In der Schweiz gibt es immer mehr Pflanzenarten, die aus anderen Regionen oder sogar Kontinenten stammen. Wenn diese Arten verwildern und in grösseren Beständen auftreten, können sie einheimische Pflanzen zurückdrängen, wirtschaftliche Schäden verursachen oder die Gesundheit des Menschen beeinträchtigen. In Wäldern wachsen solche Arten vor allem in warmen Tieflagen und in Siedlungsnähe. Es handelt sich meist um bewusst eingeführte Pflanzen, die im Gartenbau verwendet werden und dann verwildern.

Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht in den Medien über Tier- oder Pflanzenarten berichtet wird, die in der Schweiz neu auftreten und sich ausbreiten. Spätestens seit Ambrosia ist auch in der Öffentlichkeit bekannt, dass die Veränderung der Flora und Fauna nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner kennt. Und Ambrosia ist kein Einzelfall. Gebietsfremde Pflanzenarten konnten sich in den letzten Jahrzehnten teilweise rasant in der Schweiz ausbreiten. Gilt das auch für den Wald?

12% der Gefässpflanzen sind Neophyten

In der Schweiz kommen rund 3000 wildwachsende Farn- und Blütenpflanzen vor (Lauber & Wagner 2007). Der grösste Teil von ihnen ist seit der letzten Eiszeit aus angrenzenden Gebieten in die Schweiz eingewandert. Das Auftreten zuvor gebietsfremder Arten und ihre Ausbreitung sind daher keine grundsätzlich neuen Phänomene. Durch Globalisierung und Umweltwandel haben sich die Anzahl und die Dynamik einwandernder, verschleppter oder vom Menschen bewusst eingeführter Arten jedoch deutlich erhöht. Im Gegensatz zu früher stammen diese nun aus verschiedensten Regionen der Welt und es kommt zu einer Durchmischung zuvor getrennter Floren und Faunen.

Als Neophyten werden Pflanzenarten bezeichnet, die erst nach der Entdeckung Amerikas, gewissermassen als Ausgangspunkt des weltweiten Waren- und Personenverkehrs, in einem Gebiet neu auftreten. In der Schweiz sind rund 350 wildwachsende Gefässpflanzen oder rund 12% der Gefässpflanzenflora Neophyten, und dieser Anteil nimmt stetig zu. Dennoch schafft es nur ein kleiner Teil, sich rasch über grössere Gebiete auszubreiten, in die vorhandene Vegetation einzudringen und grössere Bestände aufzubauen. Diese Arten werden als invasiv bezeichnet – eine Eigenschaft, die auch ursprünglich einheimische Arten aufweisen können – zum Beispiel Brombeeren auf Verjüngungsflächen im Wald.

In der Schweiz gelten gemäss der "Schweizerischen Kommission für die Erhaltung von Wildpflanzen" (SKEW) derzeit (2008) 23 Neophyten der so genannten"Schwarzen Liste" als besonders invasiv und verursachen ökonomische oder ökologische Schäden oder beeinträchtigen die Gesundheit des Menschen. Weitere 21 Neophyten befinden sich auf einer Vorwarnliste, der sog. "Watch-Liste". Beide Listen werden fortlaufend von Vertretern der Botanischen Institute der Universitäten, Botanischen Gärten und kantonalen Naturschutzfachstellen sowie des Bundesamtes für Umwelt BAFU, von Pro Natura, des Zentrum des Daten-Verbundnetzes der Schweizer Flora ZDSF und der Eidgenössischen Forschungsanstalten aktualisiert.

Neophyten: gebietsfremde Pflanzenarten, die nach dem Jahr 1500 eingebracht wurden oder spontan auftraten und zwischenzeitlich wildlebend etabliert sind.

Invasive Arten: Arten, die sich so stark und rasch ausbreiten, dass sie andere für den betreffenden Lebensraum charakteristische Arten verdrängen.

Quelle: SKEW

Wo kommen Neophyten vor?

