Im Rahmen eines Projektes wurden das Höhenwachstum, die Wuchsform und das Auftreten von Schäden beobachtet. Mit dem Ergebnis: In der Wuchsleistung überzeugen Stecklingsnachkommen aus dem tiefmontanen Höhenbereich unter 900 m, Nachkommen aus dem Bereich von 1200 bis 1550 m weisen das geringste Wuchspotenzial auf. Der Stecklingsschnitt beeinflusst nach zehn Jahren kaum mehr die Wuchsform.
Die Versorgung des klimatisch extremen Hochgebirges mit generativ entstandenem Pflanzgut erweist sich äußerst problematisch: Die Samen bilden sich in diesen Höhenlagen selten aus, das geerntete Saatgut hat meist eine geringe Keimfähigkeit. Bereits nach 1960 legte das Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald, Naturgefahren und Landschaft (BFW) Testreihen zur Vegetativvermehrung der Fichte an mit dem Ziel, die Variation verschiedener Hoch- und Tieflagenherkünfte aus dem natürlichen Verbreitungsgebiet der Fichte im alpinen Raum zu untersuchen. Zwei wesentliche Fragen waren: Wie reagieren die klimatisch begünstigten Tieflagenrassen beim Transfer in den subalpinen Bereich? Wie verhalten sich "hochlagenangepasste Nachkommen" unter veränderten Wuchsbedingungen?
Ausgangsmaterial
Als Ausgangsmaterial diente Saatgut aus dem Samenjahr 1971. 46 der 48 inländischen Beerntungen wurden in "zugelassenen Saatguterntebeständen" durchgeführt, das ausländische Material stammt aus der Schweiz, Deutschland, Tschechien und Polen. Im Alter von zehn Jahren begann die Stecklingsvermehrung. Die Kulturen wurden im Frühjahr 1988 mit wurzelnackten Pflanzen angelegt.
Fichtenstecklingsversuch: Geologie und Klima Spiss im Oberinntal (Bündner Schiefer), Haggen bei St. Sigmund im Sellraintal (Orthogneise) und Stans im Unterinntal (Alpine Trias Kalke) repräsentieren drei Wuchsgebiete der subalpinen Höhenstufe im Bundesland Tirol. In Spiss (1.900 m, Wuchsgebiet 1.1) herrscht kontinentales Gebirgsinnenklima, es ist der trockenste Bereich des österreichischen Alpenraumes. Haggen (1.800 m, Wuchsgebiet 1.2) wird durch kontinental getöntes Gebirgsinnenklima geprägt, jedoch ist dieser Bereich niederschlagsreicher als die Kernzone. Stans (1.800 m, Wuchsgebiet 2.1) weist ein Übergangsklima vom subkontinentalen trockenen Innenalpenbereich zu den kühl humiden Randalpen auf (KILIAN, MÜLLER, STARLINGER, 1994). |
Bei Anlage auf günstige Kleinststandorte geachtet
Ein Exaktversuch mit starren Versuchsdesign und fixen Pflanzverbänden war aufgrund der schwierigen standörtlichen Gegebenheiten nicht zielführend. In Spiss und am Stanser Joch wurden die Jungpflanzen in vorhandene Löcher der Latschenfelder oder als Unterbau in räumdige Altbestände eingebaut. In Haggen erfolgte die Aufforstung jedoch auf einer rund einen Hektar großen Freifläche, integriert in das Hochlagenaufforstungsprojekt der Wildbach- und Lawinenverbauung des Landes Tirol. Bewusst wurde beim Setzen der 2/2-er und 2/3-er Pflanzen (Haggen) auf Kleinststandorte geachtet, nach Möglichkeit nutzte man kleinflächige Humuszellen in wind- und schneegeschützten Lagen.
Die Ergebnisse basieren auf den 15-jährigen (Stans), 17-jährigen (Spiss) und 18-jährigen (Haggen) Aufnahmedaten der Jahre 1999 und 2001. Zur Bewertung der Wuchsformentwicklung wurden die Vorerhebungsdaten aus den Jahren 1993 und 1996 mit in die Analysen einbezogen. Insgesamt wurden von 3542 Pflanzen (= 1.869 Klone) die Höhe, die Wuchsform sowie der Grad und die Art der Schädigung erhoben (1639 in Haggen, 1141 in Stans und 762 in Spiss).
Beginn und Ende der Wachstums genetisch bestimmt
Austriebsverhalten und Wachstumsabschluss bestimmen die Länge der Vegetationszeit einer Pflanze. Tieflagenherkünfte treiben im Frühling eher aus und schließen im Herbst später mit dem Wachstum ab. Austriebs- und Abschlussverhalten sind stark an den Ursprungsort angepasst und werden bei der Verfrachtung in andere Klimaregionen beibehalten, dies wurde unter anderem am Institut für Genetik im Zuge von Klimakammeruntersuchungen nachgewiesen (HOLZER, 1979). Um diese Variationen in der Länge der Vegetationszeit und deren Auswirkungen auf das Höhenwachstum analysieren zu können, wurde das Ausgangsmaterial in die vier Höhenstufen der Beerntungsorte eingeteilt (Abbildung 1).
Abbildung 1: Relative Wuchsleistung der Einzelflächen und Gesamt (* = signifikante Differenz bei 5% Irrtumswahrscheinlichkeit)
Die mittleren Höhen betrugen in Haggen 69,8 cm (18-jährig), in Stans 104,2 cm (15-jährig) und in Spiss 131,1 cm (17-jährig). Die enormen Differenzen, insbesondere das starke Zurückbleiben der Haggener-Fläche, sind durch ungleiche standörtliche Ausgangssituationen zu erklären. Abbildung 1 zeigt, wie die Wuchsleistung der Herkünfte einer bestimmten Ausgangshöhenlage von der durchschnittlichen Wuchsleistung aller Pflanzen der jeweiligen Fläche abweicht.
Tieflagenherkünfte mit überdurchschnittlicher Wuchsleistung
Genauere Analysen ergaben, dass Nachkommenschaften von Tieflagenherkünften (Ausgangsseehöhe unter 900 m) ein überdurchschnittliches Höhenwachstum aufweisen: 111,6 % in Haggen, 109,1 % in Stans und 105,5 % in Spiss. Nachkommenschaften zwischen 1.200 und 1.550 m Beerntungsseehöhe haben das geringste Wuchspotenzial. Hingegen ziehen Hochlagennachkommen über 1.550 m Ausgangsseehöhe im Höhenwachstum wieder an.
In Spiss, mit der größten Jahrestemperaturamplitude und den geringsten Niederschlägen während der Vegetationszeit, ist die Trendumkehr am deutlichsten zu beobachten. Mit 101,9 % Wuchsleistung liegen Nachkommen aus dieser Höhenstufe knapp über dem Versuchsmittel und zeigen 5,8% mehr Wuchspotenzial als Nachkommen der unmittelbar darunter liegenden Höhenstufe. Auch auf den beiden anderen Versuchen ist diese Entwicklung zu beobachten, fällt aber mit rund zwei Prozent Mehrwuchsleistung nicht so eindeutig aus (Abbildung 1, Wuchsleistung Einzelflächen).
Jeder Steckling (Klon) wurde bei der Begründung mehrmals verteilt auf jeder der Versuchsflächen ausgebracht. Diese Anordnung ermöglicht die Berechnung der Gesamtwuchsleistung über alle drei Flächen, dazu fließen die Daten der Einzelflächen gesondert in die Analysen ein (Abbildung 1, Gesamt).
Ist das Wachstum der vier Höhenstufengruppen unterschiedlich? Dazu wurde eine Varianzanalyse durchgeführt mit dem Ergebnis: Der Varianzquotienten-Test (F-Test) weist auf dem 5%-igen Niveau keine signifikanten Unterschiede im Höhenwachstum auf, das heißt der Trend, dass Tieflagennachkommen den anderen Höhenstufen im subalpinen Bereich in der Höhenentwicklung überlegen sind, kann statistisch nicht abgesichert werden.
Stecklingschnitt hat keinen negativen Einfluss auf Wuchsform
JESTAEDT (1980) fand heraus, dass ein Einfluss auf die Stammform nach neun Vegetationsperioden nach dem Stecklingsschnitt nicht mehr nachweisbar sei. Ebenfalls sei es egal, ob der Steckling direkt vom Mutterbaum (Primärsteckling) oder von einem Steckling (Sekundärsteckling) geworben wurde. Diese Untersuchungen erfolgten im Versuchsgarten.
Abbildung 2: Wuchsformentwicklung
Nun wurde untersucht, ob und in welchem Zeitraum sich die Ergebnisse von Jestaedt an der obersten Verbreitungsgrenze unter klimatischen Extrembedingungen bestätigen. Die Bewertung der Stammform basiert auf den Erhebungen der Jahre 1993 und 1996 (zehn- bis dreizehnjährig) sowie 1999 und 2001 (15 bis 18-jährig). Der Anteil der Pflanzen mit aufrechtem Wuchs betrug bei der Ersterhebung 67,9 % und nahm in den Jahren bis zur Zweiterhebung um 10 % auf 77,9 % zu. Dagegen verringerten sich der Anteil der "Zwischenform" um 7,9 % auf 19,1 % und der Anteil der Pflanzen mit "liegendem Wuchs" um 2,1 % auf 3,0 % (Abbildung 2, Wuchsformentwicklung). Bei genauer Betrachtung der Einzelflächen sind feine Unterschiede zu erkennen. So zeigen bei der Zweiterhebung Spiss mit 93,3 % und Stans mit 82,6 % den erwartet hohen Anteil an Pflanzen mit aufrechtem Wuchs, in Haggen liegt er mit 67,5 % deutlich darunter. Dies lässt sich durch die standörtlichen Gegebenheiten der Versuchsfläche, im steileren Gelände durch fehlenden Schutz des stabilisierenden Begleitbewuchses erklären.
Schäden
Im Zuge der Erhebungen wurde das Vorhandensein verschiedener Schadsymptome bewertet. Angesprochen wurden Frosttrocknis, Verbiss, Ersatzwipfel- und Zwieselbildung, Schneedruck, Fege-, Schäl- und Vertrittschäden sowie Befall mit der Roten Fichtengalllaus (Adelges laricis). Bei einheitlicher Betrachtung der Versuchsflächen sind keine Gemeinsamkeiten in Art und Häufigkeit der aufgetretenen Schäden zu erkennen. Haggen weist bei 3,2 %, Spiss bei 15,1 % und Stans bei 37,5 % der Pflanzen keine Schäden auf. In Haggen stellt der hohe Anteil an Verbissschäden (39,7 %) und die daraus resultierende Ersatzwipfelausbildung (41,1 %) das größte Problem dar. Weiters weisen in Haggen 8,4 % der Pflanzen Frosttrocknisschäden auf, der Höhenbereich über 1.550 m ist mit 9,5 % am stärksten geschädigt.
Abbildung 3a: Schäden, aufgegliedert nach Versuchsstandorten
Abbildung 3b: Schäden, aufgegliedert nach Seehöhe des Prüfmaterials
In Stans weist der größte Anteil der Pflanzen keine Schäden auf, daneben treten verstärkt Schneedruckschäden (27,6 %) und Fichtengalllausbefall (19,0 %) auf. Von den schneedruckgeschädigten Pflanzen ist der Höhenbereich unter 900 m mit 34,0 % am stärksten betroffen. In Spiss stellt die Fichtengalllaus mit einer Befallsdichte von 33,6 % den Hauptschaden dar, wobei Pflanzen aller Ursprungshöhen gleichermaßen betroffen sind. Unterschiede gibt es bei den Schneedruckschäden, im Mittel sind 7,7 % geschädigt, auffällig dagegen der hohe Anteil des Höhenbereichs von 900 bis 1.200 m mit 20,5 %.
Fichtenstecklinge sind erfolgsversprechende Alternative
Die Ergebnisse zeigen, dass Fichtenstecklinge eine viel versprechende Variante der Hochlagenaufforstung darstellen. Um einen langfristigen Erfolg sicherzustellen, ist darauf zu achten, dass mehrere hundert Ausgangspflanzen (Klongemisch) unterschiedlicher Regionen zur Verfügung stehen. Die bestangepassten Individuen setzen sich durch, reproduzieren sich, schaffen die gewünscht hohe genetische Vielfalt und tragen zur Stabilisierung und Sicherung dieser Standorte bei.
Literatur
KILIAN W., MÜLLER F., STARLINGER F., 1994: Die forstlichen Wuchsgebiete Österreichs. FBVA-Berichte 82: 15-21
HOLZER K., 1979: Die Kulturkammertestung von Fichte zur Ergänzung der Saatgutkontrolle sowie als Voraussetzung für eine Verwendungsempfehlung. Allg. Forstztg. 90: 174-176
JESTAEDT M., 1980: Die Autovegetative Vermehrung von Forstpflanzen. Allg. Forst Zeitschrift 26: 691-693