Rehe (Capreolus capreolus) kommen flächendeckend in ganz Baden-Württemberg vor. Die Entwicklung der Population wird anhand der Jagdstrecke abgeschätzt. Regelmäßige Daten hierzu liegen ab dem Jahr 1954 vor. Seitdem hat sich die Zahl der jährlich erlegten Tiere auf rund 180.000 verdreifacht. Es ist also davon auszugehen, dass sich die Wildart in den zurückliegenden Dekaden stark vermehrte. Zunächst profitierten Rehe von einer verbesserten Nahrungsgrundlage durch intensive Düngung in der Landwirtschaft und steigende atmosphärische Stickstoffeinträge. In jüngerer Zeit kommen den Tieren zudem mildere Winter und die Veränderungen in den Waldlebensräumen zugute.
Lebensraumqualität für Rehe steigt
Die Umstellung der Waldbewirtschaftung von Altersklassenwäldern hin zu strukturreicheren Wäldern mit einzelbaumweiser Bewirtschaftung sowie die durch Trockenheit, Hitze und Schadorganismen entstandenen Schadflächen haben zu einer Auflichtung im Wald geführt und eine üppige Bodenvegetation entstehen lassen. Diese bietet Rehen sowohl attraktive Nahrung als auch Deckungsstrukturen. Es gibt Grund zur Annahme, dass die Streifgebiete von Rehen mit der steigenden Lebensraumqualität im Wald kleiner werden und sich die Konstitution der Tiere verbessern wird. Das könnte die Reproduktionsraten weiter fördern und sich damit auf die ohnehin europaweit ansteigenden Rehwilddichten auswirken.
Damit möglichst widerstands- und anpassungsfähige neue Waldbestände entstehen können, ist es wichtig, dass eine artenreiche Waldverjüngung stattfinden kann, die den Herausforderungen des Klimawandels gewachsen ist. Die Forstlichen Gutachten (FoGu) in Baden-Württemberg, mit denen alle drei Jahre der Zustand der Waldverjüngung hinsichtlich Wildverbiss bewertet wird, zeigen, dass besonders bei verbisssensiblen Baumarten wie der Weisstanne, den heimischen Eichenarten oder den Edellaubhölzern dieses Ziel vielerorts noch nicht erreichbar ist.
Abb. 2. Wildverbiss durch Reh. Foto: Uwe Bauer (Adobe Stock)
Abb. 3. Weisstannenverjüngung. Foto: FVA BW
Veränderungen in der Bejagung
Mit dem Verzicht auf eine behördliche Abschussplanung kam es in einigen Bundesländern zu tiefgreifenden Rahmenveränderungen bei der Bejagung von Rehwild. In Baden-Württemberg ging die Verantwortung mit Einführung der Rehwildbewirtschaftung ohne behördlichen Abschussplan (RobA) zum 1. April 2016 nach einer mehrjährigen Testphase an die Jagdnutzungs- und Jagdausübungsberechtigten über. Im Falle einer Verpachtung des Jagdausübungsrechts, wurde eine jagdrevierbezogene Zielvereinbarung zur Rehwildbejagung eingeführt. Diese entsteht in einem Austauschprozess zwischen Jagdgenossenschaften bzw. Eigenjagdbesitzenden und Jagdausübungsberechtigten. Sie regelt den Rehwildabschuss sowie die Maßnahmen der Hege und des Wildtiermanagements. Basis für die Ausgestaltung der Zielvereinbarung sind besonders die Ziele der Jagdrechtsinhabenden sowie die Ergebnisse des Forstlichen Gutachtens.
Die Zielvereinbarung lässt großen Gestaltungsfreiraum: Von der Festlegung eines detaillierten Abschussplans über einen Mindestabschuss bis hin zum Verzicht auf zahlenmäßige Abschussvorgaben. Neben Höhe und Zusammensetzung des Rehwildabschusses können auch räumliche Bejagungsschwerpunkte auf Verjüngungsflächen festgelegt werden. Die Zielvereinbarung muss mindestens alle drei Jahre im Turnus des Forstlichen Gutachtens erneuert werden.
Ziele der Rehwildbewirtschaftung ohne behördlichen Abschussplan:
- Eigenverantwortung stärken
- bürokratischen Aufwand reduzieren
- flexiblere und an lokale Gegebenheiten angepasste Bejagung
- eine zielführende und einheitliche Regelung für alle Landkreise
Abb. 4. Mehr Verantwortung und Gestaltungsspieltraum für Jagdgenossenschaften, Eigenjagdbesitzende und Jagende. Foto: M. Eckmann
Neue Regelung braucht Begleitung
Die Ergebnisse der Forstlichen Gutachten deuten im Langzeittrend auf eine Verbesserung der Verbisssituation bei weniger verbissgefährdeten Baumarten wie Rotbuche oder Fichte hin. Die Verjüngung wichtiger verbisssensitiver heimischer Schlüsselbaumarten wie Weisstanne oder Eichenarten ist im Unterschied dazu vielerorts weiterhin durch Wildverbiss gefährdet. Bei den heimischen Eichenarten verschlechtert sich der Zustand der Verjüngung aufgrund von Wildverbiss tendenziell.