Abbildung 2 zeigt die Höhenverteilung der Neophytenvielfalt anhand aktueller Daten des Biodiversitätsmonitoring Schweiz (BDM). Der Darstellung ist zu entnehmen, dass Neophyten vor allem in den Tieflagen vorkommen. Besonders hoch sind ihre Artenzahlen dabei im Tessin. Wälder in warmen Tieflagen, insbesondere im Tessin, kommen somit sehr viel häufiger mit Neophyten in Kontakt als solche in Bergregionen.

Tieflagen der Schweiz mit einem hohen Waldanteil weisen durchschnittlich weniger Neophytenarten auf als waldärmere Gebiete (Abb. 3). Dieser Unterschied beruht darauf, dass Neophyten vor allem ausserhalb von Wäldern vorkommen. So steigt der Neophytenanteil beispielsweise im überbauten Bereich der Stadt Zürich auf rund 50% an (Landolt 2001), während unmittelbar angrenzende Wälder einen Neophytenanteil von lediglich 8% aufweisen.

Da in Wäldern in der Regel weniger Neophyten vorkommen als in ihrer Umgebung, ist davon auszugehen, dass Wälder für die weitere Ausbreitung vieler Neophyten Barrieren darstellen. Dennoch gibt es Neophyten auch in grösseren, zusammenhängenden Waldgebieten. Sie treten hier jedoch selten im geschlossenen Wald auf, sondern sind entlang von Waldstrassen, Waldrändern und vor allem dort zu beobachten, wo der Wald lichter ist. Holzernte- und Erschliessungsmassnahmen können so das Auftreten von Neophyten fördern, ebenso Störungen durch Sturmereignisse, Feuer oder natürliche Auendynamik.

Unter solchen Bedingungen können sich invasive Neophyten, die ausserhalb des Waldes wachsen, auf Verjüngungsflächen oder in lichte Wälder ausbreiten und die Waldverjüngung behindern. Derartige Neophyten sind oft keine eigentlichen Waldarten und nehmen im sich schliessenden Jungwald meist rasch wieder ab, z.B. die Spätblühende Goldrute (Solidago gigantea) oder das Drüsige Springkraut (Impatiens glandulifera).

Invasive Wald-Neophyten

In der "Schwarzen Liste" sowie der "Watch-Liste" sind aber auch invasive Neophyten aufgeführt, die als Waldarten gelten (Tabelle 1). Sie werden im Folgenden vereinfacht als Wald-Neophyten bezeichnet, obwohl die Arten teilweise nicht auf Wälder beschränkt sind. Im Vergleich zur allgemeinen Neophytenflora der Schweiz fällt bei diesen Arten der hohe Anteil von Sträuchern (Cornus, Mahonia, Prunus, Viburnum) und Lianen (Lonicera, Pueraria) auf. Ferner sind viele von ihnen im Gegensatz zur ursprünglich einheimischen Flora wintergrün (bei lederartigen Blättern spricht man auch von laurophyllen Arten).

Die mit Abstand häufigste Art ist jedoch die ursprünglich aus Nordamerika stammende Robinie, die besonders auf trocken-warmen Standorten als invasiver Neophyt auftritt. Neben der Robinie gibt es weitere gebietsfremde, invasive Baumarten, die kleinräumig vorkommen oder hierzulande (noch?) nicht als Waldarten gelten. So ist der aus China und Korea stammende Götterbaum (Ailanthus altissima) ein im Siedlungsbereich und entlang von Verkehrswegen häufiger Neophyt, der im Tessin gelegentlich bereits in Wäldern anzutreffen ist.

Tabelle 1 - Invasive Neophyten der "Schwarzen Liste" und "Watch-Liste" die in Wäldern vorkommen (gemäss Landolt 1991, Delarze et al. 1999, Moser et al. 2002). Die relativen Häufigkeiten beziehen sich auf 593 Inventarflächen gemäss ZDSF sowie 458 Aufnahmen der BDM-Stichprobe. Nicht auf Artniveau erfasste Neophyten sind durch (?) gekennzeichnet.

