Bedingt durch den Klimawandel werden sich Baumartenzusammensetzungen sowie Ausmaß und Häufigkeit von natürlichen Störungen, aber auch von Naturgefahren wie Steinschlag, Rutschungen und Lawinen verändern. Im Projekt GreenRisk4ALPs werden Werkzeuge und Informationen für ein risikobasiertes Schutzwaldmanagement erarbeitet, um schneller auf derartige Veränderungen reagieren zu können.
Verstärkt durch den steigenden Bevölkerungsdruck und unterschiedliche gesellschaftliche Ansprüche an den Bergwald ergeben sich neue Herausforderungen im Naturgefahren- und Schutzwaldmanagement für Waldeigentümer, Forstbehörden oder Gemeindevorsteher, die nur durch neue oder angepasste und vor allem flexible Bewertungs- und Handlungskonzepte im Rahmen eines integralen Naturgefahrenrisikomanagements bewältigt werden können.
Praktisches Online-Werkzeug für Prioritätensetzung
Im Projekt GreenRisk4ALPs beschäftigen wir uns deshalb mit der Frage, wie ein risikobasiertes Schutzwaldmanagement als Teil eines integralen und ökosystem-basierten Risikomanagements umgesetzt und im Alpenraum harmonisiert werden kann. Risiko ergibt sich aus der Schnittmenge von Naturgefahr und dem potenziellen Schaden, den diese verursachen könnte, d.h. ein Naturgefahrenrisiko existiert nur dort, wo es Infrastruktur gibt. Darauf basierend entwickeln wir ein praktisches Online-Werkzeug, das hilft, Prioritäten für eine gezielte Waldbehandlung setzen zu können und Schutzwald als effektive und kosteneffiziente Schutzmaßnahme mit technischen Maßnahmen zu vergleichen. Es geht vor allem darum "wo" und nicht vordergründig "wie" der Schutzwald bewirtschaftet werden soll.
Gemeinsam mit Partnern aus allen Alpenländern arbeiten wir an dem Ziel, risikobasierte Schutzwalddefinitionen, -bewirtschaftungsrichtlinien und -managementstrategien im Alpenraum langfristig zu harmonisieren. Ein erstes wichtiges Ergebnis, welches aus dieser Zusammenarbeit entstand, ist die Schutzwald-Definitions-Matrix (Abbildung 1).
Schutzwalddefinitionen (engl. "Definitions of protection forest").
Spalte 1 (gelb) >> Bodenschutzwald (Schutzfunktion-F, Schutzwirkung-E);
Spalte 2 (orange) >> Schutzwald auf Entstehungs- und Prozessflächen;
Spalte 3 (rot) >> Wald mit direktem Schutz von Siedlungs- und Infrastrukturflächen vor gravitativen Naturgefahren (Lawine, Steinschlag, oberflächennahe Rutschung);
Spalte 4 (blau) >> Wald mit indirekter Schutzleistung für Siedlungs- und Infrastrukturflächen vor fluviatilen Naturgefahren (Wildbäche, Hochwasser);
Wald- und potentielle Waldflächen ohne Objekt- oder Standortschutzfunktion (engl. "Object protection forest" und "Site protection forest"; mittelgrün).
E1-E4: Waldbestände mit Schutzwirkung (Baumelemente);
Waldlücken ohne Schutzwirkung (vollfarbig).
Nach Kleemayr et al., 2019
Da keine deutsche Übersetzung vorliegt, wird die Originalgrafik in Englisch verwendet.
Resultierend aus den länderspezifischen Forstgesetzgebungen sind Begriffe rund um den Schutzwald im Alpenraum nicht eindeutig und einheitlich definiert. Eine einheitliche Verwendung der Begriffe ist aber wesentlich, um eine klare Kommunikation zwischen Praktikern, Wissenschaftlern und der Öffentlichkeit zu gewährleisten. Wichtig ist dabei vor allem die Unterscheidung zwischen Schutzfunktion, das heißt einem Wald wird die Funktion zugewiesen, etwas zu schützen, und Schutzwirkung, das heißt es wird bewertet, ob ein Wald auf Grund seiner Struktur diese Funktion optimal erfüllt oder auch nicht.
Im Fokus steht direkter Objektschutzwald
Im Projekt GreenRisk4ALPs stehen der sogenannte direkte Objektschutzwald und die drei Naturgefahrenprozesse Lawine, Steinschlag und flachgründige Rutschung im Fokus. Mit einem am Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) weiterentwickelten Prozessmodell (Flow-py) modellieren wir räumlich und auf regionaler Skala für diese drei Naturgefahren - basierend auf Beobachtungen, Wald- und Geländedaten - Prozessflächen und räumliche Auswirkungen mit und ohne Waldeinfluss. Um zum Beispiel Schutzwald mit einer direkten Objektschutzfunktion abzugrenzen, werden jene Prozesspfade (modelliert ohne Waldeinfluss) zurückverfolgt, welche in ihrem Wirkungsraum auf Infrastrukturen treffen. Überlappen sich diese Prozesspfade mit Waldflächen, so wird diesen eine Objektschutzfunktion zugewiesen.
