Am südlichen Thunersee-Ufer im Berner Oberland (Abb. 1) führte der anhaltend hohe Verbiss seit den 70er-Jahren zu starken Ausfällen der Tannenverjüngung. 1994 wurden auf einer Waldfläche von rund 7 km2 34 Vergleichsflächenpaare mit je einer gezäunten und ungezäunten Fläche auf Standorten mit beginnender Verjüngung eingerichtet, um diese häufig angewandte Kontrollzaun-Methode zu prüfen. Im selben Gebiet wurden permanente Stichproben zur Verjüngungskontrolle im gesamten Wald angelegt sowie wildbiologische Untersuchungen durchgeführt.
Verstärkte jagdliche Massnahmen hatten die Behörden bereits ab 1991 getroffen, zusätzlich stellte man ab 1994 einen bedeutenden Einfluss des Luchses auf die schon sinkenden Wildtierbestände fest. Jagd und Luchs zusammen führten zwischen 1994 und 1998 zu einer Halbierung des Bestandes an Rehen und Gämsen.
Die Verbissintensität im Gesamtwald ist innerhalb kürzester Zeit stark gesunken, bis unter die kritischen Werte, und bis heute bei allen Baumarten darunter verblieben. Gleichzeitig haben die Förster die Verjüngung mit waldbaulichen Massnahmen gezielt und stark gefördert. "Lothar" hat 1999 das seine dazu beigetragen, dass sehr viel Licht auf den Boden gelangt.
Verjüngungsdynamik überfordert Kontrollzäune
Abb. 2 - Blick in die Vergleichsfläche 11 U. Fehlt die Verjüngung wegen der Konkurrenzvegetation oder ist der Verbiss zu gross? Diese Frage lässt sich kleinstandörtlich mit Kontrollzäunen beantworten. Foto: www.wildbild.ch
Die Verjüngung ist heute kaum mehr wiederzuerkennen. Wo vorher spärlich einzelne Pflanzen im Anwuchs kümmerten, ist heute ein Verjüngungsteppich zu finden, viele Kollektive sind schon im Aufwuchs. Im gesamten Wald hat die Verjüngung von Buche, Esche, Ahorn, Fichte und Tanne stark zugenommen. Die Tanne hat ihre Chance besonders gut genutzt und in der Zeit von 1995 bis 2004 ihren Stammzahlanteil in der Verjüngung verdoppelt.
Was aber zeigen die Kontrollzäune? Die neue Situation hat sich nicht niedergeschlagen. Die Zäune zeigen auch zehn Jahre nach der starken Abnahme des Verbisses nach wie vor das Bild, welches 1994 vorherrschte.
Beim Zeitpunkt der Zaunerstellung erstarrt
1994 wurden pro Vergleichsflächenpaar zwei möglichst ähnliche, 6x6 m grosse Flächen auf verjüngungsgünstigen Standorten mit beginnender Verjüngung im Gelände abgesteckt. Der Entscheid, welche der Flächen umzäunt wird, fiel per Los. Die Zäune wurden im Frühling 1995 unmittelbar vor der Ersterhebung erstellt.
Die Verbissintensität auf den Kontrollzäunen (Verbiss am Gipfeltrieb zwischen Frühling 1994 und Frühling 1995) war 1995 ähnlich wie im gesamten Wald (Abb. 3 und 4). Die Verjüngung hingegen wies rund doppelt so viele Pflanzen auf, weil alle 34 Kontrollzäune auf verjüngungsgünstigen Standorten angelegt wurden. Die Stammzahl auf den ungezäunten Flächen war zu Beginn um rund 1000 Pflanzen pro Hektare grösser als auf den gezäunten Flächen (Abb. 4). In der Folge drehte sich dieses Verhältnis um und die Stammzahl war innerhalb der Zäune bald grösser als ausserhalb. Von Jahr zu Jahr vergrösserte sich die Differenz stark, und dies auch nachdem der Verbiss in der Region drastisch zurückgegangen war. Die Stammzahldichte war auf den gezäunten Flächen im Jahr 2001 um mehr als 13 000 Pflanzen pro Hektare grösser als auf den ungezäunten.
2005 sind noch 24 der ursprünglich erstellten Vergleichsflächenpaare in Betrieb, die Unterschiede sind nach wie vor sehr gross. Der Wildtiereinfluss wird bei Kontrollzäunen aus dem Unterschied der Stammzahlen auf den Vergleichsflächen abgeleitet. Im vorliegenden Beispiel würde die unveränderte Zunahme dieses Unterschieds von Jahr zu Jahr keine Veränderung im Wildtiereinfluss anzeigen. Dies entspricht absolut nicht der Situation im Gesamtwald, sondern spiegelt einzig die Situation aus der Zeit der Zaunerstellung wieder, mit der damals sehr hohen Verbissintensität.
