Veränderte Artenzusammensetzung
Die prognostizierten Klimaveränderungen mit höheren Temperaturen, längeren Trockenphasen und mehr Wetterextremen haben schon jetzt einen großen Einfluss auf unsere Wälder. Damit die Waldökosysteme unter diesen Bedingungen weiterhin ihre vielfältigen Funktionen erfüllen können, werden auf vielen Standorten Veränderungen der Artenzusammensetzung und der Waldstrukturen unumgänglich sein. Viele der heute noch seltenen Nebenbaumarten könnten deutlich an Bedeutung gewinnen, denn diese besitzen bereits häufig Eigenschaften, die unter künftigen Umweltbedingungen von Vorteil sein können.
Rosengewächse im Fokus
Forscherinnen und Forscher der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA) untersuchen in diesem Zusammenhang unter anderem Baumarten aus der Familie der Rosengewächse. Diese sind ausnahmslos wärmeliebende Lichtbaumarten. Sie sind verglichen mit vielen anderen Baumarten gegenüber Trockenheit und Hitze deutlich toleranter, so dass sie sich auch auf exponierten (Risiko-)Standorten gut behaupten können. Zudem tragen sie zum Erhalt der Biodiversität unserer Wälder bei, da sie von einer Vielzahl von Insekten, insbesondere Bienen, Hautflüglern und Fliegen bestäubt werden und ihre Früchte einer Vielzahl von Tierarten als Nahrung dienen.
Seltenes Wildobst
Unsere Wildobstarten verbindet eine Eigenschaft: Aufgrund ihres hohen Licht- und Wärmebedürfnisses ist ihr Vorkommen meist auf Sonderstandorte wie exponierte Hänge, Lichtungen, Waldränder oder lichte Auwälder begrenzt. Diese ohnehin schon seltenen natürlichen Lebensräume wurden durch menschliche Eingriffe in den letzten Jahrhunderten noch einmal erheblich dezimiert. Der Flächenanteil dieser Arten im Wald macht heute daher deutlich unter 1 % der Gesamtbestockung aus. Diese Entwicklung hat nicht nur die Bestandsgrößen, sondern auch die populationsbiologischen Prozesse zum Teil sehr stark beeinflusst: Durch die räumliche Isolation der ohnehin von Natur aus seltenen bis zerstreuten Vorkommen wird der Genaustausch stark erschwert bzw. unmöglich (Verlust der reproduktiven Vernetzung). In der Folge nimmt die genetische Vielfalt ab und die Baumarten können sich an sich ändernde Umweltbedingungen schlechter anpassen. Da sich einige Baumarten kaum mehr natürlich verjüngen, stellt die damit verbundene Überalterung der Bestände eine ernste Bedrohung dar. Die Fähigkeit als Art auf natürliche Weise erhalten zu bleiben, wird für Wildbirne, Wildapfel und Elsbeere bei nur noch 2 bis 7 % der Vorkommen beschrieben. Beim Speierling trifft dies auf kaum ein einziges Vorkommen mehr zu.
Problem Hybridisierung
Bei vielen Arten tritt noch ein weiteres Problem auf: Hybridisierung mit häufig verbreiteten Kultursorten aus dem Obstbau. Dies kann zur Verdrängung bzw. zum Verlust arttypischer Eigenschaften führen und die ökologische Integität der jeweiligen Art gefährden. Um hochwertiges Vermehrungsgut zur Verfügung stellen zu können, erarbeitet die NW-FVA wissenschaftliche Grundlagen und leitet daraus praxisrelevante Maßnahmen ab. Sie dienen der Erhaltung wertvoller genetischer Ressourcen als auch der nachhaltigen Produktion von genetisch vielfältigem Vermehrungsgut.
Beispiel 1: Die Vogelkirsche
In mitteleuropäischen Waldgesellschaften kommt die Vogelkirsche (Prunus avium (L.) meist nur einzelstammweise oder zerstreut in kleinen Gruppen vor. Als licht- und wärmeliebende Art wächst sie insbesondere in lichten, submediterran bis subkontinental geprägten Wäldern (thermophile Mischwälder, Linden-Mischwälder, Kiefern-Stieleichen- und Eichen-Hainbuchenwälder etc.). Für ihre Verbreitung spielen bis heute historische Betriebsformen wie die Nieder- und Mittelwaldwirtschaft eine entscheidende Rolle. Denn ihre Fähigkeit, nach einem Nutzungshieb erneut auszutreiben (Stockausschlag), brachte ihr einen enormen Vorteil gegenüber der konkurrenzstärkeren Buche. Die Vogelkirsche kann sich auch vegetativ über Wurzelbrut auf der Fläche ausbreiten, so dass noch heute größere, genetisch identische Baumgruppen (Klongruppen) in ehemaligen Mittelwäldern vorzufinden sind.
