Er ist gerade mal einen Millimeter gross. Und doch schafft er es, halb Europa in Aufregung zu versetzen. Der Kiefernholznematode, ein Fadenwurm, ist ein typischer Vertreter einer sogenannt invasiven Art. Ursprünglich in Nordamerika beheimatet, gelangte er via Japan nach Portugal, wo er seit 1999 jedes Jahr bis zu 50‘000 Föhren vernichtet. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis er auch in anderen warmen Regionen Fuss fasst – im Wallis zum Beispiel.

Die Natur befindet sich immer im Wandel. Dass neue Arten bei uns auftreten, ist also grundsätzlich nichts Besonderes. Das Edelweiss beispielsweise – heute das Wahrzeichen unserer Alpenflora schlechthin – stammt ursprünglich aus den Hochsteppen Zentralasiens und ist natürlicherweise bis zu uns vorgedrungen. Seit der Mensch jedoch die ganze Welt bereist, wandern auch Tier- und Pflanzenarten mit ihm über den Globus. Sie überwinden Hindernisse wie Ozeane oder Gebirgsmassive, die sie während Tausenden von Jahren nicht bezwingen konnten. Die Anzahl gebietsfremder Arten hat deshalb seit der Globalisierung massiv zugenommen (siehe Abb. 5). Einige davon haben wir bewusst zu uns geholt.

Die aus den Anden stammende Kartoffel beispielsweise oder der Höckerschwan, der zur Zierde in Parkweihern ausgesetzt wurde. Viele Neobiota – so werden Arten genannt, die sich nach der Entdeckung Amerikas (1492) bei uns ansiedelten – wurden aber unabsichtlich als blinde Passagiere eingeführt, am Schiffrumpf, an Pflanzen, in Verpackungsholz oder Rillen von Autoreifen. Wissenschaftler aus Belgien fanden bei einer Studie an verschmutzten Autos insgesamt 33 Pflanzenarten, die so durch die Landschaft reisten.

Einmal angekommen fügen sich viele dieser Neuzuzüger in unsere Ökosysteme ein. Nur wenige fallen negativ auf. Richten sie wirtschaftlichen Schaden an, beeinträchtigen sie die Gesundheit von Mensch, Nutztier und Pflanzen, oder breiten sie sich auf Kosten von einheimischen Arten aus, dann gelten sie als invasiv – so wie der "föhrenvernichtende" Kiefernholznematode oder der Asiatische Marienkäfer, der den einheimischen Marienkäfern den Lebensraumstreitig macht oder sie gar auffrisst.

In der Literatur gelten invasive Arten heute als eine der wichtigsten Gefahren für die globale Artenvielfalt. Die Schweiz hat sich deshalb über die Biodiversitäts-Konvention und internationale Pflanzenschutzabkommen verpflichtet, ein Eindringen von invasiven Arten zu verhindern. Sollten sich diese trotzdem ansiedeln, müssen sie möglichst eingedämmt oder beseitigt werden. Was sich auf dem Papier so leicht liest, ist in der Praxis nicht einfach umzusetzen.

"Jede Art hat ihre eigene Lebensweise und wirkt sich entsprechend unterschiedlich auf ihre Umwelt aus", erklärt Daniel Rigling, Leiter der Forschungsgruppe Phytopathologie an der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL und Mitglied der Eidgenössischen Fachkommission für biologische Sicherheit (EFBS). "Es gibt kein Patentrezept, sie von uns fernzuhalten oder erfolgreich zu bekämpfen." Zumal bis heute noch nicht wirklich geklärt ist, welche Eigenschaften eine invasive Art ausmachen. Es können Jahre vergehen, bevor eine Art tatsächlich invasiv wird.

In Brandenburg dauerte es von der Einführung des Götterbaums zum Beispiel über 100 Jahre, bevor er an Gebäuden Schaden anrichtete und in Naturschutzgebieten bedrohte Arten gefährdete. Deshalb sagt Rigling: "Es ist wichtig, dass wir möglichst viel über eine (mögliche) invasive Art wissen und ihre Ausbreitungswege kennen. So lässt sich ihr Schadenspotenzial besser einschätzen, und es können geeignete Gegenmassnahmen entwickelt werden."

Er untersucht vor allem die Biologie und Lebensweisen von Pilzen und anderen zum Teil mikroskopisch kleinen Organismen, die bei Gehölzpflanzen Krankheiten auslösen. Dabei schaut er sich auch deren Genom an und kann mittels DNA-Analysen feststellen, um welche Art es sich handelt, aus welcher Population sie stammt und wie gross ihre genetische Diversität ist. Dies ist besonders dann wichtig, wenn es darum geht, biologische Gegenspieler dieser Schädlinge zu finden. So arbeitet er zurzeit daran, ein Virus zu finden, das zur biologischen Bekämpfung des Pilzes eingesetzt werden könnte, der das Eschentriebsterben verantwortet.

