Erstdurchforstung in Sturmfolgebeständen
Planmäßiges forstliches Handeln wird durch Sturmereignisse beeinflusst. Knapp 20 Jahre nach dem Orkan "Lothar", der allein in Baden-Württemberg etwa 40.000 ha Kahlflächen hinterlassen hat, wachsen die Folgebestände nun in einen Höhenbereich, in dem sie zur Erstdurchforstung anstehen.
Ziele der Untersuchung
Im Rahmen einer Bachelorarbeit an der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg wurden geeignete Arbeitsverfahren und Maschinentechnik für die Bearbeitung solcher Erstdurchforstungsflächen gesucht. Die Ziele der Arbeit waren:
- Identifikation geeigneter Arbeitsverfahren und Maschinentechnik für Erstdurchforstungsbestände in Sturmfolgeflächen;
- Ermittlung von allgemeinen Kennzahlen sowie von Leistungsdaten der Harvesteraufarbeitung;
- Vergleich zweier teilmechanisierter Arbeitsverfahren im Rahmen eines Praxisversuchs;
- Empfehlung zum praktischen Vorgehen in Erstdurchforstungsbeständen.
Die Diversität von Sturmfolgebeständen hinsichtlich der Baumartenzusammensetzung, der Topographie und weiterer Bestandesmerkmale, welche auch durch regionale Gegebenheiten beeinflusst werden, machen eine Eingrenzung des Betrachtungshorizontes notwendig. Im Fokus der Arbeit lagen nadelholzgeprägte Erstdurchforstungsflächen mit einem Ndh-Anteil von min. 60% in befahrbaren Lagen (Hangneigung max. 40%) und mit unterschiedlichen Pflegezuständen im Höhenbereich zwischen 9 m und 21 m (Abb. 1).
Expertenbefragung
Zur Identifikation geeigneter Arbeitsverfahren in Erstdurchforstungsflächen sowie geeigneter Maschinentechnik wurden leitfadengestützte Experteninterviews durchgeführt. Befragt wurden Experten aus den folgenden Bereichen: Revierleiter, Einsatzleiter, Bedienstete der forstlichen Bildungszentren, Forstunternehmer und Vertreter der Forsttechnik. Durch die Interviews konnten Erfahrungswerte, die aus der Bearbeitung entsprechender Erstdurchforstungsflächen nach Sturmkalamitäten vergangener Jahre stammten, gesammelt werden.
Weiterhin wurden in einem Praxisversuch zwei teilmechanisierte Arbeitsverfahren, die beide eine Systematisierungskomponente beinhalteten, getestet und miteinander verglichen.
Die Experteninterviews ermöglichten folgende Erkenntnisse:
Eigenschaften der Sturmfolgebestände
Sturmfolgebestände zeigen viele Gesichter und sind in der Regel durch einen inhomogenen Bestandesaufbau geprägt. Dies gilt besonders dann, wenn die Wiederbewaldung über natürliche Sukzession geschah und eine Jungbestandspflege nicht stattgefunden hat. Dadurch unterscheiden sich auch die Ausgangsituationen in den Erstdurchforstungsbeständen. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal ist der Pflegezustand der Bestände. Landesweit finden sich einerseits vorgepflegte Bestände, welche im Rahmen eines Jungbestandspflegeeingriffs in ihrer Stammzahl reduziert wurden. Daneben gibt es aber auch große Flächen, in denen auf die Durchführung eines Pflegeeingriffs verzichtet wurde, mit der Folge, dass die Bestände im Ersteingriff gravierende Probleme verursachen. Gründe hierfür sind vor allem in der sehr hohen Ausgangsstammzahl von bis zu 10.000 N/ha und dem damit verbundenen hohen Dürrholzanteil zu sehen.
Mögliche Arbeitsverfahren
Ob ein Arbeitsverfahren sinnvoll angewendet werden kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Entscheidend ist zum einen der Ausgangsbestand und dabei vor allem die Parameter Stammzahl, Baumhöhe sowie der Differenzierungsgrad der Bäume. Weiterhin beeinflussen die waldbauliche Vorgehensweise und der zu Grunde liegende Rückegassenabstand das Arbeitsverfahren. Bei letzterem ist die betriebliche Zielsetzung zu beachten. Diese vielschichtigen Einflussfaktoren machen eine getrennte Betrachtung verschiedener Ausgangssituationen notwendig. Abb. 2 zeigt eine Entscheidungshilfe zum Vorgehen in Sturmfolgebeständen. Diese ist eine Zusammenfassung der aus den Interviews gewonnenen Erkenntnisse und gibt zugleich eine Empfehlung für verschiedene Bestandessituationen.
