Gebietsfremde Arten (Neobiota) sind Organismen, die durch Aktivitäten des Menschen mit oder ohne Absicht in ein Gebiet gelangt sind, im dem sie natürlicherweise nicht vor­kommen. Eine Art gilt als Neobiot, wenn sie erst nach 1492 in einem Gebiet nach­ge­wie­sen wurde. Das Jahr der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus symbolisiert nämlich den Beginn des weltweiten Handels. Einige dieser gebietsfremden Arten sind invasiv, nämlich wenn sie sich in dem neuen Gebiet stark ausbreiten und das dortige Okösystem samt für den Menschen wichtiger ein­hei­mi­scher Arten gefährden. Manchmal schädigen sie auch direkt die Gesundheit des Menschen.

Im Vergleich zu gebiets­fremden Tieren (Neo­zoen) und Pflanzen (Neo­phyten) wurden gebiets­fremde Pilze (Neomy­ceten) bislang am wenigsten erforscht.

Bei den Pilzen ist die Un­ter­schei­dung zwi­schen Neo­myce­ten und ein­heimi­schen Ar­ten erst seit Beginn des 19. Jahr­hun­derts möglich, da Pilze zuvor nicht syste­matisch erfasst worden waren. Bei­spiels­weise wurde bald nach der Ein­führung des Mais in Europa auch der Mais­beulen­brand aus Amerika mit ein­ge­schleppt. In der Schweiz wurde er aber erst 1844 erst­mals beschrie­ben – der älteste bekannte Beleg eines Neo­myceten in der Schweiz (Abb. 2).

Nachdem Wissen­schaftler der Eid­genös­si­schen For­schungs­anstalt WSL 2016 die wich­tig­sten Fak­ten über die bis dahin in der Schweiz nach­ge­wies­enen Neo­myceten in einem Bericht veröffentlicht hatten, wurde 2021 der aktuelle Kenntnisstand in einem Merkblatt für die Praxis zusammengefasst.

Rasanter Anstieg der Nachweise

In vielen Fällen ist es schwierig zu beurteilen, ob eine Pilzart für ein Gebiet wirklich neu ist oder früher nur übersehen wurde. Bei manchen Pilzarten ist die Herkunftsregion bekannt. Wenn ein Pilz sehr plötzlich und auffällig in Erscheinung tritt, handelt es sich wahrschein­lich ebenfalls um einen Neomyceten.

Eindeutig als Neomyceten erkennbar sind aber insbesondere jene Pilze, die für ihr Überleben auf neu eingeführte Pflanzen angewiesen sind, wie der Maisbeulenbrand auf Maispflanzen. Der zunehmende Handel mit lebenden Pflanzen hat denn auch dazu geführt, dass seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Anzahl der nachgewiesenen Neomyceten stark und exponentiell angestiegen ist (Abb. 3). 

Mittlerweile wurden 298 gebietsfremde Pilzarten in Schweiz identifiziert, darunter 19 invasive (Stand 2021). Die tatsächliche Anzahl dürfte deutlich höher liegen, denn es kommen laufend neue hinzu und viele bleiben lange unentdeckt oder unerkannt, zum Beispiel weil sie schwer nachweisbar oder schwer zu bestimmen sind.

Taxonomie und Lebensweise

Über die Hälfte der gefundenen Neo­my­ce­ten gehört zu den Ascomyceten (Schlauchpilzen), die Basidiomyceten (Ständerpilze) machen etwa einen Drittel der Funde aus, und die Oomyceten (Eipilze), die keine echten Pilze sind, mehr als einen Zehntel. Jeder fünfte Neomycet gehört der Schlauchpilzgruppe der Echten Mehltaue an, deren Arten als Pflanzenparasiten im Gartenbau und in der Landwirtschaft bedeutende Schäden verursachen. Unter den Ständerpilzen finden sich zahlreiche Arten aus der Gruppe der Agaricales (oft Lamellenpilze genannt) und viele pflanzenschädigende Rost- und Brandpilze. Bei den Eipilzen bilden die Falschen Mehltaue die grösste Gruppe. Der grosse Rest der Neomyceten verteilt sich auf viele verschiedene Kleinpilzgruppen (Abb. 4).

Pilze sind für ihr Überleben auf die Zufuhr organischer Stoffe durch andere Lebe­we­sen angewiesen, meistens Pflanzen. Anhand ihrer Lebensweisen lassen sich die gefundenen Neomyceten in drei Gruppen einteilen (Abb. 5):

  • Saprotrophe Pilze ernähren sich von abgestorbenem organischem Material. Knapp 20% der Funde gehören zu den Saprophyten.
  • Parasitische Pilze entziehen lebenden Pflanzen (Wirten) Nährstoffe und schädigen diese häufig. Sie machen über 75% der Neomyceten aus.
  • Symbiontische Pilze erhalten ebenfalls die Nährstoffe lebender Pflanzen, liefern ihren Partnern jedoch ihrerseits Nährstoffe. Eine solche Beziehung zum gegenseitigen Nutzen gehen 3,5 %der Neomyceten ein.

