Wildverbiss kann zukunftsfähige Naturverjüngung gefährden

Die Anpassung der Wälder an den Klimawandel ist eine wichtige Aufgabe in der Waldbewirtschaftung. Kernelement ist die Etablierung einer arten- und strukturreichen Waldverjüngung. Die Baumarten von morgen müssen gut mit sommerlicher Hitze und Trockenheit sowie mit Extremwetterereignissen zurechtkommen. Wo die Zielbaumarten bereits vorkommen, sollte die neue Waldgeneration möglichst aus Naturverjüngung entstehen. Denn diese hat sich am Standort bereits erfolgreich gegen andere Individuen behaupten können und im Unterschied zu gepflanzten Bäumen kann sie ungestört ein stabiles Wurzelwerk ausbilden.

Für die natürliche Anpassungsfähigkeit der heranwachsenden Waldgeneration ist es besonders wichtig, dass Wildverbiss die Zahl der Bäumchen nicht bereits im frühen Entwicklungsstadium deutlich reduziert oder gar das Verschwinden einzelner Baumarten in der Verjüngung verursacht. Gerade bei den heimischen Schlüsselbaumarten im Klimawandel wie der Stiel- und Traubeneiche oder der Weißtanne in den Hochlagen ist es derzeit vielerorts in Baden-Württemberg aufgrund von Wildverbiss noch nicht möglich, die waldbaulichen Verjüngungsziele zu erreichen.

Mehr Rehe, weniger Anblick?

Gleichzeitig steht die Rehwildbejagung vor neuen Herausforderungen. Die Veränderungen in den Wäldern schaffen vielerorts zumindest kurzfristig bessere Lebensbedingungen für Rehe. Auf Schadflächen entsteht ein hervorragendes Angebot an Nahrung und Deckung, das von Rehen intensiv und kleinflächig genutzt wird. Eine mögliche Folge ist, dass das Offenland an Attraktivität für die Rehe verliert und Waldlebensräume ganzjährig genutzt werden.

Aufgrund der dichteren Waldstrukturen und des veränderten Verhaltens kann es vorkommen, dass obwohl die Zahl der Rehe zunimmt, diese für Jägerinnen und Jäger weniger sichtbar und damit schwieriger zu bejagen werden. Infolgedessen könnte der Erfolg traditioneller Jagdmethoden wie der Ansitzjagd von der Kanzel am Waldrand schwinden. Womöglich werden auch in der Bejagung künftig neue Wege einzuschlagen sein.

Schlüsselfaktor Kommunikation

Der Themenkomplex Waldverjüngung und Wildverbiss beschäftigt verschiedene Interessengruppen. Neben konkreten waldbaulichen und jagdlichen Maßnahmen sind gute Kommunikation und Zusammenarbeit Schlüsselfaktoren, um gemeinsam Lösungen für die erfolgreiche Anpassung der Wälder an den Klimawandel zu erarbeiten.

Die Anpassung der Wälder an den Klimawandel kann nur gelingen, wenn Grundeigentum, Jagd und Waldwirtschaft an einem Strang ziehen.

Eine Besonderheit der Runden Tische Waldumbau & Jagd in Baden-Württemberg ist die Umsetzung auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen:

  • Auf Landesebene kommen Vertreterinnen und Vertreter von Verbänden und Institutionen des Waldeigentums, der Jägerschaft, der Waldbewirtschaftung sowie der Forschung regelmäßig im Initiativkreis (IK) zusammen und tauschen sich über aktuelle Handlungserfordernisse aus. Für spezifische Themenfelder kann das Gremium Arbeitsgruppen aktivieren. Diese sind mit Fachpersonen aus den verschiedenen Interessenfeldern besetzt und bearbeiten die ihnen anvertrauten Aufgaben.
  • Auf regionaler Ebene dienen die Runden Tische den Flächenverantwortlichen zum gegenseitigen Austausch und dazu, gemeinsam Maßnahmen zu entwickeln, um die vor Ort formulierten waldbaulichen und jagdlichen Ziele zu erreichen.

 

Landesweit Impulse setzen

Der Initiativkreis dient als impuls- und rahmengebendes Gremium auf Landesebene. Es hat eine Beratungs- und Multiplikatorenfunktion inne. Die vom Initiativkreis einberufenen Arbeitsgruppen entwickeln konkrete Instrumente und Hilfsmittel zur Anwendung vor Ort. Beispielsweise entstanden Infoblätter zum Forstlichen Gutachten (FoGu) in Baden-Württemberg als Planungsgrundlage für die Rehwildbewirtschaftung sowie zur Zielvereinbarung zur Rehwildbejagung. Eine Karten-App im Wildtierportal Baden-Württemberg soll die Ergebnisse des Forstlichen Gutachtens in Zukunft auch detailliert auf Landkreis- und Gemeindeebene darstellen und damit die Entscheidungsfindung vor Ort erleichtern.

