Obwohl die Linde eine derart große kulturgeschichtliche Bedeutung hat, war sie forstlich seit jeher unbedeutend. Das ist auch heute noch so: Beide Lindenarten nehmen in Bayern nach Ergebnissen der Bundeswaldinventur 2012 (BWI 2012) einen Flächenanteil von lediglich 0,7 Prozent ein (Abb. 1). Daher beschäftigen sich nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen mit Waldbau, Bodenkunde, Verbreitung und Vegetationsökologie der Linden. Dennoch gilt es, die Wachstumsgänge der Linde unter gegenwärtigen und künftigen Wuchsbedingungen zu analysieren.
Ökologie und Standort
Die Winterlinde (Tilia cordata) ist in Europa von Nordspanien bis Russland verbreitet. Als gemäßigt kontinentale Art dringt sie weiter nach Norden und Osten vor als die eher ozeanische Sommerlinde (Tilia platyphyllos). Der Anteil der Linden steigt in Europa von Südwesten nach Nordosten hin an. Die bei uns als Mischbaumart sommerwarmer Laub- oder Laub-Nadelmischwälder vorkommende Winterlinde gewinnt östlich der Verbreitungsgrenze der Buche deutlich an Bedeutung. Sie hat ihr Hauptverbreitungsgebiet in den kontinental getönten Laubmischwaldgebieten Polens, des Baltikums oder der russischen Laubwaldzone; dort können mitunter auch annähernd Reinbestände vorkommen.
Klimatische Nische: Winterlinden gedeihen bei Jahresdurchschnittstemperaturen von minimal etwa fünf bis maximal etwa 12-14 °C und jährlichen Niederschlagssummen von 500-1.500 mm. Die Winterlinde hat geringere Wärmeansprüche als die Sommerlinde und ist dabei gleichzeitig weniger dürreempfindlich. Sie ist wesentlich frosthärter, kann Fröste bis -34 °C aushalten. Beide Arten sind aber spätfrostgefährdet, insbesondere die Sommerlinde durch ihr früheres Austreiben.
Standort: Die Winterlinde bevorzugt mittel- bis tiefgründige, frische bis mäßig trockene, basenreiche Lehm-, Löss- und Tonböden. Sie kann aber auch auf schweren, schwach sauren Böden mit mäßiger Nährstoffversorgung vorkommen. Die Sommerlinde bevorzugt reiche Böden und meidet trockene Standorte. Sie hat größere Ansprüche an Basen- und Nährstoffreichtum und ist entsprechend auf Karbonatstandorten zuhause. Da die Winterlinde mit Nährstoffen und Wasser sparsamer umgeht, ist sie weiter verbreitet. Sie hat die besten Entwicklungsmöglichkeiten dort, wo die Buche in bodensauren Eichenmischwäldern fehlt. In der Konkurrenz zur Buche weicht die Winterlinde sowohl auf trockene als auch auf feuchte Standorte aus, beispielsweise auf die feuchte Hartholzaue oder die trockenen Standorte des Eichen-Hainbuchen-Waldes.
Die Linden-Probebäume der BWI 2012 decken beim Nährstoff- und Wasserhaushalt ein breites Spektrum ab, beschränken sich beim Wärmeangebot aber auf einen engeren Bereich (Tab. 1). Das Bayerische Standortinformationssystem stuft die Winterlinde als weniger empfindlich gegenüber Stauwasser und Überflutung sowie geringer Basenversorgung ein als die Sommerlinde (Tab. 2).
Die Winterlinde im Klimawandel
Aufgrund Ihrer Verbreitung in Europa und der geringeren Dürreempfindlichkeit ist die Frage, wie klimatolerant die Winterlinde ist und ob sie gegebenenfalls im Klimawandel eine geeignete Ergänzung im Baumartenportfolio wäre. Das Anbaurisiko der Winterlinde in Bayern lässt sich folgendermaßen einschätzen:
Für Bayern besteht derzeit ein gebietsweise geringes und sehr geringes Risiko (Abb. 2). Standorte mit zu kaltem Klima scheiden für die Winterlinde als zu risikoreich aus. Bis zum Ende des Jahrhunderts (Annahme: geringe Erwärmung von rund 2 °C) nehmen die Bereiche mit sehr hohem Anbaurisiko ab. Die Bereiche mit derzeit sehr geringem Anbaurisiko hingegen werden strenger bewertet, das Risiko steigt. Diese Einwertung muss allerdings stets durch eine Einschätzung vor Ort kritisch hinterfragt und überprüft werden.