Waldarten der "Schwarzen Liste"ZDSF (Rel. Häufigkeit in%)BDM (Rel. Häufigkeit in%)
Robinie (Robinia pseudacacia) 41.512.2
Kirschlorbeer (Prunus laurocerasus)9.85.2
Japanisches Geissblatt
(Lonicera japonica)
5.91.3
Armenische Brombeere
(Rubus armeniacus)
1.7(?)
Herbstkirsche (Prunus serotina)1.30.9
Kudzu (Pueraria lobata), bisher nur
im Tessin invasiv
0.70.0
   
Waldarten der "Watch-Liste"  
Mahonie (Mahonia aquifolium)5.42.8
Runzelblättriger Schneeball
(Viburnum rhytidophyllum)
2.41.1
Seidiger Hornstrauch (Cornus sericea)1.91.3
Hanfpalme (Trachycarpus fortunei),
bisher nur imTI invasiv
1.30.7
Henrys Geissblatt (Lonicera henryi)1.0(?)


Abbildung 4 zeigt eine Karte der landesweit bekannten Vorkommen der in der Tabelle aufgeführten invasiven Wald-Neophyten. Neben den Verbreitungsdaten des ZDSF sind die Vorkommen in den deutlich kleineren Erhebungseinheiten der BDM-Stichprobe dargestellt. Die Karte zeigt, dass invasive Wald-Neophyten in Tieflagen der gesamten Schweiz auftreten. Im Tessin sind sie besonders häufig – auch in den kleineren BDM-Flächen.

In den Tieflagen der Nordschweiz sind die Arten hingegen seltener und fehlen oft in den BDM-Flächen. Die ZDSF-Daten weisen in der Nordschweiz Schwerpunkte in Städten auf (u.a. Zürich, Basel, Lausanne, Genf), doch geht dies teilweise auf die dort bessere Datenlage zurück. So sind beispielsweise Fundangaben für die Armenische Brombeere (Rubus armeniacus, siehe unten) bisher fast ausschliesslich im Raum Zürich erfasst worden, obwohl die Art in der Schweiz eine deutlich grössere Verbreitung aufweist. Die Kenntnisse zur aktuellen Verbreitung von rasch sich ausbreitenden, gebietsfremden Arten sind oft unzureichend.

Siedlungsnähe entscheidend

Ist es dennoch möglich, Gesetzmässigkeiten für das Auftreten invasiver Wald-Neophyten zu finden? Eine Auswertung der standardisiert erhobenen BDM-Daten zeigt einen deutlichen Effekt zwischen dem Auftreten dieser Arten und dem Siedlungsanteil der Probeflächen (Abb. 5). Bei den BDM-Erhebungen werden lediglich verwilderte, nicht aber gepflanzte Vorkommen berücksichtigt. Landesweit werden die Vorkommen invasiver Wald-Neophyten zwar auch durch hohe Temperaturen gefördert – abgesehen von den Flächen im Tessin ist in den Tieflagen der Nordschweiz jedoch der Siedlungsanteil der mit Abstand bedeutendste Faktor. Dies wird verständlich, wenn die Ausbreitungswege der Arten berücksichtigt werden. Bis auf die Robinie, die seit über 200 Jahren auch waldbaulich gefördert wurde, werden alle in Tabelle 1 erwähnten Arten im Siedlungsbereich zur Begrünung eingesetzt. Von diesen Quellen breiten sich die Arten dann in nahe gelegene Wälder aus; die Siedlungsnähe ist also der entscheidende Faktor für deren spontanes Auftreten.

Ein Beispiel für den Ausbreitungsweg eines invasiven Wald-Neophyten zeigt Abbildung 6. Henrys Geissblatt (Lonicera henryi) ist im Handel erhältlich, wird vielfach zur Begrünung an Gebäuden verwendet und verwildert in nahe gelegene Wälder. Die Liane verhält sich ähnlich wie das Japanische Geissblatt (Lonicera japonica), das als invasiver Neophyt in Tieflagen des Tessins verbreitet ist und dort in Wäldern lokal bis in die Baumschicht vordringt (Abb. 1).