Abb. 3 - Vergleich von Verbissintensität und Stammzahl der Verjüngung pro Hektare im Gesamtwald 1995 bis 2004. Der Verbiss hat stark abgenommen, die Stammzahl in der Verjüngung zugenommen.
Abb. 4 - Obwohl der Verbiss im Gesamtwald stark abgenommen hat, nimmt der Unterschied zwischen den gezäunten und ungezäunten Flächen der Kontrollzäune weiterhin zu. Kontrollzäune sind ungeeignet, um die Verjüngungs- und Verbissentwicklung eines Gesamtwaldes aufzuzeigen.
Die Verjüngungsgunst ist örtlich und zeitlich begrenzt
Auf vielen Waldstandorten ist die Verjüngungsgunst örtlich und zeitlich beschränkt. Stimmen Licht, Feuchtigkeit, Wildtiereinfluss usw. zum Zeitpunkt der beginnenden Verjüngung, so sind die Chancen gross, dass sie durchkommt. Ist einer der Faktoren schlecht, zum Beispiel der Wildtiereinfluss (wie 1995) zu gross, so haben die jungen Bäume gegenüber der Konkurrenzvegetation das Nachsehen und können den Rückstand an diesem Ort so lange nicht mehr wettmachen, bis die Konkurrenzvegetation wieder weicht. Dies auch dann, wenn der Wildtiereinfluss schon längst wieder zurückgegangen ist.
Vergleichsflächenpaare sind der oben beschriebenen Problematik besonders ausgesetzt, weil sie in der Regel nur eine Verjüngungsphase (die beginnende) und einen Zeitpunkt (denjenigen bei der Zaunerstellung) erfassen. Kontrollzäune sind deshalb weder geeignet, die Veränderung des Wildtiereinflusses auf die Waldverjüngung zu dokumentieren noch die Entwicklung der Verjüngung im gesamten Wald. Mit systematisch angelegten permanenten Stichproben hingegen wird die Verjüngungs- und Verbissdynamik gut erfasst, weil die Probeflächen unabhängig von Verjüngungsgunst und -fortschritt festgelegt werden.
Anwendungsbereich von Kontrollzäunen
Kontrollzäune haben im Rahmen von mehrstufigen Verjüngungskontrollen durchaus ihren Platz. Sie sind ein wichtiges Instrument bei der Kontrolle von Wildtiereinfluss auf die Waldverjüngung. Man muss allerdings die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Aussagekraft kennen.
Wenn grundsätzlich ein Einfluss auf Pflanzenzahl, -grösse und -mischung bezweifelt wird, kann dieser mit dem Kontrollzaun sichtbar gemacht werden. Der Zaun zeigt aber nicht einfach eine Waldverjüngung ohne den Einflussfaktor Wild, sondern er zeigt, wie sich die Verjüngung entwickelt, wenn dieser Faktor von einem bestimmten Zeitpunkt an wegfällt.
Und dieser Zeitpunkt ist entscheidend. Die Entwicklung der Verjüngung verläuft sehr verschieden, je nachdem ob der Wildeinfluss unmittelbar nach Einleitung der Verjüngung wegfällt oder erst einige Jahre danach. Einige Jahre nach Zaunerstellung entsprechen die Verhältnisse innerhalb des Zauns bereits nicht mehr den Verhältnissen des Gesamtwaldes, sind damit nicht mehr repräsentativ und können die Veränderung der Verbiss- und Verjüngungssituation nicht mehr wiedergeben.
Kurz gesagt …
Vergleichsflächenpaare mit je einer gezäunten und ungezäunten Fläche sind auf Standorten mit beginnender Verjüngung sinnvoll, wenn offene Fragen zum Wildtiereinfluss auf die beginnende Verjüngung bestehen.
Kontrollzäune sind hingegen nicht geeignet, um die Verjüngungs- und Verbissentwicklung des gesamten Waldes zu kontrollieren. Im beschriebenen Beispiel zeigten 34 Kontrollzäune in den Jahren 1994 bis 2004 gar das Gegenteil der tatsächlichen Entwicklung auf.
Eine Erkenntnis für die Einleitung der Waldverjüngung
Die ausgewertete Kontrollzaununtersuchung zeigt, dass erforderliche Wildregulierungen erfolgen müssen bevor die Verjüngung eingeleitet wird. Wenn man es verpasst, gute Startbedingungen für die Verjüngung zu schaffen, gewinnt die Konkurrenzvegetation die Oberhand und kann die Verjüngung weiterhin unterdrücken, auch wenn der Verbiss später abgenommen hat.