Abb. 2: Anbaurisikokarte 2000 (oben) udn 2100 (unten) für die Winterlinde aus dem Bayerischen Standortinformatiossystem BaSIS (Version 7/2015)
Ertrag und Wachstum – bisherige Untersuchungen
Bisher existieren im deutschsprachigen Raum nur zwei größer angelegte ertragskundliche Arbeiten zur Linde. Eine Untersuchung in der Letzlinger Heide belegt, dass sich die Wachstumsgänge von Buche und Linde erheblich unterscheiden. Hier ist die Linde gegenüber der Buche bis ins Alter von 50 Jahren vor-bis gleichwüchsig. Im Alter von 100 Jahren erreicht die Buche allerdings einen etwa 30 Prozent höheren Vorrat.
In Beständen der Winterlinde in Niedersachsen und Nordhessen wurde zudem Folgendes untersucht:
- Buchen und Winterlinden haben eine unterschiedliche Höhenentwicklung. Die Winterlinde zeigt in der Jugend ein stärkeres Höhenwachstum als die Buche. Mit zunehmendem Alter vermindert sich ihr Wachstumsfortschritt, während der der Buchen ansteigt. Bergahorn und Roteiche weisen entgegengesetzte Verläufe auf.
- Der Vorrat der Winterlinde entwickelt sich deutlich anders als der der Vergleichsbaumarten. Die Vorratskurven der Winterlinde weisen in der frühen Jugend die größten Steigungen auf und flachen mit zunehmendem Alter ab. Der Wachstumsverlauf bei den anderen Baumarten ist entgegengesetzt. Die Tendenzen in der Vorratsentwicklung sind auch bei gleicher Höhe zu beobachten.
- Der laufende und durchschnittliche Volumenzuwachs kulminiert bei Bergahorn und Roteiche sehr früh, ähnlich auch die Zuwächse der Winterlinde. Die Buche erreicht das Maximum des laufenden und durchschnittlichen Zuwachses dagegen sehr spät.
Ertrag und Wachstum – Daten der BWI 2012
Bei der BWI 2012 werden Winter- und Sommerlinde nicht unterschieden. Die Linden in Bayern werden im Mittel 71 Jahre alt, wobei die älteste aufgenommene Linde mit 324 Jahren angegeben wird. Sie erreichen eine maximale Höhe von 33,8 Metern, im Mittel 21 Meter (Tab. 3). Die Höhenwerte der gemessenen Bäume wurden in je ein Kollektiv mit überdurchschnittlichem, durchschnittlichem und unterdurchschnittlichem relativen Höhenwachstum unterteilt (Abb. 3). Das relativ rasche Jugendwachstum in der Höhenentwicklung hält bei der Winterlinde je nach Bonität und Wuchsgebiet bis zum Alter 70 und darüber hinaus an. Das Höhenwachstum ist mit 120-180 Jahren abgeschlossen. Die Linden der BWI 2012 erreichen in Bayern einen maximalen Brusthöhendurchmesser (BHD) von 154 Zentimetern (Tab. 3). Im Durchschnitt liegt der BHD bei 29 Zentimetern.
Der relative Grundflächenzuwachs beträgt im Durchschnitt 6,63 Quadratmillimeter pro Zuwachstag in Bayern. Er wird insbesondere durch die Baumklasse erklärt. Ein hoher Zuwachs mit im Median 12,95 Quadratmillimeter pro Zuwachstag findet sich bei vorherrschenden Linden der Baumklasse 1 (Abb. 4). Neben der Baumklasse liefern Alter der Linde, nutzbare Feldkapazität, Schluffanteil und Grundfläche aussagekräftige Ergebnisse. Temperatur und Niederschlag liefern dagegen keine signifikanten Ergebnisse, da vermutlich die Temperatur- und Niederschlagsunterschiede in Bayern zu gering sind.
Kennzeichen der Winterlinde
Linden sind in Mitteleuropa typische Mischbaumarten. Die Winterlinde ist in Deutschland weitaus häufiger zu finden als ihre Verwandte, die Sommerlinde. In Reinbeständen kommt sie allerdings kaum vor.
Die Winterlinde ist Schatten ertragend (Tab. 4). Je besser der Standort ist, desto mehr Schatten erträgt sie. Insbesondere Keimlinge haben eine sehr hohe Schattentoleranz, die mit dem Alter abnimmt. Zunehmender Lichtgenuss führt zu einer positiven Wuchsreaktion. Die ziemlich sturmfeste Baumart ist empfindlich gegen Spätfröste. Sie toleriert Frost, leidet im Unterschied zur Buche sogar selten darunter (Tab. 4).