Während in ausdifferenzierten und vorgepflegten Beständen grundsätzlich ein selektives Z-Baum-orientiertes Vorgehen gewählt werden sollte, ist dies in homogenen, indifferenten Beständen mit hoher Stammzahl nicht ratsam beziehungsweise nicht möglich, da die Sicht stark eingeschränkt ist. In diesem Fall sollte über ein systematisches Vorgehen zunächst Struktur in die Bestände gebracht werden, um diese begehbar zu machen und die Differenzierung der Bestände zu fördern. Die "Leitergangdurchforstung" oder die "freie Kranzonendurchforstung" stellen Möglichkeiten dar, um die Stammzahl zu reduzieren. Gleichzeitig Erleichtern diese Eingriffe die Orientierung im Bestand beim Auszeichnen der Folgedurchforstungen.
Eine mehrphasige Aufarbeitung ist bei 40 m Rückegassenabständen unbedingt zu empfehlen. Dabei sollten in der ersten Phase die Rückegassen angelegt und zugleich die Kranzone durch den Harvester bearbeitet werden, ehe in Phase 2 die Bäume aus dem Mittelblock vorgerückt und in einem zweiten Harvesterdurchgang aufgearbeitet werden. In vorgepflegten Beständen kann dabei auf ein Zwischenrücken verzichtet werden. In ungepflegten Beständen ist es jedoch ratsam, das Holz zwischen den beiden Phasen zu Rücken, um wieder Platz für die Ablage der Sortimente zu schaffen.
Maschinentechnik
Es sollte ein Harvester aus dem Klein- bis Mittelklassesegment zum Einsatz kommen. Die Maschine sollte dabei klein und wendig sein, um ein möglichst pflegliches und ökonomisches Arbeiten zu ermöglichen. Die Hydraulikpumpe der Trägermaschine muss genügend Öldruck liefern, um schnelle Kranbewegungen zu gewährleisten. Weiterhin sollte die Maschine einen 10 m Kran besitzen. Diese Punkte sprechen für den Einsatz einer Spezialmaschine. Entscheidend ist desweiteren, dass der Kran möglichst dicht neben der Kabine und die Kabine möglichst niedrig montiert ist. Beides soll die Sicht, welche durch den dichten Bestand stark eingeschränkt wird, auf den Entnahmebaum verbessern. Beim Aggregat sollte auf ein kleines Harvesteraggregat zurückgegriffen werden, welches im Optimalfall eine integrierte Sammelfunktion besitzt. Wichtig ist, dass Sortimente ausgehalten werden können, weil in Erstdurchforstungsbeständen in der Regel bereits schwache Sägeholzabschnitte anfallen. Insofern ist vom Einsatz eines reinen Energieholzaggregats abzuraten. Der maximale Aufarbeitungsdurchmesser dieser kleinen Harvesteraggregate bewegt sich je nach Fabrikat zwischen 35 und 50 cm.
Praxisversuch
Abb. 4: Der Rottne h 11 mit 10 m Kranreichweite und LogMax 5000 Aggregat.
Abb. 5: Leitergang mit vorgerrückten Stämmen.
Abb. 6: Im Bestand wurde eine Z-Baum orientierte Hochdurchforstung durchgeführt.
Der Praxisversuch wurde im Staatswald des Landkreises Biberach durchgeführt. Die Gesamtversuchsfläche von ca. 6 ha, welche sich auf zwei Waldorte verteilte, wurde in vier Teilflächen untergliedert. In zwei Versuchsflächen (V1 und V3) kam das Verfahren "Leitergangdurchforstung" zum Einsatz, in den anderen beiden (V2 und V4) wurde das Verfahren "freie Kranzonendurchforstung" durchgeführt. Die Verfahren werden im Folgenden beschrieben. Die Aufarbeitung erfolgte mit einem Harvester h11 der Firma Rottne (Abb. 4). Dieser ist mit einer Nennleistung von 164 kW ein Harvester aus dem mittleren Leistungssegment. Im Fokus lag die Harvesterleistung, welche über die Auswertung der Einzelstammdaten ermittelt wurde.