Manchmal leben Pilze auch in lebenden Pflanzen sogenannt endophytisch, also ohne Symptome zu verursachen. Zusätzlich gibt es Übergangsformen, wie beispielsweise Saprophyten, die auf geschwächten Pflanzen als Schwächeparasiten wachsen.

Herkunft

Die Herkunft von etwa einem Viertel aller Neomyceten der Schweiz ist noch un­be­kannt. Ungefähr ein Drittel stammt aus Nordamerika und ein Fünftel aus Asien. Etwa 15% kommen ursprünglich aus dem Mittelmeergebiet. Nur wenige Neomyceten stammen aus Gebieten wie Südamerika, Australien usw. (Abb. 6).

Die meisten der Herkunftsorte wurden anhand der Herkunft der je­wei­li­gen Wirtspflanzen ermittelt. Sym­bion­ti­sche und parasitische Neomyceten wer­den meistens mit ihren Wirtspflanzen ein­ge­führt und bleiben auch im neuen Gebiet auf diese beschränkt. Wenn sie auf neue Wirtspflanzen überspringen, sind diese oft nahe mit den ursprünglichen verwandt.

Die meisten Arten gelangen über den Pflanzenhandel nach Mitteleuropa, eingeschleppt über Baumschulen und Gärtnereien. Aber auch beim Transport (Verpackungen), mit Bau- und Möbelholz sowie durch den Personenverkehr können leicht gebietsfremde Pilze eingeschleppt werden. Einige Arten könnten auch eingewandert sein, nachdem sich ihr ursprüngliches Verbreitungsareal – beispielsweise der Mittelmeerraum oder Zentralasien – begünstigt durch die Klimaveränderung oder das Anpflanzen der Wirtspflanzen erweitert hat. Einige der Schweizer Neomyceten wurden ausserdem zunächst in ein anderes europäisches Land eingeschleppt, woraufhin sie sich über Sporenflug ausgebreitet und so die Schweiz erreicht haben. Ein Beispiel hierfür ist der Orangerote Porenhelmling (Favolaschia calocera, siehe Abb. 1). Als saprotropher Pilz kann er verschiedene Pflanzenarten besiedeln. Nachdem er mit Holzimporten nach Italien eingeschleppt wurde, ist er auf natürliche Weise ins Tessin eingewandert. Eine eindeutige Unterscheidung zwischen eingeschleppten und eingewanderten Pilzen ist daher teilweise nicht möglich.

Verbreitung in der Schweiz

Neomyceten sind aus allen Landesteilen und aus allen Kantonen der Schweiz nach­ge­wie­sen, am häufigsten in Handelszentren oder besonders warmen Regionen wie dem Südtessin, der Genferseeregion oder dem Grossraum Zürich (Abb. 7). Da die meisten Neomyceten auf gebietsfremde Pflanzen angewiesen sind, treten sie auch häufig in stark vom Menschen beeinflussten Lebensräumen auf wie Friedhöfen, Gärten oder Pärken (Abb. 8).

Die meisten Baum­arten und Zier­pflan­zen, auf denen viele Neo­myceten vorkommen, werden im Flach­land kultiviert und sind wärme­bedürftig. Dem­entsprechend liegen knapp 80 % aller Neo­myceten­funde in Gebie­ten unterhalb von 600 m ü. M.. Die Funde ober­halb von 1800 m ü. M. machen bloss 1,1 % aus, bestehend aus wenigen Arten wie dem Holunder-Mehltau (Erysiphe vanbruntiana, Abb. 9).

Gefahren durch Neomyceten

Pilze erfüllen wichtige Funktionen in der Natur. In Symbiose mit Pflanzen fördern sie deren Gesundheit, als Zersetzer setzen sie Nährstoffe frei und als Parasiten regulieren sie den Pflanzenbestand. Wenn sie in neue Gebiete gelangen, kann sich ihr Einfluss auf die dortigen Ökosysteme sehr unterschiedlich auswirken. Sie können sich neutral verhalten, einen Schaden anrichten oder unter Umständen sogar nützlich sein. So könnten manche Pilze bei der Bekämpfung invasiver Pflanzen helfen. In Grossbritannien wurde der Rostpilz Puccinia komarovii var. glanduliferae bereits in der Natur freigesetzt, um das Drüsige Springkraut(Impatiens glandulifera) zu bekämpfen. Wie wirksam dies ist, muss noch geklärt werden.

Von den meisten Neomyceten geht keine grosse Gefahr aus. Eine mögliche Gefahr besteht darin, dass einige der invasiven Arten heimische Pilzarten verdrängen könnten. Aber die grösste Bedrohung geht von invasiven Parasiten aus, die heimische Pflanzen befallen. So ist ein Grossteil der Ulmen in Europa an der Ulmenwelke zugrunde gegangen, die durch zwei invasive Pilzarten (Ophio­sto­ma novo-ulmi und O. ulmi) verursacht wird. Ein ähnliches Schicksal könnte der Gemeinen Esche (Fraxinus excelsior) widerfahren, welche durch das Eschen­trieb­ster­ben (Abb. 10) bedroht ist. Denn gegen dessen Erreger, das ostasiatische Falsche Weisse Stängelbecherchen (Hymenoscyphus fraxineus), konnte sie im Unterschied zu der in Asien hei­mi­schen Mandschurischen Esche (Fraxinus mandshurica) bislang keine spezifischen Abwehrmechanismen ausbilden. Nach­dem das Eschentriebsterben 2008 erstmals in der Schweiz aufgetreten war, wurde die Schweiz innert weniger Jahre praktisch vollständig befallen. Ausfälle solch wichtiger Schlüsselarten können auch andere, von ihnen abhängige Organismen an den Rand des Aussterbens bringen und ganze Ökosysteme destabilisieren.