Dank Monitoring Probleme frühzeitig erkennen

Je stärker sich eine Problemart bereits ausgebreitet hat, desto schwieriger und aufwendiger ist es, ihrer Herr zu werden. Deshalb ist es wichtig, frühzeitig zu erkennen, wenn eine bereits als invasiv bekannte Art erstmals die Schweiz erreicht – womit wir wieder beim Kiefernholznematoden wären. Rigling hat vom BAFU den Auftrag, Risikostandorte wie Flughäfen, Grosssägereien oder Rindenlager periodisch auf das Vorkommen dieser und auch anderer Arten von sogenannten Quarantäneschädlingen zu überprüfen. "Das neue Pflanzenschutzlabor an der WSL erleichtert uns diese Aufgabe sehr und ermöglicht uns, die Schädlinge besser zu diagnostizieren und ihre Biologie zu erforschen", sagt Rigling.

Auch Roland Engesser, Leiter von Waldschutz Schweiz, leistet mit seinem Team an der WSL einen wichtigen Beitrag im Bereich Monitoring. Seit dreissig Jahren betreibt die Gruppe ein Überwachungssystem für einheimische und eingeschleppte Waldschädlinge wie den Asiatischen Laubholzbockkäfer.

"Wir haben ein engmaschiges Netzwerk unter den Forstleuten aufgebaut. Sie melden uns, wenn verdächtige Symptome in ihren Wäldern auftreten. So finden wir einen Schädlingsbefall möglichst früh und können Empfehlungen zur Problemlösung abgeben", sagt Engesser. Diese Zusammenarbeit funktioniert nur deshalb so gut, weil zwischen Waldschutz Schweiz und den Leuten aus der Forstpraxis ein Geben und Nehmen herrscht. "Wir beraten Waldbesitzer und Förster gemäss gesetzlichem Auftrag kostenlos in Sachen Waldschutz, helfen ihnen bei der Bestimmung eines verdächtigen Befundes oder Organismus und führen auch regelmässig Weiterbildungskurse durch. Im Gegenzug erhalten wir von ihnen gratis die forstschutzrelevanten Informationen."

So bearbeiten Engesser und sein Team jedes Jahr 300 bis 500 schriftliche Anfragen und geben einige Hundert telefonische Beratungen ab. "Mit Diagnose online haben wir zudem eine Webseite entwickelt, mit deren Hilfe jeder versuchen kann, Krankheitserreger und Baumschädlinge selbstständig zu identifizieren und sich über die möglichen Gegenmassnahmen zu informieren."

Nationale Strategie in Arbeit

Mit einer anderen Gruppe von invasiven Arten beschäftigt sich Michael Nobis. Als Botaniker und Vertreter der WSL nimmt er Einsitz in der Kommission bei Info Flora, welche die sogenannte Schwarze Liste aktuell hält. Diese Liste enthält invasive Pflanzenarten, die besonders schädlich sein können, die Beifussblättrige Ambrosie zum Beispiel. Von den gut 3000 in der Schweiz wild wachsenden Farn- und Blütenpflanzen sind etwa zwölf Prozent Neophyten, Tendenz steigend. 23 dieser Arten stehen auf der Schwarzen Liste. Weitere 22 befinden sich auf einer Vorwarnliste, der sogenannten "Watch-List".

"Anhand eines neuen Kriterienkatalogs für das ökonomische, ökologische und gesundheitliche Schadenspotenzial invasiver Arten haben wir die Listen dieses Jahr aktualisiert. Erstmals werden präventiv auch Neophyten bewertet, die bisher zwar noch nicht in der Schweiz vorkommen, aber im angrenzenden Ausland Probleme verursachen", sagt Nobis. Werden daraus nicht die richtigen Konsequenzen gezogen, nützt jedoch auch die beste Liste wenig. "Der Sommerflieder zum Beispiel steht schon lange auf der Schwarzen Liste, da er in schutzwürdigen Lebensräumen und artenreichen Brachflächen überhandnimmt. Trotzdem wird er im Handel immer noch verkauft", stellt Nobis fest und spricht damit ein generelles Problem im Umgang mit invasiven Arten an.

Nachtrag:

Bis zum 3. Oktober 2022 waren die 2014 veröffentlichte "Schwarze Liste" und die "Watch List" die Referenz für invasive und potenziell invasive Neophyten in der Schweiz. Auf der Grundlage dieser Listen wurden Empfehlungen für den Verkauf erstellt.

Im Jahr 2022 wurde erstmals eine neue Liste der invasiven und potenziell invasiven Neophyten der Schweiz (Excel-Datei) veröffentlicht.  Sie entspricht dem aktuellen Stand der Wissenschaft und ersetzt die Schwarze Liste und die Watch List von 2014.

Quelle: infoflora.ch

Heute bestehen zwar gute Rechtsgrundlagen wie Pflanzenschutz-, Einschliess- oder Freisetzungsverordnung, die den Umgang mit gebietsfremden Organismen regeln oder vor invasiven Arten schützen sollen. Was aber fehlt, ist eine übergeordnete Neobiota-Strategie. Die Kantone und Gemeinden handeln oft nach eigenem Ermessen, da zum Teil keine klaren Prioritäten, Richtlinien oder Massnahmenkataloge bestehen. Der Bund arbeitet zurzeit daran, diese Lücke zu schliessen. Eine nationale Strategie soll künftig als Leitlinie für Prävention und Bekämpfung von invasiven gebietsfremden Arten dienen. Gefragt sind zudem Rezepte, wie sich die Bevölkerung besser für die Thematik invasiver Arten sensibilisieren lässt.

(TR)