Leitergangverfahren
Dieses Verfahren lehnt sich an ein bei den Bayrischen Staatsforsten entwickeltes Verfahren an. Es handelt sich um ein zweiphasiges, teilmechanisiertes Verfahren für 40 m Rückegassenabstände. In Phase 1 werden zunächst die Rückegassen in den Bestand geschnitten und zugleich werden vom Harvester sogenannte "Leitergänge" angelegt (Abb. 5). Darunter versteht man 2 m breite Linien, die orthogonal zur Rückegasse im Abstand von 10 m in die Kranzone geschnitten werden. Auf diesen Leitergängen werden vom Harvesterfahrer konsequent alle Bäume entnommen. Der Verlauf der Rückegassen sowie die Leitergangmitten werden vorab vom Revierleiter angezeichnet. Die anschließende Rückung des angefallenen Holzes beendet die erste Aufarbeitungsphase.
Die zweite Phase soll dann zeitlich entkoppelt, etwa 1 bis 2 Jahre später durchgeführt werden. Zu Beginn wird der Bestand zunächst Z-Baum-orientiert ausgezeichnet. Anschließend wird das Holz aus dem Mittelblock vorgerückt, dazu sollen nach Möglichkeit die angelegten Leitergänge genutzt werden. Es folgt dann die Aufarbeitung des vorgelieferten Holzes durch den Harvester. Dieser bearbeitet zugleich die Zwischenfelder der Kranzone. Zuletzt werden die Sortimente wiederum durch einen Forwarder gerückt.
Freie Kranzonendurchforstung
Ebenso wie beim Leitergangverfahren handelt es sich um ein zweiphasiges, teilmechanisiertes Verfahren, das für 40 m Rückegassenabstände konzipiert ist. In der ersten Aufarbeitungsphase werden vom Harvester zunächst die Rückegassen angelegt. Zudem tätigt er weitere Entnahmen in der Kranzone, gemäß im Arbeitsauftrag definierter Kriterien wie zum Beispiel: die Entnahme von Protzen oder offensichtlich beschädigter Bäume, vereinzeln besonders dichter Bestandespartien, Entnahme behindernder Dürrständer etc. Zu diesem Zeitpunkt ist der Bestand noch nicht ausgezeichnet. Die Rückung der Abschnitte beendet Phase 1. Der weitere Verfahrensablauf erfolgt nun analog zum Leitergangverfahren.
Nachdem sich die Kranzone bereits etwas stabilisiert hat, folgt 1 bis 2 Jahre später die zweite Aufarbeitungsphase. Der Bestand wird dazu positiv und negativ ausgezeichnet (Abb. 6). Anschließend werden die Bäume aus dem Mittelblock vorgeliefert und nachfolgend durch den Harvester aufgearbeitet. In diesem zweiten Harvesterdurchgang entnimmt der Harvester weitere Bäume aus der mittlerweile ausgezeichneten Kranzone. Schließlich werden die Kurzholzabschnitte gerückt und gepoltert.
Ausgangsbestände
Abb. 7: Ausgangsbestände der Versuchsflächen.
Die Baumartenzusammensetzung auf den Versuchsflächen war mit einem Anteil von 80% deutlich von der Fichte geprägt. Abb. 7 zeigt die Grundfläche und die Stammzahl je Hektar für die einzelnen Versuchsflächen sowie den Durchschnitt aller Flächen. Die mittlere Stammzahl lag bei etwa 2300 lebenden Bäumen je Hektar, bzw. 3200 St./ha inklusive der abgestorbenen Bestandesmitglieder. Die durchschnittliche Grundfläche betrug 38,6 m²/ha. Der mittlere Durchmesser lag bei etwa 13 cm und die mittlere Höhe bei etwa 16 m, daraus ergab sich ein mittlerer Vorrat von etwa 310 Vfm/ha.
Versuchsergebnisse
Abb. 8: Bhd des ausscheidenden Bestandes.
Abb. 9: Harvesterleistung und Vorrückeleistung je Versuchsfläche.