Die Linde wird in der Jugend im Sommer gerne verbissen. Sie wird zuverlässig gefegt, dafür wenig von Mäusen geschädigt. Gelegentlich befällt sie die Mistel. Ihre Laubstreu zersetzt sich gut und wirkt bodenverbessernd; damit gehört sie zu den bodenpfleglichsten Baumarten.
Sowohl vegetativ (Adventivknospen an Stock und Wurzel) als auch generativ kann sich die Winterlinde verjüngen. Wurzelbrut ist weitaus seltener als die Bildung von Stockausschlägen. Die Stockausschläge können sich zu kräftigen großen ansehnlichen Bäumen entwickeln bzw. bilden auch hochwertige Schäfte. Die generative Verjüngung fällt der Winterlinde im Vergleich zur vegetativen Verjüngung schwer. Obwohl sie reichlich fruktifiziert, hat sie einen oftmals nur geringen Verjüngungserfolg.
Wird die Winterlinde plötzlich und stark freigestellt überzieht sich der Stamm mit Wasserreisern. Allerdings bildet sie bei entsprechendem Schluss im Stangenholzalter saubere Schäfte aus. Im Bestandsschluss haben Linden walzenrinde, astreine Schäfte mit hoch angesetzten Kronen.
Waldbauliche Behandlung der Winterlinde
Die Winterlinde hat im Waldbau meist eine dienende Funktion. Diese erfüllt sie nur auf nährstoffreicheren Standorten, auf Standorten mit schwacher Nährstoffversorgung wird sie von der Buche abgelöst.
Die Winterlinde wird meistens gepflanzt. Als zukünftig hauptständige Baumart wird sie trupp-, gruppen- bis horstweise im Reihenverband eingebracht mit den in der Regel typischen Eckdaten:
Sortimente | 1 + 1, 1 + 2 |
Größe | 50 – 80 cm, 80 – 120 cm |
Pflanzzahl Freifläche | 2.500 – 3.300 Pflanzen/ha |
Pflanzzahl Schirm | bis 3.000 Pflanzen/ha |
In Eichenkulturen werden in dienender Funktion 1.000 bis 2.000 Winterlinden pro Hektar eingebracht, um die Wasserreiserbildung an Eiche zu verhindern. Dabei wird in der Regel jede dritte Reihe der Eiche durch Winterlinde ersetzt.
Waldbaulich wird sie behandelt wie die klassischen Edellaubholzbaumarten Esche und Bergahorn. Ziel der Pflege ist, so rasch wie möglich hochwertiges, stark dimensioniertes Stammholz zu erzeugen. Dazu ist die Linde in der Jugend möglichst dicht zu halten. Wird sie zu stark durchforstet, bildet sie Wasserreiser. In jungen Jahren können die Linden die Wasserreiser beim Kronenschluss noch verlieren, in der Baumholzstufe gelingt dies nur bei Erhaltung des Kronenschlusses.
Die Umtriebszeit beträgt 100-140 Jahre. Auf besseren Standorten sind Zieldurchmesser von 60 Zentimetern und eine astreine Schaftlägen von 7-12 Metern erstrebenswert. Um diese Ziele zu erreichen, muss man frühzeitig mit dem Kronenausbau beginnen.
Pflegekonzept
Wenn sich zukünftig hauptständige Linden in der Jugendphase starkastig entwickeln, ist ein Formschnitt empfehlenswert bzw. diese Baumexemplare zu entfernen. In Naturverjüngungen sind unbrauchbare Vorwüchse auf den Stock zu setzen. Bei einer Oberhöhe von 2-3 Metern sollte überprüft werden, ob eine negative Auslese notwendig ist. Längerfristige Unterbrechungen des Kronenschlusses sind unbedingt zu vermeiden. Die Trupp- und Gruppengröße ist zu erhalten bzw. auszuformen.
Ab einer Oberhöhe von 8-10 Metern (bzw. 10-12 Metern) wird eine positive Auslese durchgeführt. Angestrebt werden 200-250 gut geformte Linden pro Hektar. Eingriffe sind so zu führen, dass der Kronenschluss nach sehr kurzer Zeit wieder eintritt.
Ab einer grünastfreien Schaftlänge von je nach Standortsbedingungen 7-12 Metern werden die Kronen von etwa 100 Linden pro Hektar umlichtet. Dies erfolgt in zwei, eher drei Schritten. Die Lust der Linde zur Wasserreiserbildung darf dabei nie außer Acht gelassen werden. Der Durchforstungsturnus liegt bei 8-10 Jahren.