Wälder erfüllen vielfältige Ansprüche der Gesellschaft. Sie sind Lieferanten von Rohstoffen wie Holz, Pilzen oder Beeren. Sie bieten uns Menschen Raum zur Erholung und schützen uns vor Naturgefahren. Nicht zuletzt leben im Wald zahlreiche Tiere. Damit unsere Wälder diese Leistungen nachhaltig gewährleisten, müssen sie sich kontinuierlich verjüngen können. Viele Faktoren fördern oder hemmen die Waldverjüngung. Der Wildeinfluss ist ein Faktor unter vielen, manchmal jedoch der entscheidende.
Hohe Bestände von Reh, Gämse und Rothirsch können die natürliche Waldverjüngung hemmen. Um Wald-Wild-Konflikte zu lösen, braucht es einen integralen Ansatz und die Zusammenarbeit aller Beteiligten. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) hat die Vollzugshilfe Wald und Wild (PDF) herausgegeben, um diesem ganzheitlichen Ansatz gerecht zu werden. Die Vollzugshilfe definiert die Vorgehensweise bei Wald-Wild-Problemen.
Die dazugehörige Publikation Wald und Wild – Grundlagen für die Praxis (PDF) liefert die notwendigen Grundlagen für die Umsetzung der Vorgaben der Vollzugshilfe. Darin wird der wissenschaftliche Hintergrund ausgeleuchtet, methodische Ansätze vorgestellt sowie konkrete Praxisbeispiele aufgezeigt.
Grundsätze der nachhaltigen Bewirtschaftung von Wald und Wild
Multifunktionales Ökosystem Wald
Wälder müssen meist vielfältigen Ansprüchen gerecht werden. So sind sie Lieferanten von Rohstoffen und Energie, sind Lebensraum zahlreicher Wildtiere, bieten uns Menschen Raum zur Erholung und schützen uns vor Naturgefahren. Letzterem kommt gerade in der gebirgigen Schweiz eine grosse Bedeutung zu, wo Wälder Mensch und Infrastruktur zuverlässig und kostengünstig vor Lawinen, Steinschlag, Hochwasser oder Hangrutschungen schützen. Damit unsere Wälder diese Leistungen nachhaltig gewährleisten, müssen sie sich kontinuierlich verjüngen können.
Einflussfaktoren auf die Waldverjüngung
Viele Faktoren fördern oder hemmen die Waldverjüngung: So braucht es die entsprechenden Samen sowie genügend Licht, Wärme und Feuchtigkeit, damit diese keimen können; zusätzlich müssen die richtigen Wurzelpilze vorhanden sein und weiter darf weder die Konkurrenz mit anderen Pflanzen noch der Einfluss der Pflanzenfresser übermässig sein. Der Wildeinfluss ist somit für das Aufkommen respektive das Ausbleiben der Verjüngung ein Faktor unter vielen, manchmal jedoch der entscheidende. Wildeinflüsse auf den Wald können je nach Tierart und Situation verschiedenartig sein. Dazu gehören der Verbiss, das Schälen und das Fegen.
Fokus Wildverbiss
Der häufigste Einfluss des Schalenwildes ist der Verbiss junger Baumtriebe. Schälen und Fegen können unter gewissen Umständen grossen Schaden anrichten. Dabei handelt es sich jedoch ausschliesslich um lokale und über die ganze Fläche der Schweiz betrachtet wenig bedeutende Probleme. Dazu kommt, dass die Schälhäufigkeit, im Gegensatz zum Verbiss, relativ unabhängig von der Wilddichte und somit schwieriger beeinflussbar ist. Die vorliegende Vollzugshilfe und die dazugehörigen Grundlagen für die Praxis beschränken sich aus diesen Gründen auf den Umgang mit der Verbissthematik.
Abb. 2 - Verschiedene Faktoren beeinflussen die Waldverjüngung. Wildverbiss ist ein Faktor unter vielen, nicht selten jedoch ein entscheidender. Foto: Thomas Reich (WSL)
Koexistenz Wald und Wild
Die Wild- und Waldbewirtschaftung muss eine Koexistenz von Wald und Wild ermöglichen. Die Koexistenz von Wald und Wild ist stets dynamisch. Je nach Lebensraum und Waldfunktionen ergeben sich andere Bedingungen und Herausforderungen. Es ist Aufgabe der Wald- und Jagdplanung, diese Koexistenz mit geeigneten Massnahmen zeitlich und räumlich zu optimieren.
Waldpflege und Basisregulierung des Wildes
Die Kantone setzen die Rahmenbedingungen für die Waldpflege und -bewirtschaftung so, dass gute Bedingungen für die Naturverjüngung herrschen (z. B. genügend Licht) und die Wildhuftiere ausreichend Lebensraum und Ruhe finden. Sie planen die Jagd so, dass die Wildbestände der Lebensraumkapazität angepasst und bezüglich Altersklassenaufbau und Geschlechterverteilung natürlich strukturiert sind. Auf mindestens 75 % der gesamten Waldfläche sollen so die Verjüngungssollwerte – im Schutzwald nach der Vollzugshilfe Nachhaltigkeit im Schutzwald NaiS gemessen und im übrigen Wald bezüglich der waldbaulichen Ziele begutachtet – ohne Wildschadenverhütungsmassnahmen erreicht werden können.
