Wo die Wälder schlagweise bewirtschaftet werden, konzentriert sich der Verbissdruck für mehrere Jahre auf die geräumten Flächen. Dort ist das Wild für den Jäger auch leichter zu entdecken und zu erlangen. Reh, Hirsch und Gämse kommen auch in permanent verjüngten Wäldern wie in Dauerwäldern mit plenterartigen Strukturen oder mit stärkerem Kronenschluss vor. Hier sind sie aber schwer zu beobachten, und dementsprechend schwierig zu zählen und zu jagen. Es ist auch anspruchsvoller, die Auswirkungen der jagdlichen Eingriffe auf die lokalen Wildbestände abzuschätzen.
Eine verantwortungsvolle Jagdplanung gibt sich jedoch allein mit der zahlenmässigen Erfüllung von subjektiv gesetzten Abschussvorgaben noch nicht zufrieden. Sie beachtet auch nicht allein die Kapazität der Wintereinstände, mithin die Entwicklung der Waldverjüngung. Sie richtet sich auch nach der körperlichen Entwicklung der Wildtiere, berücksichtigt die artgemässe Zusammensetzung sowie soziale Organisation der Populationen und versucht, die Einflüsse des Jagdbetriebs auf den Lebensablauf der Wildtiere so gering wie möglich zu halten.
Rehe, Rothirsche und Gämsen suchen zu gewissen Zeiten im Wald nicht nur Deckung, sondern auch Nahrung – nicht immer zur Freude der Forstleute natürlich. Aber was genau treibt das Wild in den Wald? Um neue Jagdstrategien effizient einsetzen zu können, muss der Jagdplaner wissen, was jede der drei Tierarten im Wald sucht. Es geht also um die arteigenen ökologischen Nischen und damit um die arttypischen Bedürfnisse der Tiere. Auch das aktuelle Angebot (Vorhandensein und Nutzbarkeit) an Lebensraum-Strukturen in der heutigen Kulturlandschaft und die jahreszeitliche Verteilung der Geschlechter und Altersklassen sind in diesem Zusammenhang wichtig. Dies soll im Folgenden für jede Art skizziert werden.
Das Reh
Das Reh ist weniger ein Element sehr grosser geschlossener Wälder als vielmehr des Waldrandes, der bebuschten Bachränder und Lawinenzüge, der Sturmschaden-Flächen und Pionierstufen des Waldes. Aktuell profitiert es von unserer reich gegliederten Landschaft, aber auch von einem reichen Relief bei starker Nutzung und Verjüngung des Waldes. Es sucht stark besonnte Flächen innerhalb und ausserhalb des Waldes auf, um energie- und nährstoffreiche Nahrung zu gewinnen. Mit seinem kleinen Pansen und seinem hohen Qualitätsanspruch an die Nahrung (Konzentratselektierer) ist es gezwungen, viele Male am Tag Nahrung aufzunehmen.
Ausserdem verhalten sich sowohl die Geissen wie auch die Böcke vom Mai bis im September territorial, bewegen sich also mehrheitlich im Umkreis von wenigen hundert Metern. Im Winter gruppieren sich hauptsächlich verwandte Rehe zu so genannten Sprüngen und sind wiederum sehr standorttreu. Damit entsteht der meiste Verbissdruck genau dort, wo das Reh auch tatsächlich einsteht. Jagdstrategien müssen also sehr lokal formuliert werden und sich besonders stark auf das Jungwild konzentrieren.
