Bereits vor 25 Jahren war der "Stillberg" bei Davos (Kanton Graubünden) eine der am besten untersuchten Versuchsflächen der Forschungsanstalt WSL. Der im Jahr 1975 systematisch mit Arven, Bergföhren und Lärchen bepflanzte Hang gibt seitdem Auskunft über die langfristige Wirkung verschiedener Umweltfaktoren an der alpinen Waldgrenze. Seit einigen Jahren werden einzelne Bäume am Stillberg zudem experimentell höheren CO2-Konzentrationen ausgesetzt und erwärmt. Damit entwickelt sich der Stillberg zunehmend auch zum Experimentierfeld für die Beantwortung von Fragen rund um den Klimawandel.
Die Versuchsfläche "Stillberg" an der alpinen Waldgrenze wurde in den 1950-er Jahren eingerichtet. Das Hauptziel dieses "Gebirgsprogramms" lag darin, ökologisch und technisch geeignete Verfahren für Aufforstungen in Lawinenanrissgebieten im Waldgrenzenbereich zu finden. Als Hauptversuch wurden im Jahr 1975 mehr als 90'000 Bäumchen (Arven, Bergföhren, Lärchen) in einem regelmässigen Muster gepflanzt, 400 Schneepegel gesetzt und in einem Drittel der aufgeforsteten Versuchsfläche temporäre Lawinenverbauungen errichtet.
In der Folge wurde ein intensives Monitoring betrieben, das vor 25 Jahren in seiner Hochblüte war. Seither hat die Intensität des Monitorings auf der Versuchsfläche zwar deutlich abgenommen, der Stillberg hat aber nichts von seiner Attraktivität und Aktualität eingebüsst, und völlig neue Forschungsfelder sind dazugekommen.
Ein einst stiller Berg wird erforscht
Abb. 2 - Ausschnitt der Versuchsfläche Stillberg im Jahr 1982. Die 1975 gepflanzten Bäume sind zumeist noch kleiner als 50 cm.
Foto: Ulrich Wasem (WSL)
Vor 25 Jahren war es am Stillberg nicht mehr still. Zahlreiche Wissenschaftler waren damit beschäftigt, Daten über die aufgeforsteten Bäume, wie auch über Mikroklima und Boden, Pilze und Fauna, sowie über Schnee und Lawinen zu erheben und auszuwerten. Die Resultate führten zu zahlreichen Publikationen und wurden in Führungen Praxis und Wissenschaft zugänglich gemacht.
Bereits wenige Jahre nach der Pflanzung bildete sich ein interessantes Muster von überlebenden Bäumen (Abb. 1 und 3). Daraus liessen sich bereits wichtige Erkenntnisse für die Praxis ableiten. Dazu gehörten insbesondere Anleitungen zu Pflanztechnik und zur standortsgemässen Anlage sowie zur Pflege von Hochlagenaufforstungen.
Statt wie früher flächenmässig aufzuforsten, konnte dank der Erkenntnisse vom Stillberg die Ökologie und der Kleinstandort bei Aufforstungen im Gebirge besser berücksichtigt und standortgerechter gepflanzt werden. Die am Stillberg gezogenen Lehren flossen im Jahr 1984 in eine Rottenaufforstung in einer Waldbrandfläche an der oberen Waldgrenze im Münstertal ein. Die dort gepflanzten Bäume sind inzwischen 4-6 Meter hoch und stabilisieren bereits die winterliche Schneedecke.
Video Versuchsaufforstung Stillberg (Davos)
Bäume an der Waldgrenze im Wandel von Raum und Zeit
Der inzwischen mehr als 25-jährige Überlebenskampf der Bäume am Stillberg hat deutliche Spuren hinterlassen (Abb. 4). Von den ursprünglich 92'000 gepflanzten Bäumen lebten im Jahr 1982 noch 74%, bei der letzten grossen Zustandserfassung im Jahr 2005 sogar nur noch 30%. Während im Jahr 1982 noch alle drei gepflanzten Baumarten gleichmässig vertreten waren, prägen heute vor allem die Lärchen das Bild (Abb. 3). Die beiden immergrünen Baumarten Bergföhre und Arve wurden in den 1980-er Jahren zunehmend von Schneepilzen befallen und kommen heute nur noch auf den günstigsten Standorten vor, wie beispielsweise den Rippen und gut besonnten Hanglagen.
