so verwirrt, dass sie den Partner nicht finden können und somit eine Vermehrung der Tiere ausgeschlossen werden kann.

Sind Meisen Fressfeinde des Eichenprozessionsspinners?

Einleitung

2020 installierten die Stadt Recklinghausen und der NABU Ostvest im Spätwinter (Jan./Feb. 2020) insgesamt ca. 100 Meisennistkästen in Eichenbeständen rund um Recklinghausen und Oer-Erkenschwick, in denen ein Jahr zuvor massiver EPS-Befall aufgetreten war. Die Hoffnung ist, dass unter anderem Meisen die Raupen des EPS an ihre Brut verfüttern (zumindest die ersten beiden Larvenstadien ohne Brennhärchen). Ob sich diese Vermutung bestätigt und ob die Meisen zu einer Minimierung der EPS-Population bzw. der von ihr ausgehenden Gefahr beitragen, wird in diesem Versuch vom Team Wald- und Klimaschutz untersucht.

Methode

An zwei verschiedenen Standorten werden an insgesamt drei Meisennistkästen Wildkameras installiert, welche die Belichtung durch einen Bewegungs- bzw. Temperatursensor automatisch auslösen können (siehe Abbildung 1). Die Kameras weisen eine möglichst kurze Reaktionszeit auf, um die schnellen Bewegungen der anfliegenden Vögel festhalten zu können. Verwendet wird die Wildkamera "SECACAM® Pro" (zweimal) und die "DÖRR® SnapShot Cloud 4G" (einmal). Die Nistkästen selber werden nicht an Eichen angebracht, weil die Gefahr besteht, dass sich die EPS-Raupen dort hineinbegeben. Stattdessen werden benachbarte Birken oder Kiefern genutzt. Die Anbringung der Kameras erfolgt durch ein eigens entworfenes "Baumstativ", welches am Baum befestigt wird. Die Datenübertragung von Bildern und Einstellungsmöglichkeiten der DÖRR-Wildkamera erfolgt über eine SIM-Karte. Diese Eigenschaft ermöglicht es, die aufgenommenen Bilder vom Büro aus zu überprüfen und ggf. Einstellungen vom Computer aus zu ändern.

Ergebnisse

Während des Untersuchungszeitraums von Anfang April bis Ende Mai 2020 wurden insgesamt 22.629 Fotografien aufgenommen und ausgewertet. Auf rund 75 % der Bilder sind keine Vögel abgelichtet, weil der Bewegungsmelder häufig durch Wind und sich bewegendes Laub ausgelöst wurde. Auf 5.689 Bildern mit Vögeln wurden bei 6 % Vögel mit Nahrung im Schnabel fotografiert. Detaillierte Ergebnisse sind der Tabelle 1 zu entnehmen.

Tabelle 1: In den Anfang April angebrachten Nistkästen haben folgende Vogelarten gebrütet. Die Aufnahmen sind ausgewertet und wie folgt differenziert worden.

Bei Fotos mit Nahrungseintrag sind keine klaren Anzeichen einer EPS-Raupe zu erkennen, obwohl die Bestände dieses Jahr erneut stark befallen waren. Somit standen zumindest die EPS-Raupen als potenzielle Nahrungsquelle ausreichend zur Verfügung. Häufig waren dagegen hellgrüne Larven in den Schnäbeln der Meisen zu erfassen, deren Habitus EPS-Raupen aber ausschließen. Dies ist am Standort "Haltern am See" bei insgesamt 83 Nahrungseinträgen 71-mal (86 %) der Fall gewesen. Die restlichen Einträge sind nicht näher bestimmbar, so dass EPS-Raupen nicht ausgeschlossen werden können. Tabelle 2 zeigt die Ergebnisse der weiteren Fotofallen.

Tabelle 2: Da die Kameras Bilderserien mit max. fünf Fotos hintereinander aufnehmen, werden diese in separate Situationen differenziert. Zudem wird der Nahrungseintrag dargestellt, welcher relativ leicht zu identifizieren ist, wenn dieser aus grünen Raupen besteht. Grüne Raupen schließen Eichenprozessionsspinnerraupen aus.