Als weiteres Beispiel zeigt Abbildung 7 die bereits erwähnte Armenische Brombeere (Rubus armeniacus). Hier handelt es sich ebenfalls um einen invasiven Neophyten ("Schwarze Liste"), der als Beerenobst in Gärten gepflanzt wird. Diese Brombeere hat sich ausserhalb des Waldes im Siedlungsbereich, auf Industriearealen oder entlang von Bahnlinien ausgebreitet und verursacht nun erhöhte Unterhaltskosten. Die Armenische Brombeere ist im Wuchs kräftiger als die meisten einheimischen Brombeerarten und kommt auch an Waldrändern und auf Verjüngungsflächen vor.

Brombeeren gelten als Problemarten im Waldbau und verursachen auch hier erhöhte Kosten bei der Jungwaldpflege. Zwar handelt es sich in der Regel um einheimische Brombeerarten, doch ist davon auszugehen, dass sich auch die Armenische Brombeere an Waldrändern und in Jungwaldflächen weiter ausbreitet. In Abbildung 7 ist die Art auf einer Verjüngungsfläche zusammen mit Himbeere (Rubus idaeus) zu sehen. Das Beispiel zeigt, dass invasive Neophyten nicht immer auf den ersten Blick auffallen müssen, auch wenn in ihrem Zusammenhang oft von "Exoten" die Rede ist.

Zunahme von Neophyten erwartet

Invasive Neophyten sind in Wäldern der Schweiz, wenn auch noch lokal begrenzt, bereits heute von Bedeutung. Besonders betroffen sind Wälder im Tessin, doch treten verschiedene Arten auch in der Nordschweiz auf. Ihre Vorkommen werden durch Siedlungsnähe, hohe Temperaturen und lichte oder gestörte Waldstandorte gefördert. Wegen der Klimaerwärmung – einschliesslich der erwarteten Zunahme von Störungen durch Stürme und Feuer – und aufgrund der Verwendung fremdländischer Zierpflanzen im Gartenbau, der weiteren Ausdehnung des Siedlungsraums und der spontanen Ausbreitung bereits heute verwilderter Arten wird die Bedeutung invasiver Neophyten auch im Wald weiter zunehmen.

Es ist daher wichtig, die weitere Entwicklung aufmerksam zu erfassen und zu bewerten sowie gezielte, frühzeitige Massnahmen zu treffen, welche die Etablierung und Ausbreitung invasiver Neophyten erschweren oder sogar verhindern. Hierzu hat sich die Schweiz in nationalen und internationalen Abkommen und gesetzlichen Vorgaben verpflichtet (Freisetzungsverordnung, Biodiversitäts­konvention von Rio u.a.). Mit Blick auf den Wald ist insbesondere die Verwendung invasiver Neophyten im Gartenbau zu hinterfragen. Sollten durch diese Arten ausserhalb des Siedlungsbereichs zukünftig noch grössere ökonomische oder ökologische Schäden entstehen, so wäre dies im wahrsten Sinne des Wortes ein "hausgemachtes Problem".

Literatur

  • Delarze, R., Gonseth, Y. und Galland, P., 1999: Lebensräume der Schweiz. Ott Verlag, Thun.
  • Landolt, E., 1991: Gefährdung der Farn- und Blütenpflanzen in der Schweiz. BUWAL/EMDZ, Bern.
  • Landolt, E., 2001: Flora der Stadt Zürich. Birkhäuser Verlag, Basel.
  • Lauber, K. und Wagner, G., 2007: Flora Helvetica, 4. Aufl., Haupt Verlag, Bern.
  • Moser, D.M., Gygax, A., Bäumler, B., Wyler, N. und Palese, R., 2002: Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Farn- und Blütenpflanzen. BUWAL/EMDZ, Bern.

(TR)