Die Forschungsfläche Stillberg umfasst mit einer Höhenlage von 2000 bis 2230 m ü. M. genau den Höhengradienten, innerhalb dessen das Wachstum der Bäume an der inneralpinen Waldgrenze infolge Wärmemangel zunehmend begrenzt ist. Sowohl Wachstum wie auch Überleben von Bäumen sind deshalb stark durch diesen Höhengradienten geprägt. Während im unteren Teil der Fläche die Bäume heute teilweise schon über 6 Meter hoch sind, sind sie nur 150 m weiter oben auch 34 Jahre nach der Pflanzung kaum über den wärmenden Bodenbereich hinaus gewachsen.
Abb. 3 - Ausschnitt der Versuchsfläche Stillberg im Jahr 2008. Viele gepflanzte Bäume sind nun höher als der temporäre Lawinenverbau und übernehmen einen Teil der Schutzfunktion. Foto: Ulrich Wasem (WSL)
Abb. 4 - Entwicklung der Überlebensraten der Bäume am Stillberg seit der Pflanzung im Jahr 1975.
Rauhes Klima beeinflusst Baumwachstum
Die Bedeutung verschiedener Einflussfaktoren für Wachstum und Überleben der Pflanzen hat sich im Laufe der letzten 25 Jahre verändert. In den ersten 10 Jahren nach der Pflanzung waren vor allem die Exposition und Sonneneinstrahlung sowie die Dauer der Schneebedeckung wichtig: sonnige Standorte, an denen der Schnee im Frühling relativ früh schmilzt und wo der Wurzelraum der Pflanzen während der Sommermonate genügend Wärme aufnehmen kann, waren für die Pflanzen besonders günstig.
Bei der letzten Gesamterhebung der Bäume im Jahr 2005 waren diese Faktoren zwar immer noch wichtig. Je grösser die Bäume sind und je stärker sie aus dem Einflussbereich der wärmenden Bodenschicht herausgewachsen sind, desto mehr sind Wachstumsprozesse durch die Umgebungstemperatur und damit indirekt durch die Höhenlage bestimmt. Auch beeinflussen zunehmend artspezifische Eigenschaften das Selektionsverfahren der aufgeforsteten Bäume: So wurden in den letzten Jahren Föhren und Arven, deren Stämme dicker waren als 7 cm, zunehmend anfälliger auf Stammbrüche durch Schneebewegungen. Lärchen kommen aufgrund ihrer grösseren Elastizität etwas später in dieses Stadium, konkurrenzieren sich aber im unteren Teil des Hanges zunehmend selber, so dass auch sie bei grösseren Schneebelastungen immer häufiger gebrochen werden.
Experimente zu Waldgrenze und Klimawandel
Abb. 5 - Experimentierplot am Stillberg zur Erforschung von erhöhter CO2-Konzentration und wärmeren Temperaturen auf das Waldgrenzen-Ökosystem. Foto: WSL
Nebst der langfristigen Forschung am Stillberg zur Aufforstung an der Waldgrenze wurde in den letzten Jahren ein zusätzlicher Forschungsfokus immer wichtiger. Die gut dokumentierte Versuchaufforstung mit verschiedenen Baumarten bietet nämlich die einmalige Möglichkeit, an der natürlichen Waldgrenze kontrollierte Versuche durchzuführen, da hier gleich alte und gleichmässig angeordnete Bäume jeweils gleicher Herkünfte zur Verfügung stehen.