Fazit

Die These, dass Meisen während ihrer Brutaufzucht die Population von Eichenprozessionsspinnerraupen soweit dezimieren können, dass von ihnen eine spürbar geringere Gefahr ausgeht, konnte in diesem Versuch nicht bestätigt werden. In Haltern am See bestand der dokumentierte Futtereintrag trotz eines starken EPS-Befalls der dortigen Eichengruppe zu 86 % aus hellgrünen, nicht näher bestimmbaren Raupen. In diesem Fall nutzten Meisen nicht das potenzielle Nahrungsüberangebot an EPS-Raupen, sondern meiden diese augenscheinlich. Um eine eventuell mögliche Artbestimmung der Räupchen zukünftig zu ermöglichen, ist die technische Umsetzung der Vogelbeobachtung zu optimieren.

Verwirrmethode beim Eichenprozessionsspinner (EPS)

Bei der Verwirrmethode handelt es sich um ein biotechnisches Verfahren, welches seit 1985 vor allem im Weinbau zur Bekämpfung des Einbindigen Traubenwicklers (Eupoecilia ambiguella) und des Bekreuzten Traubenwicklers (Lobesia botrana) erfolgreich eingesetzt wird. Durch das engmaschige Anbringen synthetischer Sexuallockstoffe (Pheromone) der Weibchen auf der zu schützenden Fläche wird ein Überangebot an Pheromonen geschaffen, durch das die Männchen ihre potenziellen Sexualpartnerinnen nicht finden können. Die Paarfindung soll dadurch gestört und die Fortpflanzung verhindert werden. Die Verwirrmethode ist sehr artspezifisch, da jede Art eigene Pheromone nutzt. Diese Methode funktioniert allerdings nicht bei bestehenden Massenvermehrungen, da sich hierbei so viele Falter während des Hochzeitsfluges in der Luft befinden, dass es zu einer beträchtlichen Anzahl von Zufallstreffen der Partner kommt.

Bei diesem Versuch, der in Kooperation mit der Unteren Naturschutzbehörde Hamm stattfindet, werden die im Wein- und Obstbau praxiserprobten Verfahren auf eine mit EPS befallene Eichenallee in Hamm-Bockum übertragen. So wurden im Juli 2020 500 EPS-Pheromondispenser je Hektar vor dem Hochzeitsflug der Falter direkt in den Baumoberkronen platziert. Ein Dispenser deckt also eine Fläche von 20 m2 ab. Damit erzeugen die quasi wie an einer Perlenkette im Abstand von 4,5 m an Schnüren befestigten Dispenser eine flächendeckende "Pheromonwolke". Um die Gefahr von Zufallstreffen der Sexualpartner möglichst gering zu halten, wurden die EPS-Nester in der Eichenallee vor der Durchführung des Versuchs abgesaugt und dies dokumentiert. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass allein das Absaugen der Nester nicht zu einem Rückgang des EPS-Befalls im nächsten Jahr führt. Ziel ist es, die EPS-Populationsdichte auf einen Minimalwert zu senken.

Eine besondere technische Herausforderung war die Platzierung der Dispenser in den mehr als 20 m hohen Eichenkronen. Schließlich obsiegte der Einsatz einer Armbrust, mit deren Hilfe die Schnüre über die Eichenkrone geschossen werden konnten. Durch ein Zusammenknoten der Schnurenden wurde außerdem eine Revisionsmöglichkeit geschaffen. Da die Wirkdauer der Dispenser nur ca. sechs Wochen beträgt und der Hochzeitsflug der Falterpopulation sich über acht Wochen hinziehen kann, wurden die Dispenser einmal erneuert.

Die Beurteilung des Versuchserfolges wird 2021 anhand der gewonnenen Erkenntnisse auf der behandelten Fläche im Vergleich zu einer ca. 10 km entfernt liegenden, nicht behandelten Fläche vorgenommen. Als Erfolgsmaßstab wurde der für die Grünflächenämter wichtige Arbeitsaufwand für abzusaugende EPS-Nester festgelegt. 2021 dienen also die Zahlen der entfernten Nester als Vergleichskriterium. Die Befallsintensitäten vor dem Versuchsbeginn wurden ebenso anhand der Anzahl abgesaugter Nester ermittelt.
Unter optimalen Bedingungen werden im Weinbau mit der Verwirrmethode Wirkungsgrade von über 90 Prozent erreicht. Wie dies bei der „EPS-Verwirrung“ aussieht, wird das Jahr 2021 zeigen.