Deutschland ist zu 32 % mit Wald bedeckt. Die Verteilung des Waldes in der Landschaft, seine Artenzusammensetzung und Struktur sind das Ergebnis vielfältiger menschlicher Einflussnahme mit unterschiedlicher Intensität. Hierzu gehören zum Beispiel der drastische Rückgang und die Zersplitterung der Waldfläche durch Rodung, die Übernutzung der verbliebenen Wälder, ihre Veränderung durch den überwiegenden Anbau wirtschaftlich bedeutender Baumarten und auch Veränderungen der Standorte, sei es durch Streunutzung oder Luftverschmutzung. Die heutigen, überwiegend im Rahmen der nachhaltigen Forstwirtschaft genutzten Wälder werden zu fast drei Vierteln von wenigen Hauptbaumarten - Fichte (Picea abies), Waldkiefer (Pinus sylvestris), Rotbuche (Fagus sylvatica) sowie den heimischen Eichenarten (Quercus petraea und Q. robur) bestimmt. Die Vorkommen vieler anspruchsvoller Laubbaumarten wurden stark zurückgedrängt und von Natur aus seltene Arten noch seltener. Diese besitzen oft einen sehr hohen ökologischen und auch potenziell ökonomischen Wert. Die zuletzt genannte Gruppe von Baumarten umfasst auch Wildobstarten wie Wild-Apfel (Malus sylvestris [L.] MILL.), Wild-Birne (Pyrus pyraster [L.] BURGSD.) oder Vogel-Kirsche (Prunus avium L.).

Langfristige Strategie zur Erhaltung des genetischen Potenzials auf nationaler Ebene

Die Arbeiten zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung forstlicher Genressourcen in der Bundesrepublik Deutschland werden bereits seit 1985 auf der Grundlage eines im Auftrag des Bundesrates erarbeiteten nationalen Konzeptes durch die heutige Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Forstliche Genressourcen und Forstsaatgutrecht“ koordiniert und von den zuständigen forstlichen Institutionen der Länder zusammen mit Institutionen des Bundes durchgeführt. Im Jahr 2000 erfolgte eine grundlegende Überarbeitung, im Jahr 2010 eine Aktualisierung des Konzeptes von Paul et al. Die jeweils gültige Fassung des Konzeptes ist Bestandteil des deutschen Programms zur Erhaltung genetischer Ressourcen. Es beschreibt Ziele, Kriterien für die Ausweisung von Generhaltungseinheiten sowie Strategien zur Erhaltung des genetischen Potenzials und Maßnahmen zu deren Umsetzung. Auf diesem nationalen Konzept basieren die spezifischen Programme einzelner Bundesländer unter Berücksichtigung der regionalen Besonderheiten.

Insgesamt sind in den Wäldern Deutschlands 188 holzige Arten (77 Baumarten, 111 Straucharten) heimisch (Schmidt et al. 2003). Bis Ende 2017 wurden in Deutschland für ca. 170 Baum- und Straucharten Generhaltungsbestände und Kleinvorkommen ausgewiesen und in situ erhalten. Für ca. 95 Baum- und Straucharten wurden Ex-situ-Maßnahmen unterschiedlichster Art durchgeführt. Die In-situ-Erhaltung nimmt dabei aus zwei Hauptgründen den überwiegenden, und in den letzten Jahrzehnten steigenden Anteil ein: Erstens ermöglicht die Erhaltung vor Ort, vorausgesetzt die Vorkommen besitzen ausreichende Größe, Vitalität und werden nicht durch widrige Umweltfaktoren beeinträchtigt, das Wirken natürlicher Prozesse (Rekombination, Anpassung). Zweitens ist sie mit meist wesentlich geringeren Kosten und Risiken verbunden und lässt sich in waldbauliches Handeln integrieren. Derzeit wird der In-situ-Anteil am Gesamtumfang der bisher durchgeführten Maßnahmen auf ca. 94% geschätzt (s. Tab. 1). Wenn die zu erhaltenden Einheiten so wenige Individuen umfassen, dass die Gefahr der genetischen Verarmung oder des zufälligen Erlöschens besteht, Introgression durch kreuzbare Arten oder Kultursorten droht, der Fortbestand der Ressource durch andere Ursachen (Flächeninanspruchnahme, Umweltveränderung, Schadorganismen) gefährdet ist oder eine Doppelsicherung erforderlich scheint, müssen geeignete Ex-situ-Maßnahmen ergriffen werden (s. Tab. 1).