Im Vergleich zum schlagweisen Hochwald (Stangen- und Baumhölzer) bieten strukturreiche Wälder mit einem lichtbedingten Mosaik an gut entwickelter Bodenvegetation – ähnlich wie Sturmschaden-Flächen – Nahrung und Deckung für mehrere, aber kleinere Territorien, mit anderen Worten für eine höhere Rehdichte. Hochsitze im Wald mit eigens angelegten und jährlich freigemähten Schussschneisen erlauben hier einen starken Eingriff in die Klasse der Kitze, Schmalrehe und Jährlinge und nicht mehr führender Rehgeissen. Soll der Bestand drastisch verringert werden, erfolgt der Abschuss älterer Geissen nach jenem ihrer Kitze mit der Kugel. Auf Treib-und Drückjagden kann der Abschuss von Kitzen auch mit Schrot auf maximal 25 m Schussdistanz effizient erfolgen.
Da Rehe schwer zählbar sind, sich leicht vermehren und schon im dritten Lebensjahr voll reproduzieren, können der jährlich objektiv erhobene Verbissdruck und die Fallwildzahlen als Massgaben für die Abschussplanung herangezogen werden, ohne dass die Gefahr besteht, dass die Bestände ganz ausgerottet werden. Allerdings darf die Aufteilung der Jagdstrecke nicht weit von der Regel abweichen: ein Drittel Kitze, ein Drittel Schmalrehe und Geissen, ein Drittel Jährlingsböcke und ältere Böcke; dabei soll die Anzahl der Jährlingsböcke jene der älteren in der Strecke überwiegen. Dies führt nicht nur zu einer optimalen Altersgliederung des Bestandes, sondern auch zu einer besseren Verteilung der Einzeltiere.
Der Rothirsch
Foto: Peter Meile
Der Rothirsch dagegen ist langlebiger. Er ist ein Tier der eiszeitlichen Waldsteppen und verrät sich in vielen seiner Charakterzüge als ein Tier des offenen Landes: in der optischen Orientierung, im sozialen Verhalten, in der Feindvermeidung, im Fluchtverhalten und ganz besonders in der Nahrungswahl. Deckung wird mehr aus klimatischen Gründen aufgesucht (Schatten, Windschutz). Wo allerdings der Wolf fehlt und der Mensch über lange Zeit sein Jäger ist, da sucht der Hirsch Schutz im Wald, oft gar in den dichtesten Jungwüchsen und Dickungen.
Das Rotwild hat eine sehr breite Palette an Nahrungspflanzen und kann die eigentlich beliebteren Gräser, Kräuter und Hochstauden auch mit Knospen und Trieben von Bäumen und Sträuchern ergänzen und ersetzen. Aktuell wird es tatsächlich vielerorts durch die Aktivitäten des Menschen gezwungen, die beliebten Freiflächen nur nachts aufzusuchen, die Periodik der Nahrungsaufnahme tagsüber aber innerhalb der Deckung des Waldes zu befriedigen. Nicht nur während der Vegetationszeit, sondern gerade auch im Winter sind Rothirsche sehr stark darauf angewiesen, an schneearmen Sonnenhängen im Freiland, ausserhalb des Waldes, Gräser aufzunehmen.
Für die jagdliche Nutzung dieser langlebigen und sozial hoch organisierten Rudeltiere mit ihren oft weit auseinanderliegenden saisonalen Einständen ist eine grossräumige und differenzierte Jagdplanung unabdingbar. Die Eingriffe in die adulten weiblichen und männlichen Tiere sind nach Alter und Geschlecht zu staffeln, während die Kälber, Schmaltiere und Spiesser eine scharfe Bejagung in Intervallen erfordern. Im Vorwinter, wenn die Rothirsche ihre Wintereinstände erreicht haben, sind vielerorts letzte Eingriffe nötig, um die Bestandeshöhe auf die Kapazität der engen winterlichen Lebensräume abzustimmen. Ohne sorgfältige jahrelange Wildzählung und konsequente Streckenkontrolle wird die Einflussnahme auf den Rothirsch-Bestand schnell zu einem Blinde-Kuh-Spiel.