Definition Wildschaden
Weil Verbiss aus einer ökologischen Perspektive betrachtet nicht a priori als Wildschaden zu klassieren ist, sprechen wir dann von Wildschaden, wenn die Tragbarkeit aus sozioökonomischer Perspektive überschritten ist. Die Definition der Tragbarkeit ist dabei zentral abhängig von der Vorrangfunktion des Waldes (z. B. Schutzwald), d. h. sie variiert räumlich dementsprechend.
Basisregulierung des Wildes als Grundlage
Die Tragekapazität eines Lebensraums für das Wild lässt sich einerseits durch eine Reduktion der Nachfrage (Regulierung der Wildbestände) und andererseits durch eine Erhöhung des Äsungs-Angebots (Biotophege) positiv beeinflussen. Eine Erhöhung des Angebots reduziert aber nur dann den Wildeinfluss auf die Waldverjüngung, wenn nicht gleichzeitig die Wildbestände anwachsen. Die Basisregulierung des Wildes ist deshalb die Grundlage und die Voraussetzung für weiterführende Massnahmen wie die Biotophege.
Abb. 3 - Freihalteflächen sind ca. 0,25–0,5 ha grosse Flächen auf denen die Wiederbewaldung für einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren verhindert wird. Sie bieten für das Wild äsungsreiche Einstände und dem Jäger freie Sicht. Foto: Forstamt Kanton St. Gallen
Ursachen eines starken Wildeinflusses auf die Waldverjüngung
Ein starker Wildeinfluss auf die Waldverjüngung kann durch insgesamt überhöhte Schalenwildbestände entstehen. Meist spielt jedoch die räumliche Konzentrierung des Wildes eine ebenso wichtige Rolle, so z. B. in Wintereinständen. In der heutigen Kulturlandschaft wird diese Konzentration des Wildes durch verschiedene Entwicklungen verstärkt:
- Zersiedelung der Landschaft
- Neue Freizeitaktivitäten wie z. B. Schneeschuhlaufen
- Intensive Landwirtschaft
Durch diese Entwicklungen gehen den Wildtieren Äsungs- und Einstandsflächen verloren, besonders ausgeprägt und offensichtlich in der Offenlandschaft. Da die Rückzugsgebiete des Wildes meist bewaldet sind, verschärft diese Konzentration die Wald-Wild-Problematik empfindlich.
Abb. 4 - Wildbrücke Rütibuck (Kanton Zürich) über Staatsstrasse und die Autobahn A4: für die grossräumige Vernetzung der Population sind überregionale Wildtierkorridore unabdingbar. Foto: BAFU
Integraler Ansatz
Die notwendige Reduktion des Verbissdruckes ist in der Regel nicht alleine über eine verstärkte Bejagung und forstliche Massnahmen anzugehen. Der integrale Ansatz der Wald-Wild-Konzepte muss deshalb gestärkt werden. Einzubeziehen sind:
- Die Landwirtschaft, aufgrund ihrer grossen Bedeutung im Lebensraum des Wildes,
- Tourismus/Freizeitaktivitäten und Raumplanung, damit die Störung von Wildtieren durch menschliche Aktivitäten verringert werden kann.
Bedeutung der Kommunikation
Ein Hauptfaktor für ein erfolgreiches Wald-Wild Management liegt in einer guten Kommunikation, welche das Vertrauen zwischen den Parteien fördert. Um zu allseitig akzeptierbaren Lösungen zu finden, ist Kooperation und Partnerschaft gefragt. Die grösste Schwierigkeit in Wald-Wild-Projekten entsteht immer dann, wenn sich sachliche Gegensätze zu emotionaler Gegnerschaft und gegenseitiger Ablehnung entwickeln. Dies muss vermieden werden.
Abb. 5 - Kommunikation ist wichtig: gemeinsame Begehungen im Feld verbessern das gegenseitige Verständnis. Foto: Dani Rüegg
Rolle der Prädatoren
Grossraubtiere wie Luchs und Wolf, die Teile der Schweiz wiederbesiedeln, können einen bedeutenden Einfluss auf die Wildbestände und somit indirekt auf die Waldverjüngung haben. Sie sind nebst dem Menschen das oberste Glied der Nahrungskette im Ökosystem Wald und tragen zu einem natürlichen Wald-Wild-Gefüge bei. Wald-Wild-Probleme müssen jedoch sowohl mit als auch ohne Grossraubtiere gelöst werden können. Sie sind bei der Jagdplanung zu berücksichtigen, ersetzen die Jagd aber nicht.
Abb. 6 - Die Regulation durch jagdliche Eingriffe und der natürliche Einfluss des Luchses können sich sinnvoll ergänzen. Insbesondere führt der Luchs zu stärkeren Schwankungen der Wildbestände als die Jagd alleine. Diese sind für den Gebirgswald sehr wichtig. Foto: Josef Griffel
(TR)