Der Schutzwald ist für die Bergregionen von vitaler Bedeutung, und der besondere Status dieser Wälder findet bei der Bevölkerung allgemein hohe Anerkennung. Die Ausscheidung von Schutzwald ist jedoch ein einschneidender Akt, da erhebliche finanzielle und eigentumsrechtliche Interessen dahinter stehen.

In Wäldern, die auch für die Holzproduktion von Interesse sind, kann dies zur Folge haben, dass der Waldeigentümer massive Einschränkungen dulden muss. In Wäldern, die schwierig zu bewirtschaften sind und trotzdem Eingriffe erfordern, kann dies bedeuten, dass öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen. Bei der heutigen Holzmarktlage trifft dies meistens zu, und die jährlichen Aufwendungen des Bundes für die Schutzwaldpflege betragen rund 50 Mio. Franken.

Die Ausscheidung von Schutzwald ist nicht Gegenstand der neuen Wegleitung und wird auf übergeordneter Ebene (Waldentwicklungsplan) geregelt. Hingegen ist es das Ziel von NaiS, für die Behandlung der ausgeschiedenen Schutzwälder einen einheitlichen Qualitätsstandard vorzugeben, um damit eine auf die Schutzwirkung ausgerichtete Pflege sicherzustellen.

Die waldbaulichen Anforderungsprofile, die diesem Qualitätsstandard zu Grunde liegen, sollen denn auch für die Unterstützung der Schutzwaldpflege durch öffentliche Mittel verbindlich werden. Damit wird die neue Wegleitung zu einer wichtigen Grundlage für die Umsetzung der neuen leistungsorientierten Subventionspolitik des Bundes im Rahmen der Neugestaltung des Finanzausgleichs (NFA).

Das Prinzip von NaiS

Die moderne Schutzwaldpflege orientiert sich nicht an Massnahmen, sondern an Zielen. Es stellt sich zuerst die Frage, wie der Wald aussehen soll, damit er eine hohe Schutzwirkung erbringt und erst in zweiter Linie, ob zur Erreichung dieses Zustandes Massnahmen erforderlich sind. Der angestrebte Waldzustand orientiert sich an den Kenntnissen über die Naturgefahren und an den lokalen Standortverhältnissen. Zu diesem Zweck wurden für die verschiedenen Naturgefahren und die unterschiedlichen Standorttypen Anforderungsprofile formuliert.

Das minimale Anforderungsprofil dient als Messlatte für den Entscheid, ob Handlungsbedarf besteht. Die Bezeichnung "minimal" umschreibt einen minimal erforderlichen Waldzustand für eine nachhaltige Schutzwirkung und sagt noch nichts aus über die Notwendigkeit und die Intensität von Massnahmen. Das ideale Anforderungsprofil entspricht in der Regel dem langfristig erwünschten Waldbauziel. Es ist jedoch nicht im Sinne des Gesetzes, den Handlungsbedarf im Schutzwald aufgrund der idealen Vorstellungen zum Waldzustand herzuleiten. Der daraus resultierende Handlungsbedarf wäre sehr hoch.

Der Entscheid, ob Massnahmen erforderlich sind, erfolgt aufgrund eines Vergleiches des aktuellen Waldzustandes mit dem minimalen Anforderungsprofil. Dabei wird auch die erwartete natürliche Entwicklung des Waldes beurteilt. Massnahmen sind nur dann gerechtfertigt, wenn die minimalen Anforderungen nicht erfüllt sind, und wenn auch die natürliche Entwicklung keine genügende Verbesserung erwarten lässt.

Anhand von Etappenzielen wird der mittelfristig erwartete Waldzustand beschrieben. Sie zeigen, ob die Entwicklung des Bestandes in die erwartete Richtung läuft, und damit lassen sich die Auswirkungen der Massnahmen oder auch der Unterlassungen auf die Waldentwicklung überprüfen. Diese Wirkungsanalyse ist ein zentraler Bestandteil der Erfolgskontrolle. Das geschilderte Vorgehen erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit einem gegebenen Bestand. Die Idee besteht nun darin, dass diese vertiefte Analyse nur auf ausgewählten repräsentativen Flächen, so genannten Weiserflächen, vorgenommen wird. Diese Flächen werden im Gelände für die spätere Wirkungsanalyse dauerhaft markiert. Die Umsetzung auf grösserer Fläche erfolgt durch eine sinngemässe Übertragung der auf den Weiserflächen erarbeiteten "Rezepte".

Die Erfolgskontrolle

Das Ziel der Erfolgskontrolle im Schutzwald ist es, hohe Schutzwirkung auf möglichst effiziente Art zu erreichen. Die Erfolgskontrolle umfasst mehrere Ebenen (vgl. Kasten): Der Massnahmenvollzug muss kontrollierbar sein und die Wirksamkeit der Massnahmen muss nachgewiesen werden. Neue Erkenntnisse und Erfahrungen sollen so schnell als möglich in die praktische Umsetzung einfliessen.

Vollzugskontrolle: Wurden die geplanten Massnahmen am richtigen Ort und fachgerecht ausgeführt?