Die Gämse
Foto: Peter Meile
Die Gämse schliesslich ist ein Element felsreicher offener bis halboffener Lebensräume und bedarf im Winter des Schutzes und der Nahrung des lockeren, ja lückigen Waldes. Gebüsche und Jungbäume bilden ganzjährig einen wichtigen Zusatz zur Hauptnahrung aus Kräutern und Zwergsträuchern. Gämsen können besser als alle anderen heimischen Wiederkäuer auf der Grundlage einer einzigen Nahrungspflanze (z. B. Legföhren-Zweige!) wochenlang überleben.
Winter-und Sommereinstand überlappen sich nur teilweise. Wo sie aktuell in Lagen unterhalb von 1000 m Rudel bilden und regelmässig von den Weiden vertrieben werden, kann ihr Verbissdruck auf die Waldverjüngung sehr bedeutend sein. Dort ist eine politische Entscheidung über das Fortbestehen solcher Kolonien herbeizuführen (o. a. auch Lebensraum-Verbesserungen). Gämsen in den Alpentälern und an Gebirgsmassiven suchen den Wald im Sommer aber auch oft deshalb vermehrt auf, weil Schafe ihre Äsungsplätze oberhalb der Waldgrenze belegen und übernutzen, oder weil touristische Aktivitäten sie in den Schutz des Waldes drängen.
Gamsböcke stellen sich allerdings gerne einzeln in den Waldlagen ein. Sie sind als territoriale Einzeltiere nicht für den grossflächigen Verbiss von Verjüngungen verantwortlich. Dennoch werden sie mit dieser Ausrede bevorzugt bejagt, obwohl sie oft ihre Brunftplätze weitab ihres Sommereinstandes beziehen und dort unverzichtbar sind. Dagegen sind die Rudel der Gamsgeissen mit ihren Jungtieren sehr standorttreu und verschieben sich je nach Wetter und Jahreszeit eher vertikal, oder sie wechseln regelmässig zu einer anderen Berg-oder Talseite. Vor einer jagdlichen Strategie sind die obigen Fragen sorgsam zu klären. Gämsen bilden bei entsprechender Dichte auch grössere Rudel. Da sie besser zählbar sind als Rehe, gehört eine Entscheidung über die zulässige Bestandesgrösse vor jede neue Jagdstrategie.
Jene Gamspopulationen, die ganzjährig und mehrheitlich oberhalb der Waldgrenze stehen, im Winter grossen Fallwildverlusten ausgesetzt sind und die Verjüngung der Bergwälder kaum behindern, können vor einem starken Jagddruck durchaus verschont werden. Wo Gamsbestände dagegen nachhaltig jagdlich kontrolliert werden müssen, sind die Eingriffe in die Klassen der reproduzierenden, beziehungsweise sozialreifen Tiere vorsichtig zu planen und möglichst noch vor Mitte Oktober zurückhaltend vorzunehmen, während die Jährlinge noch einen Monat länger bejagt werden können und üblicherweise einen Drittel der Strecke liefern sollen. In Gamsbeständen, die ganzjährig unterhalb von 1600 m leben, müssen zur Begrenzung des überwinternden Bestandes auch Kitze bejagt werden
Jagd allein bringt keine Lösung
Schliesslich soll noch einmal betont werden, dass Massnahmen zur Verbesserung und Beruhigung der Wildlebensräume den Verbissdruck im Wald ganz wesentlich vermindern können. Für Rehe sind dies die Pflege des Waldrandes und die Extensivierung des angrenzenden Grünlandes; für das Rotwild die Schaffung von Wildruhezonen im Bereich der bevorzugten Wintereinstände und die ganztägig ungestörte Nutzung von Weideflächen im Winterhalbjahr; für die Gämsen die Neuordnung und Beschränkung der Schafsömmerung oberhalb der Waldgrenze, die Kanalisierung touristischer und freizeitsportlicher Aktivitäten ganzjährig, aber ganz besonders im Winter, gegebenenfalls auch die Verlegung des Jagddruckes weg von den übersichtlichen Hochlagen und Alpen hinunter in die Waldlagen.