Der Ausfall von forstlich genutzten Baumarten verursacht beim Menschen kurzfristig vor allem wirtschaftliche Schäden. Manche Neomyceten gefährden jedoch die Ernährung der Weltbevölkerung, indem sie wichtige Acker- und Gartenpflanzen befallen. Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Einschleppung der Kartoffelfäule (Phytophthora infestans) nach Europa eine Hungersnot zur Folge, wodurch über einer Million Menschen starben. In der heutigen Zeit bedroht die schimmelpilzähnliche Fusarium oxysporum-Rasse TR4 die globale Bananenproduktion. Einzelne Neomyceten können auch direkt die menschliche Gesundheit beeinträchtigen. So kann das Einatmen der Sporen des Schlauchpilzes Cryptostroma corticale, der Ahornbäume befällt, beim Menschen Krankheitssymptome hervorrufen.

Bekämpfung und Monitoring

Ist eine invasive Art erst einmal weit verbreitet, ist eine Bekämpfung äusserst schwierig oder gar unmöglich. Einzelne Arten lassen sich biologisch bekämpfen, wie der Kastanienrindenkrebs (Cry­pho­nec­tria parasitica, Abb. 11), der von einem Pilzvirus befallen wird. Eine Bekämpfung mit Fungiziden ist durch die Chemikalien-Risikoreduktions-Ver­ord­nung (ChemRRV) im Wald ver­bo­ten. Prioritär bei der Bekämpfung von Neomyceten ist die Prävention, also die Verhinderung der Einschleppung. Haben sich invasiven Arten erst einmal etabliert, ist ihre Bekämpfung schwierig oder gar unmöglich. Nur selten sind spezifische Bekämpfungsmassnahmen wie etwa beim Kastanienrindenkrebs bekannt. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über Präventions­mass­nahmen.

Tab. 1. Zusammenstellung von Präventionsmassnahmen gegen die Einschleppung von Neomyceten.

MassnahmeBeschreibung
Erstellung von ListenListen mit bekannten und potenziell invasiven Neomyceten, zum Beispiel Alert List der Europäischen und Mediterranen Pflanzenschutzorganisation EPPO oder Liste der Quarantäneorganismen in den zwei Verordnungen zum Pflanzenschutz in der Schweiz (PSV oder PGesV-WBF-UVEK)
InfektionsversucheHeimische Baumarten gezielt mit bekannten, fremden Pilzen infizieren, mit dem Ziel herauszufinden, welche Pilzarten Gefahrenpotenzial besitzen.
Wächterpflanzen «Sentinel plants»Frühwarnsystem mit sogenannten Wächterpflanzen: Bei uns heimische Baumarten werden auf anderen Kontinenten im Freien gepflanzt, mit dem Ziel herauszufinden, welche nicht-heimischen, allenfalls noch unbekannten Pilze heimische Bäume befallen könnten.
EinfuhrbeschränkungenRestriktivere Bestimmungen für den Warenverkehr, da die aktuelle Gesetzeslage die Einfuhr von invasiven Neomyceten nicht verhindern kann: 1) nur noch Einfuhr von behandeltem Pflanzenmaterial (z.B. Fungizide, Wärme) 2) keine Einfuhr von unbehandeltem Holz/Rinde (Gefässkrankheiten wie Ulmenwelke) oder eingetopften Pflanzen (z.B. Phytophthora spp.)
Genetische ÜberwachungEingeführte Pflanzen könnten mittels genetischer Methoden auf bekannte problematische Neomyceten untersucht werden.

 

Um der Einschleppung weiterer Neomyceten vorzubeugen, sollten Import und Handel lebender Pflanzen, aber auch von Substraten wie Holz und Erde umfassender auf solche neuen Pilze kontrolliert werden. Wird dennoch ein Neomycet eingeschleppt, ist die Früherkennung wichtig, da man einen räumlich eingeschränkten Befallsherd anfangs noch am ehesten bekämpfen kann. Besonders wichtige Akteure sind dabei die Baumschulen und Gärtnereien, sowie die Förster und Waldschutz Schweiz. Waldschutz Schweiz und SwissFungi sind Anlaufstellen für Fachauskünfte und bilden die Schnittstelle zu den zuständigen Bundesämtern. Auf der Website von SwissFungi sind ausserdem einige Factsheets zu in der Schweiz relevanten Neomyceten sowie eine aktuelle Liste der bekannten Neomyceten der Schweiz abrufbar.

Literatur

Weitere Informationen und Literaturverweise finden sich im Originalartikel (PDF).

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