Jedes Frühjahr durchstreift Arto Maaranen aufmerksam seinen Birkenwald. Prächtige, gesunde Birken, gerade gewachsen, 40 bis 60 Jahre alt. 7 Hektaren Birkenwald besitzen er und seine Frau Susanna in Tohmajärvi, einem abgelegenen Winkel in Karelien im finnisch-russischen Grenzland, rund 500 km nordöstlich von Helsinki. Maaranen sucht nach Zeichen, die das Erwachen der Birken signalisieren.

Er greift nach einem Zweig und knickt ihn ab. Wenn es an der Bruchstelle tropft, sagt er, sei das ein sicherer Beweis, dass "Mahla", Birkensaft, aus den Wurzeln nach oben ins Geäst strömt. Mit dem Ohr an der Rinde könne er sogar das Strömen des Birkensafts hören, behauptet er. Nach einer alten finnischen Volksweisheit fliesst "Mahla", wenn der Schnee um den Fuss der Birke kreisförmig abgeschmolzen ist.

Positive Gesundheitswirkungen vermutet

Rund vier Wochen lang, etwa zwischen Anfang April und Mitte Mai, "pumpen " die Birken die im letzten Sommer gespeicherte Nahrung aus den Wurzeln in die Knospen. Dann werden sie von vielen Bauern oder Städtern mit Waldbesitz zur Ader gelassen. Man "melkt" die Birke vor allem für den Hausgebrauch – und das schon seit Jahrhunderten, denn dem Saft werden zahlreiche positive Gesundheitswirkungen nachgesagt.

Erforscht ist dieser Bereich leider wenig. Laut Heikki Kallio, Professor für Lebensmittelchemie an der Universität Turku, ist die Zusammensetzung des Birkensafts sehr gut bekannt. Der Saft enthalte in stark verdünnten Mengen viele Mineralstoffe und Spurenelemente, darunter Kalzium, Magnesium, Natrium, Zucker und Fruktose. Kallio bestätigt, dass es zahlreiche empirische Erfahrungen und Ansichten über die positiven Gesundheitswirkungen des Birkensafts gibt. Was bisher jedoch fehle seien systematische, klinische Untersuchungen. Kallio zählt zu jenen, die eine gründlichere Erforschung des Birkensafts befürworten. Als mögliche Schwerpunkte nennt der Lebensmittelchemie-Experte die Wirkungen des Safts bei Altersdiabetes, seine Wirkungen auf Harnwege und Nieren sowie auf das körperliche Wohlbefinden allgemein.

Birkensaft gewerblich gewinnen?

Arto und Susanna Maaranen beliessen es nicht beim Abzapfen für den Hausgebrauch. Mitte der 1990er-Jahre traf das Ehepaar einen radikalen Beschluss. Arto, um die 40 und damals im Marketing tätig, und Susanna, von Beruf Übersetzerin, kauften ein altes Haus und 7 ha Birkenwald in Tohmajärvi und gründeten die Firma Oy Aurinkolehto LTD, um die Gewinnung von Birkensaft auf kleinindustrieller Basis zu entwickeln. Das hatte bisher noch niemand versucht.

Sie seien keine Ökospinner, versichert die blonde Finnin lachend. Vor allem die Berichte über die positiven Wirkungen des Birkensafts hätten sie in dem Gedanken bestärkt, dass es für ein solches Produkt auch Käufer geben müsste. "Es gibt Erfahrungen und Auffassungen, dass das regelmässige Trinken von Birkensaft bei reumatischen Gelenkerkrankungen, Magenreizungen, bei Pollenallergien und Kopfschmerzen lindernd wirkt. Berichtet wird auch über die allgemein belebende Wirkung des Safts, und dass er das Gefühl von Hunger verzögere, zum Beispiel bei Arbeitsstress. Von Professor Kallio erfuhren wir, dass Bauern in vergangenen Zeiten im Frühjahr ihren Kühen Birkensaft gaben, um sie nach dem langen Winter schnell zu kräftigen."

Kabelsalat im Birkenwald

Gleich hinter dem geräumigen Haus, in dem sich neben der Wohnung auch die Produktions- und Lagerräume befinden, beginnt der Birkenwald. Rund 700 Bäume sind durch dünne Rohre miteinander verbunden. Jede Birke ist in etwa zwei Metern Höhe angebohrt. Löcher, zwei Zentimeter gross und je nach Baumdicke 5 bis 8 cm tief. Aus den Löchern rinnt der Birkensaft über Schläuche in Sammelrohre und weiter in die Verarbeitungsräume zum Abfüllen. Im Laufe der Saison lassen sich pro Birke zwischen 50 und 300 Liter Saft gewinnen. Schaden nehme der Baum dabei nicht, denn nur ein Bruchteil seiner flüssigen Nahrung wird abgezweigt, versichert Arto. Alte Zapflöcher würden im Laufe der Zeit wieder zuwachsen.

Der Saft ist nach dem Abzapfen glasklar und wird umgehend in einer automatischen Anlage in Halbliterflaschen abgefüllt. Dieser Teil der Produktion bleibt allerdings fremden Augen verschlossen. Arto Maaranen: "Wir haben rund zehn Jahre getüftelt, experimentiert und viel Geld investiert. Mehr kann ich nicht verraten. Das ist Geschäftsgeheimnis. Nur so viel: Es ist ein hundertprozentiges Naturprodukt. Der abgefüllte Birkensaft enthält keinerlei Zusätze."

Haltbarkeitsproblem gelöst

Der Weg bis zum verkaufsreifen Produkt verlief keinesfalls geradlinig. Die Hauptschwierigkeit bestand darin, dass sich der abgefüllte Birkensaft anfangs nur im Kühlschrank, nicht aber bei Zimmertemperatur hielt. "Mehrmals mussten wir am Ende der Zapfsaison enttäuscht feststellen: Der Saft verdirbt zu schnell. Ein fertiges Produkt ist das immer noch nicht", berichtet Susanna. In Zusammenarbeit mit Laboratorien und Lebensmittelchemie- Experten, nach vielen Studien und Tests, gelang es schliesslich, das Haltbarkeitsproblem des Birkensafts zu lösen.

Im Frühjahr 2001 ging der erste abgefüllte Saft in den Verkauf. Seitdem floriert der Absatz, aber der finnische Markt ist zu klein. Bis zu 97% gehen in den Export. Neben Mitteleuropa hat man vor allem den japanischen Markt erobert. Stolz verliest Susanna die Einschätzung des Japanischen Geschmacksrats: "Unser Birkensaft schmeckt leicht süsslich und enthält das feine Aroma des Baumes." Auch in Finnland ist man auf das innovative und beharrliche Unternehmerehepaar aufmerksam geworden. Im November 2002 wurde die Firma Aurinkolehto von Präsidentin Tarja Halonen für die industrielle Herstellung von Birkensaft und für die Lösung des Haltbarkeitsproblems mit dem INNOFINLAND-Preis ausgezeichnet.

(TR)