Wirkungsanalyse: Welches ist die Wirkung der ausgeführten Massnahmen oder der gezielten Unterlassungen auf den Waldzustand?

Zielerreichungskontrolle: Inwieweit entspricht der Waldzustand den Anforderungsprofilen?

Zielanalyse: Sind die festgelegten Anforderungsprofile angemessen und zweckmässig?

Wirkungsanalyse auf Weiserflächen
Die waldbauliche Praxis hat schon immer darauf hingewiesen, wie wichtig die Beobachtung der lokalen Verhältnisse und die individuellen Erfahrungen der Förster für den Waldbau sind und dass es schwierig ist, allgemeinverbindliche Angaben zur Waldpflege zu machen. Die Wegleitung gibt deshalb nur die Anforderungsprofile vor, die Etappenziele und die erforderlichen Massnahmen müssen hingegen durch den Bewirtschafter direkt auf die örtlichen Verhältnisse abgestimmt werden.

Mit der Wirkungsanalyse auf Weiserflächen werden die Praktiker dazu angehalten, auf ausgewählten Flächen konkrete praktische Fragestellungen konzentriert zu verfolgen (Abb. 2). Dadurch können präzisere Erfahrungswerte zur Wirkung der Massnahmen beziehungsweise der Unterlassungen gesammelt werden. Die Wirkungsanalyse, die als Bestandteil der Wald-"Bauleitung" aufgefasst werden kann, verbessert die Fachkompetenz der Bewirtschafter und damit auch die Wirksamkeit der Schutzwaldpflege.

Zielanalyse
Die Anforderungsprofile haben für die Schutzwaldpflege einen sehr hohen Stellenwert. Sie stützen sich auf Forschungsergebnisse und Erfahrungswerte aus der Praxis. Zurzeit gibt es keine bessere Alternative für eine nachhaltige und zielorientierte Schutzwaldpflege. Es wird allerdings nicht der Anspruch erhoben, dass diese Anforderungsprofile absolut richtig und vollständig seien.

Es bestehen noch zahlreiche Wissenslücken zu den Wechselwirkungen zwischen Wald und Naturgefahrenprozessen und zur Dynamik unserer Wälder. Lücken, die durch laufende und zukünftige Forschungsarbeiten geschlossen werden sollten. Unter der Voraussetzung, dass die Bereitschaft besteht, neue Erkenntnisse und Erfahrungen im Sinne einer Zielanalyse periodisch zu prüfen und in die Wegleitung aufzunehmen, ist es dennoch vertretbar, das vorläufig vorhandene Wissen als Rahmen vorzugeben. Es ist Aufgabe des Bundes, diese Zielanalyse sicherzustellen.

Zur Eingriffsstärke im Schutzwald

Moderne hochmechanisierte Holzernteverfahren ermöglichen heute trotz niedrigen Holzpreisen in vielen Fällen eine effiziente und kostengünstige Holzernte. Daraus wird oft die Forderung abgeleitet, auch im Schutzwald stärker und grossflächiger einzugreifen. Selbstverständlich ist es zu begrüssen, wenn durch den Holzertrag die Kosten für die Schutzwaldpflege reduziert oder sogar gedeckt werden können. Im Schutzwald überwiegt jedoch das öffentliche Interesse an der Schutzwirkung, und folgende Aspekte müssen unbedingt beachtet werden:

  • Die Eingriffsstärke muss sich innerhalb des waldbaulichen Handlungsspielraumes bewegen, der durch die Anforderungsprofile gegeben ist. Entscheidend sind in der Regel die Lückengrösse, die Stammzahl und der Deckungsgrad des verbleibenden Bestandes. Mit starken Eingriffen steigt auch das Risiko von Folgeschäden im verbleibenden Bestand. Es wäre unverzeihlich, wenn als Folge eines zu starken Eingriffes die Schutzwirkung künstlich wieder hergestellt werden müsste.
  • Die Berechnung der Kosten eines Eingriffes darf sich nicht nur auf die reinen Erntekosten beziehen. Die langfristigen Auswirkungen des Eingriffes auf die Bestandesentwicklung (z. B. Jungwaldpflege) müssen berücksichtigt werden. Leider fehlen zurzeit noch einfache Instrumente, die dem Praktiker helfen abzuschätzen, was Kostendeckung aus langfristiger Sicht bedeutet.

Die Kosten pro m3 genutztes Holz sinken in der Regel mit zunehmender Eingriffsstärke, insbesondere bei Seilschlägen. Aus der Sicht der Schutzfunktion sind jedoch nicht die Kosten pro m3, sondern jene pro behandelte Fläche relevant (Abb. 3). Eine maximale Eingriffsstärke ist meistens nur dann sinnvoll, wenn dadurch tatsächlich Kostendeckung erreicht werden kann. Anlässlich einer Tagung der Schweizerischen Gebirgswaldpflegegruppe im Jahr 2004 konnte am Beispiel der beurteilten Flächen im Tessin festgestellt werden, dass der waldbauliche Handlungsspielraum umso grösser ist, je eher der Ausgangszustand dem idealen Anforderungsprofil entspricht.

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Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit dem Bildungszentrum Wald Maienfeld und den Ingnieurbüros Frehner und NaturDialog.

(TR)