Die Winterlinde (Tilia cordata Mill.) gehört zu den seltenen und wenig beachteten Baumarten in der Forstwirtschaft. Sie wird lediglich in dienender Funktion zur Schaft- und Bodenpflege vor allem in Eichenbestände eingebracht. Im prognostizierten Klimawandel ist es wahrscheinlich, dass sie aufgrund ihrer erhöhten Wärme- und Trockentoleranz zu den "Gewinnerinnen" unter den Baumarten gehören wird. Daher erscheint es wichtig, die Kenntnisse über die inner- und zwischenartliche Konkurrenz dieser Baumart in naturnahen Mischbeständen mit beigemischten Linden, Eichen und Buchen zu untersuchen.
Ideale Bedingungen in Naturwaldreservaten
Durch immer wiederkehrende Durchforstungen greift der Mensch als Bewirtschafter in die Konkurrenzbeziehungen der Baumarten untereinander ein. Um die natürliche Durchsetzungskraft von Baumarten, wie in diesem Fall der Winterlinde, beurteilen zu können, bieten Naturwaldreservate optimale Bedingungen: Das 400 ha große grenzüberschreitende deutsch-französische Naturwaldreservat "Adelsberg-Lutzelhardt" bietet dazu vielfältige Möglichkeiten. Das seit langem unbewirtschaftete Reservat befindet sich im südlichen Pfälzerwald, 30 km westlich von der französischen Stadt Wissembourg und wird betreut von der "Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft" in Trippstadt gemeinsam mit der französischen Forstbehörde "Office National des Forêts".
Auf den relativ armen Böden des Buntsandsteins finden sich Traubeneichenbestände mit hohen Mischungsanteilen von Winterlinde und eher geringen Anteilen von Rotbuche. Der Altbestand (Buche circa 200-jährig, Eiche und Linde circa 130-jährig), in dem die Untersuchungen zur Kronenkonkurrenz durchgeführt wurden, ist seit 1976 aus der Nutzung herausgenommen. Somit kann eine knapp 40-jährige unbeeinflusste Entwicklung erforscht werden. Über Kronenablotungen wurden die Kronenschirmflächen ermittelt und zusätzlich über Kronenlängen, Baumabstände u. a. die Kronenbeziehungen zwischen Linden, Linden und Buchen sowie Linden und Eichen dargestellt.
Linde und Eiche – eine gute Nachbarschaft
Abb. 2: Mittelwerte von Baumhöhe, Höhe der maximalen Kronenausdehnung und Kronenansatz von Linde (blau), Eiche (rot) und Buche (grün) (schematische, maßstabsgetreue Darstellung der Baummerkmale und der gegenseitigen Kronenbeeinflussung).
Abb. 3: Relative Kronenausladung (farbige Balken) und Kronenverzahnung (schwarze Balken) der drei Baumarten Linde (blau), Eiche (rot) und Buche (grün) in Richtung des Nachbarbaumes, ausgedrückt in % des gemittelten Baumabstandes.
Die inner- und zwischenartliche Konkurrenz hat einen ganz entscheidenden Einfluss auf die Kronenform der Linden. Aus Abb. 2 ist ersichtlich, dass Linden und Eichen in ihren Merkmalen sehr ähnlich sind, die Buche aber – vom Kronenansatz abgesehen – die beiden anderen Baumarten deutlich überragt. Betrachtet man anschließend den gegenseitigen Kroneneinfluss, so zeigt sich, dass benachbarte Linden sich häufig nur berühren, wohingegen Linde und Eiche überdurchschnittlich oft ihre Kronen ineinander schieben. Die Buche dagegen verdrängt die Linde deutlich (Abb. 2).
Noch deutlicher werden diese Zusammenhänge bei der Betrachtung der Kronenausdehnungen in Richtung der Nachbarbäume, getrennt nach den drei untersuchten Baumartenkonstellationen (Linde/Linde, Linde/Eiche und Linde/Buche) in Abb. 3. Gemessen wurde auf der direkten Verbindungslinie zwischen zwei Bäumen. Der durchschnittliche Abstand der Stammfüße bildet die 100 %-Basis. Die farbigen Balken zeigen die mittlere Ausdehnung einer Baumart in Richtung der jeweiligen Nachbarbaumart. Die schwarzen Balken zeigen die jeweiligen Verzahnungen der Kronen auf. So wird sichtbar, dass sich benachbarte Linden den Kronenraum sehr gleichmäßig aufteilen und kaum zur Kronenverzahnung neigen. Linden und Eichen weisen ebenfalls eine gleichmäßige Aufteilung auf; 10 % ihres Zwischenstammbereiches sind allerdings doppelt überschirmt. Eichen- und Lindenkronen können einander im Kronenraum gut tolerieren.