Die Rehwildstrecke steigt seit Jahrzehnten deutlich und stetig an. Der Verzicht auf den behördlichen Abschussplan hatte in Baden-Württemberg wie auch in den anderen Bundesländern bislang keine Auswirkungen auf die Entwicklung der absoluten Rehwildstrecke. Anders verhält es sich bei der Abschussstruktur. Während in Baden-Württemberg vor der Abschaffung des behördlichen Abschussplans Rehgeißen und Rehböcke zu gleichen Teilen erlegt wurden, wird seit der Einführung der Rehwildbewirtschaftung ohne behördlichen Abschussplan ein deutlich höherer Anteil an Rehböcken erlegt. Ob dies mit dem Wegfall der behördlichen Vorgaben an wahrheitsgemäßeren Streckenmeldungen liegt oder andere Gründe hat, kann nicht beantwortet werden. Aus waldbaulicher Sicht ist diese Verschiebung jedoch kritisch zu bewerten, da durch einen schwächeren Eingriff bei den Zuwachsträgerinnen das Reproduktionspotenzial der Rehwildbestände zunimmt und damit der Jagdaufwand für die jagdliche Kontrolle der Populationen steigt.
Abb. 5. Entwicklung der Rehwildstrecke in Baden-Württemberg vor und nach der flächigen Einführung der Rehwildbewirtschaftung ohne behördlichen Abschussplan (RobA) 2016. Grafik: Kröschel (FVA BW)
Wie die neuen Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Jagdnutzungsberechtigten wahrgenommen werden, untersuchte die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) im Projekt Jagdgenossenschaften im Dialog. In einer Befragung wurde die Einführung von RobA mit der Zielvereinbarung zur Rehwildbejagung von der Mehrheit der Vorstände der Jagdgenossenschaften, Jagenden und Forstrevierleitenden als zielführend und Schritt in die richtige Richtung bewertet. Einzelne Indikatoren weisen jedoch darauf hin, dass die neue Handlungsverantwortung noch nicht flächig wahrgenommen wird. So gaben nur etwa zwei Drittel der befragten Jagdvorstände an, dass in ihrer Jagdgenossenschaft eine Zielvereinbarung zur Rehwildbejagung getroffen wurde. Auch wussten knapp 20% der befragten Jagdvorstände nicht, ob für ihre Waldflächen ein Forstliches Gutachten existiert. Diese Ergebnisse weisen auf einen großen Bedarf an Wissenstransfer und praktischer Unterstützung hin.
Fazit
- Klimawandel versetzt Wald in kritischen Zustand
- Lebensraumqualität für Rehe im Wald steigt, Verjüngungsziele sind gefährdet
- seit 2016 Rehwildbewirtschaftung ohne behördlichen Abschussplan in Baden-Württemberg
- eigenverantwortliche Zielvereinbarung zwischen Jagdnutzungs- und Jagdausübungsberechtigten ermöglicht flexible und regional angepasste Bejagung, braucht aber begleitende Unterstützung
Die Einführung von Rehwildbewirtschaftung ohne behördlichen Abschussplan in Baden-Württemberg wurde insgesamt positiv aufgenommen und findet vielerorts Anwendung. Dennoch gibt es noch Verbesserungspotenziale bei der Anwendung der vorhandenen Instrumente, der Vermittlung von Basiswissen zu Waldumbau und Jagd sowie bei einer intensiveren Zusammenarbeit vor Ort.
Weitere Informationen
Vor diesem Hintergrund wurden in Baden-Württemberg die Runden Tische Waldumbau & Jagd ins Leben gerufen und der Praxisratgeber Waldumbau und Jagd veröffentlicht.
Im Rahmen der Runden Tische Waldumbau & Jagd wurden von der AG Forstliches Gutachten Infoblätter zum Forstlichen Gutachten und zur Zielvereinbarung zur Rehwildbejagung erstellt. Ebenso kann eine interaktive Vorlage genutzt werden, um eine auf die eigenen Bedürfnisse und lokalen Gegebenheiten angepasste Zielvereinbarung zur Rehwildbejagung zu erstellen.
Weitere Informationen rund um das Thema Waldumbau und Jagd zudem im Wildtierportal BW.