Das gemeinsame Vorkommen von Lärche und Arve, den Charakterbaumarten der oberen alpinen Höhenstufen, prägt das Bild ausgedehnter Wälder in Graubünden, obwohl beide Baumarten sehr unterschiedliche Eigenschaften und Strategien besitzen und dementsprechend eine differenzierte waldbauliche Behandlung benötigen.

Lärchen-Arvenwälder

Die Lärche ist eine ausgesprochene Pionierbaumart der subalpinen und obersubalpinen Höhenstufe, wobei sie auch in tieferen Lagen beigemischt vorzufinden ist. Sie ist eine Lichtbaumart und sehr genügsam bezüglich Nährstoffverfügbarkeit und sie produziert leichte, flugfähige Samen, welche erfolgreich auf Rohboden, aber weniger gut bei Humusauflage keimen. Die Lärche zeigt zudem ein schnelles Jugendwachstum und erreicht grosse maximale Baumhöhen, die es ihr erlauben, sich langfristig in der Oberschicht gegenüber der Arve zu behaupten.

Die Arve oder Zirbelkiefer hingegen ist eine Baumart der späteren Sukzessionsstadien, welche Schatten besser erträgt als die Lärche, aber anspruchsvoller bezüglich Wasserverfügbarkeit ist: Sie gedeiht am besten auf mittelfeuchten Standorten mit ausgeglichenem Wasserhaushalt – auf Trockenstandorten verliert sie an Konkurrenzkraft. Die Arve wächst bevorzugt in der obersubalpinen Stufe, wo sie sich der Konkurrenz durch andere Baumarten wie der Lärche oder der Fichte entziehen kann. Die durch den Tannenhäher verbreiten Arvennüsschen keimen vorzugsweise auf stark humosen Oberböden.

Lärchen und Arven wachsen oft in Mischung, auch mit Fichte. Entscheidend für das Zusammenspiel in Mischbeständen sind neben den recht unterschiedlichen ökologischen Eigenschaften, der Topographie und dem Mikroklima die Häufigkeit von Störungsereignissen wie auch das Vorhandensein und die Intensität von Beweidung, welche die Lärche generell bevorteilen.

 

Veränderte Dynamik in den Lärchen-Arvenwäldern

Dieses Zusammenspiel von ökologischen Faktoren und den Einflüssen der Landwirtschaft und der Waldbewirtschaftung ist auch in den Wäldern des Avers in Graubünden zu beobachten. Untersuchungen konnten zeigen, dass die untersuchten Waldgebiete während Jahrhunderten stark beweidet wurden – die Bestände waren locker aufgebaut und zwischen den mit grossem Abstand gehalten alten Lärchen und Arven wuchs genügend Gras und Kräuter für das Vieh. Baumverjüngung war wenig vorhanden. Die Wälder schauten vermutlich ähnlich aus wie der heutige, immer noch beweidete Crötenwald. Dieser besteht weitestgehend aus uralten Bäumen, eine mittelalte Baumgeneration fehlt vollständig und auch die Verjüngung ist, bis auf die wenigen eingezäunten Flächen, nur spärlich vorhanden. Ganz anders sieht es im Capetta- und Hohenhauswald aus, wo die Beweidung schon vor Jahrzehnten eingestellt wurde. Die alten Methusalems – sehr dicke, uralte Bäume mit aussergewöhnlichen Wuchsformen und vielen Mikrohabitaten – stehen dort umgeben von teilweise sehr dichter Waldverjüngung, welche in den tieferen Lagen schon in den Kronenraum vorgedrungen ist und die alten Bäume bedrängen. Die alten Methusalems scheinen nach Jahrhunderten der Dominanz langsam "unterzugehen". Die Konkurrenz um Licht ist gebietsweise sehr gross und im dunklen Unterwuchs mit beträchtlicher Rohhumusauflage kann sich die Lärche kaum mehr ansamen. Die Arve hingegen ist erfolgreich, doch dürfte sie in Zukunft v.a. im Hohenhauswald mit der sich langsam aus dem unteren Avers ausbreitenden Fichte in Konkurrenz treten.