In einem zweiten Modellauf kann nun für diese Waldflächen deren potenzieller Einfluss auf den Naturgefahrenprozess - bisher sehr vereinfacht, basierend auf Waldtypen und der Walddichte - berechnet werden. Der modellierte Waldeinfluss ist der Grad, in dem der umgebende Wald einem bestimmten Standort Schutz bietet, wodurch die Wahrscheinlichkeit, dass der Naturgefahrenprozess diesen Standort erreicht, oder das Ausmaß des Ereignisses an diesem Standort verringert wird.
Zum Beispiel wird die Wahrscheinlichkeit für einen Lawinenanbruch in dichtem Fichtenwald oder die Geschwindigkeit beim Durchfließen des Waldes reduziert, wodurch der Wald einem Standort im Auslaufgebiet der Lawine einen gewissen Grad an Schutz bietet. Hatte die Lawine vor dem Auftreffen auf den Wald bereits zu viel Energie gewonnen, dann ist sein Einfluss auf die Lawine für diesen Standort begrenzt und der Wald wird zerstört.
Unser Prozessmodell hat den Vorteil, dass es, wenn bessere Daten vorhanden sind (beispielsweise durch Fernerkundung oder Beobachtungen), einfach angepasst und weiterentwickelt werden kann. Die resultierenden Karten ermöglichen zum Beispiel, die Objektschutzfunktion von Waldflächen mit anderen Waldfunktionen zu vergleichen, zu priorisieren und die Flächen einzugrenzen, wo Ressourcen bestmöglich eingesetzt werden können (Abbildung 2).
Vergleich von forstlichen und technischen Schutzmaßnahmen
Im nächsten Schritt können nun etwa für einen ausgewählten Lawinenpfad waldbauliche Maßnahmen mit technischen Schutzmaßnahmen und Vermeidungsstrategien bezüglich ihrer Effektivität und Wirtschaftlichkeit verglichen werden. Das in GreenRisk4ALPs entwickelte Online-Protection Forest Assessment Tool (FAT) führt ad hoc eine Risikoberechnung und Kosten-Nutzen-Analyse für jede der gewählten Maßnahmen durch. Für den ausgewählten Lawinenpfad werden beispielsweise Anbruchgebiet, Hangbreite und die zu schützenden Objekte in die grafische Benutzeroberfläche von FAT eingegeben. Berücksichtigt werden die Werte der zu schützenden Objekte (wie etwa die Kosten für den Bau einer Straße oder der Wert eines Wohngebäudes) sowie die Kosten für die ausgewählten Schutzmaßnahmen, welche an unterschiedlichen Stellen im Lawinenpfad positioniert werden können (z.B. Schutzwaldaufforstung, Lawinenauffangdamm oder Stahlschneebrücken).
Die Basis dafür bilden länderspezifische Durchschnittswerte, die aufgrund langjähriger Praxiserfahrung festgelegt wurden. Sind alle Eingaben vollständig, wird im Hintergrund mit unserem Prozessmodell Flow-py der Effekt der unterschiedlichen Schutzmaßnahmen auf Eintretenswahrscheinlichkeit und Auslauflänge der Lawine modelliert und berechnet, ob die Lawine die zu schützenden Objekte erreicht oder nicht. Als Ergebnis wird der Nutzen, also der verhinderte Schaden (Wert der zu schützenden Objekte), den Kosten der verschiedenen Schutzmaßnahmen in Zeitschritten von 25, 50 und 100 Jahren gegenübergestellt. Durch diesen Vergleich kann dann abgewägt werden, welche Schutzmaßnahme an einem bestimmten Standort am effektivsten und kosteneffizientesten ist.
Gries am Brenner ist eine weitere Pilotregion.
Bücher für Praktiker
Basierend auf den in GreenRisk4ALPs gesammelten Informationen und entwickelten Methoden entsteht ein Buch für Praktiker, in dem die wissenschaftlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen für ein risikobasiertes Schutzwaldmanagement als Teil eines integralen Naturgefahren-Risikomanagements zusammengefasst sind. Erkenntnisse aus GreenRisk4ALPs werden ergänzt durch Beiträge von nicht im Projekt involvierten Experten, die weitere aktuelle Forschungsprojekte und deren Ergebnisse anhand von Fallbeispielen aus dem Alpenraum beschreiben. In einem zweiten Buch wird aus jeder der sechs GreenRisk4ALPs-Pilotregionen ein Best-Practice-Beispiel für die praktische Umsetzung eines ökosystem-basierten Risikomanagements vorgestellt und illustriert.
Durch flexible risikobasierte Bewertungs- und Handlungskonzepte kann schneller auf Veränderungen von natürlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen reagiert werden. Für das Schutzwaldmanagement bedeutet dies vor allem, Prioritäten zu setzen und vorhandene Ressourcen optimal zu verteilen, um Schutzwald als ökosystem-basierte Risikoreduktionsmaßnahme gezielt zu bewirtschaften.
Das internationale und interdisziplinäre GreenRisk4ALPs-Team, hier bei einem Projektmeeting im Eurac Research in Bozen, vereint wissenschaftliche Expertise mit Praxiswissen, und trifft sich regelmäßig in einer der sechs Pilotregionen in Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Slowenien.
Foto: Eurac Research