Linde und Buche – ungleiche Konkurrenten
Abb. 4: Relative Kronenausladung in Richtung eines Nachbarbaumes, ausgedrückt in % des arteigenen mittleren Kronenradius. Signifikante Unterschiede (α = 5%) sind mit einem Stern gekennzeichnet.
Eigentlich wäre zu erwarten gewesen, dass die Halbschattbaumart Linde mit der Schattbaumart Buche im Kronenraum besser harmoniert als mit der Lichtbaumart Eiche, da die Lichtansprüche von Eiche und Linde weiter auseinander liegen. Die Ergebnisse zeigen aber, dass die stärkste Konkurrenz zwischen Buche und Linde besteht, indem die Linde der Buche signifikant ausweicht (Abb. 3). Die Linde kann sich lediglich auf 29 % des Stammzwischenraumes behaupten, während die Buche 80 % dieses Raumes für sich beansprucht (bei 9 %iger Verzahnung).
Für die vertiefende Darstellung in Abb. 4 wurde zunächst der mittlere Kronenradius für jede Baumart ermittelt, anschließend der spezielle Kronenradius bei Zusammentreffen mit einer bestimmten anderen Baumart (Beispiel: Linde trifft auf Eiche oder Buche trifft auf Linde). Sind beide Werte gleich, ergibt der daraus gebildete Quotient 100 %. Trifft nun eine Linde auf eine benachbarte Linde (1. Balken) oder eine Linde auf eine Eiche (2. Balken), wird der mittlere Kronenradius von ihr mit plus/minus 100 % in etwa gehalten. Wenn aus umgekehrter Sicht eine Eiche auf eine Linde trifft, vergrößert die Eiche im Schnitt ihren Kronenradius um 14 % (roter Balken). Beim Zusammentreffen von Linde und Buche allerdings muss die Linde ihren durchschnittlichen Kronenradius auf unter 50 % verringern. Der grüne Balken zeigt zusätzlich, dass die Buche nicht uneingeschränkt der Linde überlegen ist, wie die bisherigen Ausführungen nahelegen könnten. Auch die Buche muss ihren mittleren Kronenradius auf circa 80 % verringern, wenn sie auf eine Linde trifft.
Die Zukunft der Winterlinde?
Derzeit ist die Buche im untersuchten Naturwaldreservat mit Abstand die konkurrenzstärkste Baumart. Dies zeigt sich nicht nur im Kronenbereich von Altbäumen, sondern auch in der Verjüngung, wo die Linde mit 7 %, die Buche dagegen mit über 50 % vertreten ist. Die Lindenverjüngung kommt allerdings in nächster Nähe zu den fruktifizierenden Altlinden auf. Dort, wo sie bereits durch Altbäume oder gesicherte Naturverjüngung etabliert ist, wird sie zusätzlich aufgrund ihrer Stockausschlagfähigkeit wahrscheinlich verbleiben. Der Erfolg der generativen Fortpflanzung ist allerdings durch den großen Hohlkornanteil der Samen eingeschränkt.
Vermutlich wird es die Linde vor allem wegen der Dominanz der Buche kaum schaffen, über den Status als beigemischte Baumart hinaus zu gelangen. Eine weitere Ausbreitung kann nur gelingen, wenn die Konkurrenzkraft der Buche abgeschwächt wird. Sollte das im Zuge des Klimawandels geschehen, so wird die Buche kaum von einer einzigen Art ersetzt werden. Vielmehr entsteht unter den bisherigen Mischbaumarten eine verstärkte Konkurrenz um die frei werdende ökologische Nische.
Dabei hätte die Linde aufgrund ihrer Schattentoleranz, ihrer Überdauerungsstrategie und ihrer Fähigkeit sich den Kronenraum mit bestimmten Baumarten effektiv zu teilen (siehe Linde/Eiche) eine gute Chance auf Ausbreitung. Abgesehen von der eingeschränkten Holzverwendung ist die Linde eine ideale Partnerin zur Eiche, nicht nur als dienende Baumart, sondern auch im Herrschenden. Während die Buche die Eiche nachhaltig verdrängt, zeigt sich die Linde im Kronenraum zurzeit als besonders gut verträglich. Es bleibt jedoch noch offen, ob sich diese Konkurrenzverhältnisse im Kronenraum im erwarteten Klimawandel ändern werden.