Eine zweite Arbeitsgruppe fokussiert sich auf die Unterstützung der Jagenden bei einer zielgerichteten Rehwildbejagung im Wald. Hierfür wurde ein konkreter Vorschlag zur Ergänzung des Ausbildungsplans für die jagdliche Ausbildung in Baden-Württemberg erarbeitet. Waldökologie und -verjüngung, Wildeinfluss auf die Waldentwicklung sowie Veränderungen für Wald und Rehe infolge des Klimawandels werden in der jagdlichen Ausbildung deutlich mehr Gewicht bekommen. Für Jägerinnen und Jäger wird von der AG eine Fortbildung zum Thema Rehwildbejagung im Klimawandel konzipiert.

Regionale Besonderheiten berücksichtigen

Auf regionaler Ebene sollen die Runden Tische Wissen in die Fläche tragen und als Plattform dienen, um gemeinsam vor Ort Lösungsstrategien zu entwickeln. Gestartet wurde in zwei Modellgebieten, die eine große Bandbreite der Herausforderungen Baden-Württembergs bei der Anpassung der Wälder an den Klimawandel widerspiegeln: der Korker Wald in der Ortenau und das Linachtal im Schwarzwald-Baar-Kreis.

In der gemeinsamen Bewertung des Prozesses mit den Teilnehmenden wurde deutlich, dass Runde Tische besonders auf Ebene der Kommunen oder Jagdgenossenschaften sinnvoll sind. Dort können sie eine revierübergreifende Zielvereinbarung zur Rehwildbejagung gemäß JWMG § 34 zum Ergebnis haben. Die Erkenntnisse aus den Modellgebieten wurden im Leitfaden zur praktischen Umsetzung eines Runden Tischs zusammengefasst. Der Leitfaden bietet Interessierten, die einen Runden Tisch ins Leben rufen wollen, eine Schritt-für-Schritt-Anleitung sowie Tipps und Ideen für “ihren” Runden Tisch.

Damit ein solcher Prozess erfolgreich und konstruktiv abläuft, sollten im Vorfeld Wissen, Handlungsbewusstsein und Eigenverantwortung der Jagdgenossenschaften, der Eigenjagdbesitzenden sowie der Jagdausübungsberechtigten gestärkt werden. Um die Zusammenhänge rund um den Themenkomplex "Waldumbau und Jagd" verständlich zu vermitteln, hat das FVA-Wildtierinstitut 2021 einen gleichnamigen Praxisratgeber veröffentlicht. 2024 wird dieser durch Schulungsfilme ergänzt.

Zusammenfassung

  • Die Runden Tische Waldumbau & Jagd fördern Kommunikation, Zusammenarbeit und Entwicklung praxisnaher Lösungsstrategien mit allen Interessengruppen an der Schnittstelle von Klimawandel, Waldverjüngung und Wildeinfluss
  • Funktionen auf zwei Ebenen: auf Landesebene als rahmengebendes Beratungsgremium mit thematischen Arbeitsgruppen sowie regional zur ortsangepassten Umsetzung
  • Bisher zwei regionale Modellgebiete. Die Initiative für weitere Runde Tische kann unkompliziert von allen Akteuren ergriffen werden
  • Arbeitsweise, Ergebnisse und Produkte der Runden Tische erfahren durch die gleichberechtigte Beteiligung hohe Akzeptanz

Informationsmaterial

Im Rahmen der Runden Tische Waldumbau & Jagd sind vielfältige Informationsmaterialien entstanden, die Hintergrundwissen vermitteln und unter anderem die Anwendung des Forstlichen Gutachtens als Grundlage für die Zielvereinbarung zur Rehwildbejagung beschreiben. Infoblätter verschaffen einen schnellen Überblick über Verfahren und Abläufe.

Weitere Informationen: Runde Tische Waldumbau und Jagd (www.fva-bw.de)

 

Hintergrund

Die Runden Tische Waldumbau & Jagd wurden 2020 vom Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg ins Leben gerufen. Sie sind Teil der Waldstrategie Baden-Württemberg 2050. Die fachliche Betreuung erfolgt durch das FVA-Wildtierinstitut der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA).