Gesetzmässigkeiten der Gestaltbildung
Die normale Gestalt eines Baumes, d.h. Verzweigungstyp, Wuchsrichtung und Proportionen der Pflanzenteile zueinander, sind erblich festgelegt. Die Entwicklung der Baumgestalt wird durch Wuchsstoffe (Pflanzenhormone) gesteuert, die vorwiegend in Knospen und Trieben des Gipfels, der Zweig- und Wurzelspitzen gebildet werden. Diese Wuchsstoffe bewirken, dass Stämme senkrecht und Äste schräg wachsen.
Der Gipfeltrieb und die Spitzentriebe der Äste dominieren über die untergeordneten Triebe, d.h. sie können das Wachstum der übrigen Triebe hemmen (Apikaldominanz). Diese Steuerung ist besonders stark ausgeprägt bei Nadelbäumen und speziell bei der Fichte, weshalb der folgende Wuchsformenkatalog sich zur Hauptsache auf die Fichte konzentriert.
Wie entstehen abweichende Wuchsformen?
An der Waldgrenze können die Bäume ihre Gestalt jedoch selten rein nach ihrer inneren Veranlagung ausbilden. Eine Vielzahl gewaltsamer Einwirkungen von aussen wie Frost, Lawinen oder Krankheiten schädigt Knospen, drückt Stämme schief oder tötet Baumteile ab. Der Baum hat erstaunliche Fähigkeiten, die Schädigungen zu reparieren oder Lageverschiebungen auszugleichen.
Stammformen als Zeugen mechanischer Kräfte
Bäume im Gebirge sind oft starken mechanischen Kräften ausgesetzt, denen sie nicht immer gewachsen sind. Besonders an Hängen mittlerer Neigung, wo die Schneedecke besonders dick wird, üben hangparallele Schneebewegungen wie Schneekriechen, Schneegleiten oder Lawinen grosse Kräfte auf Stämme aus und drücken sie schief, stossen sie zu Boden, brechen oder entwurzeln sie. Steilere Lawinenanrisshänge mit mehr als 40° Hangneigung entladen sich meistens bevor die Schubkräfte durch die Schneedecke grossen Schaden an den Bäumen anrichten; bei geringer Hangneigung sind die hangparallelen Kräfte schwach.
Lageveränderungen der Stammachse lösen eine Reihe von Wachstumsreaktionen aus. Auf der plötzlich belasteten Seite des Nadelholzstammes teilen sich die Kambiumzellen schneller und die Zellwände dehnen sich stärker aus als auf der entlasteten Gegenseite. Zugleich reagiert jede Zelle auf die höhere Belastung mit der Bildung einer sehr dicken Zellwand. Gesamthaft wird diese Reaktionszone als Druckholz bezeichnet (siehe Abbildung unten). Dieser Vorgang setzt sich so lange fort, bis der Baum sein internes Gleichgewicht wieder eingestellt hat.
Nadelhölzer bilden als Reaktion auf einseitige Belastung (z.B. Schneegleiten) so genanntes Druckholz auf der Talseite. Laubhölzer hingegen reagieren hangwärts mit der Bildung von Zugholz. mehr dazu
Der Querschnitt durch einen Fichtenstamm spiegelt zwei Lebensphasen. In den ersten 2 Jahrzehnten stand die Fichte aufrecht. Dafür spricht der zentrisch gewachsene Stamm. Danach wurde der Baum durch einen Sturm umgedrückt. In der Folge wuchs der Stamm exzentrisch und die Zellen bildeten Druckholz aus.
Foto: Walter Schönenberger (WSL)
Kronenformen als Zeugen harter Umweltbedingungen
Knospen, Nadeln und Triebe fallen oft den harten Umweltbedingungen an der Waldgrenze zum Opfer. Es kommt häufig vor, dass Früh- oder Spätfröste oder extreme Temperatursprünge die neuen Triebe und Nadeln abtöten. Ferner trocknen starke und langandauernde Winde oft die neuen Triebe, die Nadeln oder ganze Kronenteile aus, vor allem wenn der Boden gefroren ist und so das Wasser nicht ersetzt werden kann (Frosttrocknis). In extrem windexponierten Lagen werden Knospen, Nadeln und Rinde durch Treibschnee abgeschliffen. Starke Sonneneinstrahlung über der Schneedecke bewirkt ähnliche Schäden. Schliesslich werden häufig Knospen und Triebe vom Schalenwild oder von Rauhfusshühnern abgeäst. Auch parasitische Pilze töten oft die bodennahen Äste ab, die im Winter schneebedeckt sind.
Auf den Verlust der Knospen an den Triebspitzen, wo die Wuchsstoffe hauptsächlich gebildet werden, reagieren die Bäume im Kronen- und im Wurzelbereich ganz deutlich. Bisher ruhende (schlafende) Knospen an den unverletzten Ast- und Stammstücken werden plötzlich aktiv, oder neue Knospen (Adventivknospen) werden angelegt und treiben aus, und zwar nicht nur seitlich, sondern auch auf der Ober- und der Unterseite der Zweige. Das kann zu sehr feiner und dichter Verzweigung führen. Da überdies die Jahrestriebe sehr kurz sind, konzentrieren sich die Nadeln auf einen sehr dichten Nadelmantel an der Kronenoberfläche. Oft sind nur die bodennahen Äste stark verlängert, liegen dem Boden auf und sind bewurzelt. Nicht selten entstehen aus solchen verlängerten Ästen mit Bodenkontakt und Bewurzelung neue Stämme, indem sich die Astspitzen aufrichten.
Typische Stamm- und Kronenformen
(TR)