Tab. 1. Stand der Erhaltungsarbeiten und geschätzte Anzahl erhaltener Genotypen in Deutschland zum 31.12.2017 (Quelle: BLAG-FGR 2020).

ErhaltungsmethodeAnzahl ArtenAnzahl Generhaltungs-einheitenFläche in HektarGeschätzte Anzahl erhaltener GenotypenAnteil in %
In-situ-Bestände12710.88234.39613.748.400193
In-situ-Kleinvorkommen14892.17 92.171
Ex-situ-Bestände461.1821.418567.20014
Ex-situ-Samenplantagen   78336358143.12411
Ex-situ-Klonsammlungen  29132 10.020
Ex-situ-Saatgutlagerung 697.676 230.28022
Ex-situ-Pollenlagerung 9  2.1990
Geschätzte Gesamtanzahl erhaltener Genotypen   14.803.393 

1 Geschätzte Anzahl von Genotypen unter der Annahme von durchschnittlich 400 Genotypen/ha Generhaltungsfläche
2 Geschätzte Anzahl von Genotypen unter Annahme von durchschnittlich 30 Mutterbäumen/ Saatgutposten (Beitrag von Bestäubern nicht berücksichtigt)

Umsetzung des Konzeptes für Wildobstarten

Vogel-Kirsche, Wild-Apfel und Wild-Birne sind insektenbestäubte Baumarten der Pflanzenfamilie Rosengewächse, die in nahezu allen europäischen Ländern einschließlich Deutschland natürlich vorkommen. Auf Grund ihres Wärmebedürfnisses und ihrer Lichtbedürftigkeit sind sie von Natur aus in Eichen dominierten und anderen lichten Laubmischwäldern der tieferen und damit wärmeren Lagen aufzufinden. In Vergesellschaftung mit wuchsstarken Baumarten wie z. B. der Rotbuche sind sie nicht konkurrenzfähig. Grundsätzlich sind die drei Arten von Natur aus selten, wobei die Vogelkirsche in natürlichen Populationen mit geringer Größe vorkommt. Meist sind sie jedoch als Einzelbäume oder in kleinen Gruppen mit wenigen Individuen an Waldrändern, in Hecken oder auf extremen Standorten zu beobachten, wo die konkurrenzkräftigeren Arten nicht überleben. Unabhängig von ihrer potenziell wirtschaftlichen Bedeutung besitzen diese Baumarten als Lebensraum, Bienenweide und ökologische Nische für andere Lebewesen einen großen ökologischen Wert.

Die Vogel-Kirsche besitzt von diesen drei Arten die größte ökonomische und damit waldbauliche Bedeutung und unterliegt dem Forstvermehrungsgutgesetz. Sie kommt in ganz Deutschland vor, nimmt jedoch mit unter einem Prozent nur einen geringen Anteil an der Waldfläche ein. Auf Grund ihrer Bedeutung haben Erhaltungsmaßnahmen bei der Vogel-Kirsche sowohl in situ als auch ex situ stetig zugenommen. Darüber hinaus ist sie Gegenstand von weiterführenden genetischen Untersuchungen und züchterischen Arbeiten. Wild-Apfel und Wild-Birne sind dagegen sehr seltene und in ihrem Bestand bedrohte Wildobstarten. Eine erste bundesweite Erhebung von Vorkommen beider Arten fand im Rahmen des Vorhabens „Erfassung und Dokumentation genetischer Ressourcen seltener und gefährdeter Baumarten in Deutschland“ (BLE AZ 114-02.05-20.0074/09 - E - Los 2) statt, das durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gefördert wurde. Im Ergebnis der Erhebungen konnte ein Großteil der in Deutschland auf Waldstandorten noch vorhandenen Wild-Äpfel und Wild-Birnen erfasst werden (s. Tab 2). Ein beträchtlicher Teil davon wurde als In-situ-Generhaltungseinheiten ausgewiesen (s. Tab. 3). Unter Berücksichtigung der Anzahl Individuen, der Altersstruktur und der Vitalität der jeweiligen Vorkommen müssen 80 % der erfassten Vorkommen als gefährdet eingestuft werden. Nur 4 % der insgesamt 471 Vorkommen beider Arten besitzen eine gute bis sehr gute Erhaltungsfähigkeit.