Der durchschnittliche Bhd des ausscheidenden Bestandes lag zwischen 14,3 und 16,2 cm. Im Mittel aller Versuchsflächen lag der Bhd des ausscheidenden Bestandes, über alle Aufarbeitungsphasen hinweg bei 15,3 cm. Abb. 8 zeigt den Bhd getrennt nach Versuchsflächen und Aufarbeitungsphase.
Auffällig ist, dass der Bhd im Verfahren "freie Kranzonendurchforstung" (V2 und V4) über alle Aufarbeitungsphasen nahezu gleich bleibt. In den "Leitergangflächen" (V1 und V3) steigt der Bhd dagegen von Phase 1 auf Phase 2 um 5% (V1) bzw. 8% (V3) an. Der niedrigere Bhd in Phase 1 ist dadurch zu erklären, dass auf den Leitergängen nicht selektiv vorgegangen wird, sondern alle Bäume entnommen werden. Zugleich lag die Leistungskennzahl bei den Entnahmen je Stunde auf den Leitergängen mit 153 St./Std. (V1) bzw. 139 St./Std. (V3) höher als in den übrigen Aufarbeitungsphasen.
Die beiden Einflussgrößen Brusthöhendurchmesser und Entnahmemenge je Stunde zeigen sich gegenläufig, sodass die Festmeterleistung je Stunde davon unbeeinflusst bleibt. Wie Abb. 9 zeigt, waren durch den Praxisversuch keine verfahrensbedingten Leistungsunterschiede [Fm/Std.] erkennbar.
In allen Versuchsflächen zeigt sich, dass die Harvesterleistung von Phase 1 auf Phase 2 deutlich ansteigt. Durchschnittlich steigt sie um 64% an, wobei der geringste Anstieg in Versuchsfläche 1 mit 34% zu verzeichnen ist. Der stärkste Leistungsanstieg wird mit 90% in Versuchsfläche 3, welche den dichtesten Ausgangsbestand aufwies, konstatiert. Absolut betrachtet, bewegte sich die Gesamtleistung des Harvesters zwischen 9 und 11 Fm/Std.
Zusammenfassung
- Jungbestandspflegemaßnahmen sollten auf Sturmfolgeflächen durchgeführt werden, um Folgeprobleme in der Erstdurchforstung zu verringern.
- Die Holzerntekosten sind bei 40 m Gassenabständen etwa doppelt so hoch wie in 20 m Gassensystemen. Daher sollten 20 m Rückegassenabstände, sofern dies aus bodenökologischer Sicht vertretbar ist, in Betracht gezogen werden.
- Verfahrensbedingte Leistungsunterschiede waren zwischen den Verfahren "Leitergangdurchforstung"“ und "freie Kranzonendurchforstung" nicht erkennbar.
- Für das Vorrücken aus dem Mittelblock brachten die Leitergänge keinen nennenswerten Vorteil.
- Bei 40 m Rückegassenabstand ist eine zeitlich entkoppelte, zweiphasige Aufarbeitung zu empfehlen.
Folgerungen
Mit Blick auf die großen Mengen an Erstdurchforstungsflächen ist eine Auseinandersetzung mit diesem Thema sowie die Konzeption eines geordneten Vorgehens zum Abbau der Pflegerückstände von großer Bedeutung. Grundsätzlich bedarf es bei der Frage nach der geeigneten Vorgehensweise in Erstdurchforstungsbeständen einer situativen Einzelfallenscheidung, um den vielschichtigen und regional differenzierten Gegebenheiten gerecht zu werden. Der dargestellte Entscheidungsbaum sollte dabei als Orientierung, bzw. als Hilfestellung angesehen werden.
"In Baden-Württemberg befinden wir uns erst am Anfang eines Dialogprozesses zwischen dem Waldbau und der Forst- bzw. Verfahrenstechnik," wie Werner Kieser anlässlich eines Experteninterviews resümierend feststellte. Angesichts der zunehmenden Brisanz dieser Thematik bedarf es des Dialogs und der Kompromissbereitschaft beider Seiten, um hier zeitnah zielführende Lösungen zu entwickeln.
Verweis
- Weitere Informationen und Auswertungen inklusive des vollständigen Literaturverzeichnisses sind der Bachelorarbeit von Andreas Rein zu entnehmen. Diese steht auf der Internetseite des Instituts für Waldarbeit zum Download bereit: institut-waldarbeit.de/forschung/diplom-bachelorarbeiten.html.