In einem 2001 begonnen Experiment untersuchen Forschende, wie sich der abzeichnende Klimawandel auf die Ökosysteme an der Waldgrenze auswirkt. Wissenschafter der WSL, der Uni Basel, und verschiedener ausländischer Forschungsinstitute simulieren hierbei die atmosphärischen CO2-Konzentrationen und Temperaturen des Jahres 2070. Sie erhöhen dazu die CO2–Gehalte um 200 ppm (= heute + 50 %) und die Bodentemperaturen um 3°C. Über perforierte Schläuche erhalten je zehn Lärchen und Bergföhren höhere CO2-Konzentrationen, die gleiche Anzahl an Bäumen bleibt unbehandelt (Kontrolle). Unter jeweils der Hälfte der Bäume wird der Boden mittels Heizkabeln um 3°C erwärmt. Die Wissenschafter untersuchen die Reaktionen des Wachstums, den Nährstoffumsatz und Schädlingsbefall sowie die Krankheiten der Bäume und die CO2-Bilanz des Bodens (Abb. 5).
Lärchen wachsen schneller, Bergföhren langsamer
Der simulierte Klimawandel wirkt sich unterschiedlich auf die verschiedenen Arten aus. So zeigen Lärchen bei erhöhtem CO2-Angebot ein um rund 20 Prozent stärkeres Spross- und Dickenwachstum. Die Bergföhren steigern ihr Wachstum hingegen nicht. Bei ihnen begrenzen Faktoren wie Temperatur und Schädlinge das Wachstum. Die Bergföhren profitierten daher von dem erwärmten Boden. Zwergsträuchern wie der Krähenbeere bekam die Wärme hingegen weniger gut. Sie erlitt Schäden durch frühsommerlichen Frost, da sie zu früh begann zu wachsen. Auch viele Lärchen wiesen Frostschäden auf, allerdings nicht wegen der Bodenerwärmung, sondern aufgrund des erhöhten Kohlendioxids. Diese Lärchen legten im Vorjahr mehr Reserven an und trieben im Frühjahr eine Woche früher aus. Aus diesen Ergebnissen folgern die Wissenschafter, dass der Klimawandel zu einer Artenverschiebung führen könnte.
Erhöhtes CO2 wirkte sich auch auf den Schädlingsbefall aus: Im Sommer 2007 befielen tausende Blattläuse vor allem unter erhöhtem CO2 die Bäume. Denn dort fanden sie mehr Zucker. Und das hatte Folgen: Von den Läusen tropfte Zucker auf den Boden, was dort wiederum biologische Umsetzungsprozesse in Gang setzte. Bei Erwärmung um 3°C setzten aktivere Mikroorganismen im Boden zusätzliche Mengen CO2 frei, die nicht – wie erhofft – durch eine verstärkte CO2-Aufnahme durch erhöhtes Wachstum ausgeglichen werden.
Mit Isotopenmessungen können die Wissenschafter nachweisen, dass das zusätzlich im Boden freigesetzte CO2 beim Abbau des Humus freigesetzt wird. Das CO2, das für die Begasung benutzt wurde, wies nämlich ein anderes Verhältnis der Kohlenstoff-Isotope C12 und C13 auf als der im Humus gespeicherte Kohlenstoff. So liess sich zeigen, ob freigesetztes CO2 durch die Begasung aus der Luft stammte oder aus früher im Humus eingelagertem Kohlenstoff. Die Isotopenmessungen ergaben, dass eine substanzielle Menge Kohlenstoff aus dem Boden als Treibhausgas CO2 in die Atmosphäre gelangte, dass also Humus abgebaut wurde. Dadurch wurde dieses Ökosystem zumindest anfänglich zu einer CO2-Quelle. Wie lange dieser Effekt andauern wird und welche mengenmässige Bedeutung er hat, werden die nächsten Versuchsjahre zeigen.
Stillberg auch in Zukunft wertvoll für die Forschung
Sowohl als langfristige Beobachtungsfläche wie auch als Experimentierfeld bietet die Forschungsfläche Stillberg auch in Zukunft beste Voraussetzungen, Interaktionen zwischen Bäumen, Schnee und anderen Einflussfaktoren an der alpinen Waldgrenze sowie Auswirkungen des Klimawandels auf die Waldgrenze zu studieren und Aufforstungen sinnvoll durchzuführen. Wie der Stillberg in 25 Jahren aussieht? Wir können es nur ahnen. Wir sind aber zuversichtlich, dass uns der einst so stille Berg im Dischmatal noch manches Geheimnis preisgeben wird.