Tab. 2. Erfasste Vorkommen von Wildobstarten in Deutschland

Art Vorkommen

Anzahl Vorkommen

Anzahl Individuen

Individuen/ Vorkommen

Wild-Apfel1 

251

8.325

33

Wild-Birne1

227

15.734

69

Vogel-Kirsche2

152 (155 ha)

Nicht bekannt

Min. 20

1 Nur Vorkommen mit mind. 5 Individuen
2 Nach Forstvermehrungsgutgesetz in der Kategorie „Ausgewählt“ zugelassene Erntebestände

Tab. 3. Bis Ende 2017 in Deutschland ausgewiesene In-situ- Generhaltungseinheiten der drei Arten (Quelle: BLAG-FGR, 2020)

Art

Bestände

Einzelbäume

 

Anzahl

Fläche in ha

Anzahl

Wild-Apfel

121

155,8

3.400

Wild-Birne

120

440,8

1.830

Vogel-Kirsche

307

570,1

3.040

Die In-situ-Erhaltung von Einzelbäumen dient dabei in der Hauptsache deren Förderung gegenüber anderen Baumarten sowie als Grundlage für weiterführende Maßnahmen ex situ.
Dies spiegelt sich in dem Umfang der bis Ende 2017 durchgeführten Ex-situ-Maßnahmen für die drei Wildobst-Arten wider (s. Tab. 4).
Neben der Begründung von Ex-situ-Erhaltungsbeständen lag ein besonderer Schwerpunkt auf der Anlage von Erhaltungssamenplantagen mit einer großen Anzahl an Genotypen als künstliche Fortpflanzungsgemeinschaften.

Tab. 4. Bis Ende 2017 in Deutschland angelegte Ex-situ-Generhaltungseinheiten der drei Arten (Quelle: BLAG-FGR 2020

ArtBeständeSamenplantagen Klonarchive
 AnzahlFläche in haAnzahlFläche in haAnzahl KloneAnzahlAnzahl Klone
Wild-Apfel2319,82929,95366257
Wild-Birne209,12219,63578206
Vogel-Kirsche5033,82638,36202125

Regionale Beispiele aus Sachsen

Am Beispiel von Ergebnissen des ebenfalls vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geförderten Modell- und Demonstrationsvorhabens "Erhaltung der innerartlichen Vielfalt gebietsheimischer Wildobstarten in Sachsen“ (FKZ 2810BM025), das sich auf regionaler Ebene unter anderen auch mit den Arten Wild-Apfel und Wild-Birne befasste, werden die Möglichkeiten und Grenzen der In-situ-Erhaltung seltener Wildobstarten im Wald und in der Forstwirtschaft vorgestellt und diskutiert. Bei der Umsetzung der Maßnahmen zur Erhaltung der genetischen Ressourcen von Wildobstarten kommt den öffentlichen Forstbetrieben des Bundes und der Länder einschließlich der Beratung von privaten und kommunalen Forstbetrieben eine besondere Rolle zu.

Nähere Informationen zu den Arbeitsgruppen und weitere Details sowie Literaturhinweise entnehmen Sie bitte der Originalpublikation.