Als Pionierbaumart vermag die Vogelkirsche größere Lücken und Freiflächen im Waldbestand schnell zu besiedeln. Ihr rasches Jugendwachstum bei vergleichsweise hoher Trockenheits- und Spätfrosttoleranz ermöglicht ihr in den ersten Lebensjahren einen deutlichen Wuchsvorsprung gegenüber vielen Wirtschaftsbaumarten. Vitale Jungpflanzen können in den ersten Lebensjahren wipfelschäftige, aufrechte Triebe von mehr als einem Meter Länge erreichen. So kann die Vogelkirsche frühe sukzessionale Waldstadien besetzen, bis sie wieder durch Klimaxgesellschaften ersetzt wird (Lückenstrategie).
Wertvolles Vermehrungsgut
Die Vogelkirsche ist nicht nur ökologisch wertvoll, sondern auch für die Produktion von Wertholz. Deshalb unterliegt sie seit dem Jahr 2003 auch dem Forstvermehrungsgutgesetz (FoVG). Bis zu diesem Zeitpunkt war Kirschensaatgut ohne Herkunftsnachweis handelbar. Entsprechend hoch war damit vermutlich auch der Anteil an Kirschen aus dem Obstbau, wo die Kerne oft als Abfallprodukt anfallen. Ferner besteht aufgrund des großflächigen Anbaus der Kulturkirsche in der freien Landschaft auch heute noch die Gefahr der Einkreuzung über Polleneinträge. Das Ziel der Züchtung von Süßkirschensorten ist die Produktion von starkastigen Bäumen mit hohen Fruchterträgen. Da diese Kirschen statt auf Höhenwachstum auf mehr Fruchtbildung selektiert werden, zeichnen sich Vogelkirschenbestände nicht selten durch hohe Anteile krummer Stämme bzw. Bäumen mit vielen Steilästen oder sich schon früh auflösenden Kronen aus. Es besteht die Gefahr, dass die veränderten Wuchseigenschaften der Vogelkirsche zu einem weiteren Verlust ihrer Konkurrenzkraft im Wald führen.
Abb. 2: Samenplantage der Vogelkirsche zur Erzeugung hochwertigen forstlichen
Vermehrungsgutes Foto: NW-FVA-Archiv
Abstand halten
Deshalb wird empfohlen, bei der Förderung der Naturverjüngung auf einen ausreichenden Abstand zu Kulturkirschenpflanzungen zu achten und gegebenenfalls auf Vermehrungsgut der Wildform aus den Kategorien „qualifiziert“ (Samenplantagen) oder „ausgewählt“ (Saatguterntebestände) zurück zu greifen. Vogelkirschen-Samenplantagen der NW-FVA stocken auf 5 Flächen mit insgesamt 7,1 ha in den Bundesländern Hessen und Niedersachsen. Im Zuge des genetischen Qualitätsmanagements werden diese Plantagen auf Kulturkirschen-Anteile kontrolliert und Individuen mit Kultureinfluss nachträglich entfernt. Zusätzlich erfolgt in einigen Fällen auch eine Kontrolle des Saatgutes zur frühzeitigen Erkennung potenzieller Fremdpolleneinträge (Erhaltung der Wildform und deren genetischer Vielfalt). Neben generativ erzeugtem Vermehrungsgut ist auch vegetativ vermehrtes Pflanzgut der Kategorie „geprüft“ verfügbar. Diese Klon-Mischung (silvaSELECT) hat sich in Feldprüfungen hinsichtlich Wuchs- und Qualitätsmerkmalen als überlegen gegenüber Sämlingen aus herkömmlichen Saatgutquellen erwiesen.
Beispiel 2: Wildbirne und Wildapfel
Wildbirne (Pyrus pyraster) und Wildapfel (Malus sylvestris) sind von Natur aus seltene Baumarten und gehören zweifellos zu den forstbotanischen Raritäten. Sie sind deutlich lichtbedürftiger und geringwüchsiger als unsere (Wirtschafts-)Baumarten. Daher sind ihre Hauptvorkommen natürlicherweise auf die äußersten Grenzen ihrer weiten Standortsamplitude begrenzt (Ausweichstrategie). Dazu zählen u. a. wärmeliebende Gebüsch- und Eichenwaldgesellschaften, aber auch Standorte mit starken Schwankungen zwischen periodischen Überflutungen und extremen Trockenphasen (Hartholzauen).
Beide Arten stehen in einigen Bundesländern auf der Roten Liste und sind als gefährdet eingestuft. Denn die für ihre Vorkommen typischen extrazonalen Sonderstandorte stellen meist Relikte wärmezeitlicher Eichenwälder dar und sind in Mitteleuropa heute sehr selten. Auch die Wälder der Hartholzauen sind aufgrund von Flussbegradigungen und Trockenlegungen bis auf sehr vereinzelte Restvorkommen nahezu vollständig verschwunden. Die forstliche Umstellung von lichten Nieder- und Mittelwäldern auf den Hochwaldbetrieb mit meist geschlossenen Kronendächern hat ebenfalls dazu beigetragen, dass diese beiden Arten heute nur sehr vereinzelt oder in kleinen, stark fragmentierten Populationen vorzufinden sind.