Was heisst das für den zukünftigen Waldbau?

Aufgrund der vorliegenden Resultate der Waldentwicklung können waldbauliche Massnahmen abgeleitet werden, mit dem Ziel, das Leben der uralten Bäume zu verlängern und dadurch auch die für die Biodiversität wichtigen Mikrohabitate zu sichern. Gleichzeitig soll auch die nächste Generation alter Bäume gefördert, die Verjüngungssituation verbessert du insgesamt die Stabilität dieser besonderen Wälder erhöht werden:

  1. Die Stammzahl im direkten Umfeld um die Baummonumente, v.a. im Capetta- und teilweise auch im Hohenhauswald, sollte verringert werden, um die erhöhte Konkurrenz um die Ressourcen Licht und Wasser zu reduzieren. Dies ist insbesondere für die monumentalen Arven der tiefen Lagen von Bedeutung, da ihre maximale Baumhöhe geringer ist als diejenige der Lärchen und sie bereits heute mit einem reduzierten Durchmesserwachstum zu kämpfen haben. Spätestens wenn der Einwuchs junger Bäume in den Kronen der Altbäume vorstösst, sollte aufgelichtet werden.
  2. Mittels gezielter Stabilitätsdurchforstungen, v.a. im Hohenhauswald, sollten ausgewählte mittelalte Bäume zu Stabilitätsträgern herangezogen werden, um mittelfristig die Bestandesstabilität zu erhalten, wenn die alten Baummonumente mit der Zeit absterben.
  3. Unter Berücksichtigung der grossen Unsicherheiten in Bezug auf die Auswirkungen des Klimawandels sollte - wo möglich – die Baumartenvielfalt erhöht werden. Dabei sollte nicht nur auf die Lärche und Arve abgestützt, sondern auch die sich ausbreitende Fichte und beispielsweise auch Birke, Vogelbeere und Aspe gezielt miteinbezogen werden, um die Resilienz der Wälder zu stärken.
  4. Im Crötenwald sollten die offenen Strukturen erhalten bleiben, aber trotzdem die Nachhaltigkeit bezüglich Nachwuchses und Baumartenmischung sichergestellt werden. Dies kann und soll dank einer Wald-Weide-Regelung bei fortgesetzter Beweidung geschehen. Dafür muss zwischen den Baummonumenten die Verjüngung punktuell gefördert oder angelegt werden – unter Berücksichtigung von Wild- und Weideschutzmassnahmen.
  5. Die Steuerung der Baumartenmischung sollte im Auge behalten werden. Gerade in den tieferen Lagen des Capettawaldes, wo die Bäume sehr wüchsig, die Bestände zunehmend dichter und dunkler und die Humusauflage immer mächtiger werden, ist eine natürliche Verjüngung mit Lärche nur mit unverhältnismässig grossem Aufwand möglich. Langfristig wird sich die Arve und vielleicht die Fichte durchsetzen. Um die Lärche im Spiel zu halten, können, falls natürlicherweise nicht genügend vorhanden, Öffnungen und punktuell auch Bodenschürfungen gemacht werden.

Die vorgeschlagene waldbauliche Planung versucht, die Waldentwicklung so zu steuern, dass die zu erwartenden Herausforderungen trotz Unsicherheiten bezüglich Klimawandel und zukünftig nachgefragter Waldleistung erfüllt werden können. Sie basiert auf einem Verständnis der aktuellen Walddynamik im Lichte der vergangenen Landnutzung unter Berücksichtigung der Lokalen Traditionen und Bedürfnisse. Nicht unmittelbar berücksichtigt sind die entstehenden Kosten für waldbauliche Massnahmen und wer diese schlussendlich tragen kann, sowie übergeordnete Rahmenbedingungen und gesellschaftliche Erwartungen, die einen entscheidenden Einfluss auf die heute und zukünftig nachgefragten Waldleistungen haben dürfen.