Auf externe Pollenspender angewiesen
Die räumliche Isolation der Vorkommen verringert aus genetischer Sicht die effektiven Populationsgrößen und fördert Drift- und Inzuchteffekte. Diese können die genetische Vielfalt reduzieren und zu einer herabgesetzten Fitness führen. Kombiniert mit Eigenschaften wie Selbststerilität und vegetativer Vermehrung über Wurzelbrut) kann dies zu einem weiteren Problem führen: Viele der heutigen Reliktvorkommen sind auf externe Pollenspender angewiesen. Deshalb tendieren Wildapfel und Wildbirne noch stärker zur Hybridisierung mit weit verbreiteten Zuchtsorten als die häufigere Vogelkirsche. Dabei handelt es sich vielfach auch um andere Arten, aus denen unsere Zuchtsorten hervorgegangen sind. Bei der Kulturbirne werden bis zu acht asiatische Arten genannt, beim Wildapfel sind es im Wesentlichen zwei, ebenfalls aus dem asiatischen Raum stammende Arten.
Die Vermischung des heimischen Genpools mit dem der Kultursorten birgt die Gefahr der Beeinträchtigung der genetischen und ökologischen Artintegrität. Studien am Wildapfel haben u. a. ergeben, dass die Einkreuzung von Kultursorten dazu führt, dass solche Wildäpfel Überflutungen und Beschattung weniger tolerieren, die typischen Eigenschaften einer Auwaldbaumart gehen somit verloren.
Genetische Vielfalt bewahren
Um die heimische genetische Vielfalt (Anpassungspotenzial) und damit bestehende Populationen auch langfristig in ihrer Existenz zu sichern, sind aus forstgenetischer Sicht Maßnahmen zur Erhaltung der Artreinheit der Wildbirne und des Wildapfels dringend geboten. Da die morphologische Unterscheidung in sehr vielen Fällen kaum möglich ist, werden im genetischen Labor der NW-FVA DNA-basierte Verfahren eingesetzt. Diese ermöglichen nicht nur eine Unterscheidung von Wild- und Kulturformen, sondern auch eine recht genaue Einschätzung des Hybridstatus.
Heute versucht man natürliche Vegetationsgesellschaften im Zuge von Renaturierungsmaßnahmen (z.B. Hartholzauen) zu rekonstruieren bzw. zu erhalten. Dafür muss auch die Bereitstellung hochwertigen Pflanzguts gewährleistet werden. In dem Zusammenhang sollte aber nicht ausschließlich der Erhalt der Wildform dieser Baumarten im Vordergrund stehen, sondern auch die Erhaltung der genetischen Vielfalt. Wildbirne und Wildapfel unterliegen nicht dem Forstvermehrungsgutgesetz (FoVG). Daher besteht zusätzlich das Problem, dass durch Einbringung ungeeigneten Pflanzguts in den Wald aufgrund fehlender rechtlicher Bestimmungen auch noch lokale genetische Strukturen und Anpassungsmuster verloren gehen können.
Kostbare Samenplantagen
Samenplantagen stellen hier ein wichtiges Instrument dar, um für diese (wie auch andere seltene) Baumarten die Produktion von artreinem und herkunftsgesichertem Vermehrungsgut höchster Qualität zu gewährleisten. Auch die genetische Vielfalt kann auf einem regionaltypisch hohen Niveau gehalten werden. Die NW-FVA ist führend in der Samenplantagen-Forschung und verfügt über ein deutschlandweit einzigartiges Flächenportfolio des Wildapfels und der Wildbirne. Insgesamt stehen 18 Flächen auf 24,1 Hektar als Genarchiv oder auch für die Beerntung zur Verfügung. Zur Vermeidung von Kulturpolleneintrag können einige dieser Flächen vollständig mit Insektennetzen abgedeckt werden. Die Bestäubung der Blüten innerhalb dieser Netze übernehmen dann gezielt eingebrachte Hummelvölker, die kommerziell erhältlich sind.
Ausblick
Naturverjüngung und die damit verbundenen natürlichen Anpassungsprozesse sollten, wo immer möglich, gefördert werden. Jedoch ist die Erhaltung vieler Wildobstbestände vor Ort aufgrund ausbleibender Naturverjüngung und damit Überalterung der Bestände, Hybridisierung mit Kultursorten oder auch fehlender genetischer Vielfalt in vielen Fällen kaum realisierbar. Allgemein ist ein steigender Bedarf an hochwertigem Vermehrungsgut dieser Baumartengruppe zu verzeichnen, da die Sicherung einer dauerhaften Existenz vieler Vorkommen nur durch künstliche Einbringung gesichert werden kann. Deshalb werden spezielle Samenplantagen mit hohen Qualitätsstandards eingerichtet. Insgesamt werden 30 Samenplantagen für die Baumarten Vogelkirsche, Wildbirne, Wildapfel, Elsbeere und Speierling von der NW-FVA bewirtschaftet.