Massenvermehrungen von Borkenkäfern sind bei Forstleuten gefürchtet, ganz besonders in fichtendominierten Beständen. Der Klimawandel wird voraussichtlich häufiger zu idealen Bedingungen für eine sogenannte Gradation von Borkenkäfern führen. Speziell der Buchdrucker (Ips typographus) profitiert von höheren Temperaturen und dürfte damit mehr Generationen pro Jahr entwickeln. Trockenere Sommer führen ausserdem vermehrt zu unter Wassermangel leidenden Wirtsbäumen (Fichten) und Stürme, die möglicherweise häufiger auftreten, erweisen sich als Initialzündung für Ausbrüche.

Förster bekämpfen die Borkenkäfer durch rasches vorbeugendes Räumen umgeworfener Bäume nach Sturmereignissen und durch die Zwangsnutzung befallener stehender Bäume. Borkenkäfer werden aber auch durch natürliche Feinde wie Spechte, räuberische und parasitische Insekten, Milben, Pilze und Mikroorganismen reguliert. Dieses Beziehungsgeflecht ist sehr komplex und hängt auch von abiotischen Faktoren ab. Wie der Klimawandel sich auf die über Jahrtausende entstandenen Beziehungen zwischen Borkenkäfern und ihren Feinden auswirken wird, lässt sich nur schwer abschätzen.

Bei forstlichen Tätigkeiten sollte man die natürlichen Gegenspieler aber unbedingt mehr berücksichtigen und sie fördern. Zu den auffälligsten Borkenkäferfeinden gehören die Spechte. Insbesondere der Dreizehenspecht (Picoides tridactylus, Abb. 1) hat einen entscheidenden Einfluss auf die Dezimierung von Borkenkäfern.

Dreizehenspechte sind Borkenkäferliebhaber

Seit mehr als 40 Jahren weiss man aus Untersuchungen in Amerika, dass Spechte sich nach Störungen auf borkenkäferreichen Flächen ansammeln. Die Anzahl nahrungssuchender Dreizehenspechte kann bei einer Zunahme der Borkenkäfer stark ansteigen. Im Vergleich zu anderen Spechtarten ist diese Eigenschaft beim Dreizehenspecht besonders ausgeprägt. Während Borkenkäfergradationen wurden in Amerika bis zu 22.2 Spechte pro Hektare gezählt, am meisten zwischen August und Dezember, wenn die Jungvögel sich vom Nesthabitat entfernen. Im Kanton Schwyz hat man im Sommer 1994 14-16 Dreizehenspechte auf einer Hektare vom Borkenkäfer befallener Waldfläche gezählt. Auch die Dichte der brütenden Vögel pro Waldfläche kann um einen Faktor von 2 bis 21 in die Höhe schnellen.

Analysen von Kot und Mageninhalt von Dreizehenspechten geben Aufschluss über die Nahrungszusammensetzung. Die Nahrung von adulten Dreizehenspechten wird von Borkenkäfern, Bockkäfern und Spinnen dominiert. Während der Fortpflanzungszeit verzehren adulte Vögel vor allem Bockkäfer, ausserhalb der Brutzeit in erster Linie Adulttiere und Larven von Borkenkäfern. Jungvögel hingegen werden häufig mit Spinnen und Bockkäferlarven gefüttert. Die Konsumation von Borkenkäfern variiert also im Laufe des Jahres und ist während der Fortpflanzungszeit am geringsten.

Im Nationalpark Berchtesgaden in Deutschland machten Borkenkäfer über 80% der Nahrung adulter Dreizehenspechte aus. In Finnland betrugen Borkenkäfer 97% der Insektenbeute vor der Fortpflanzungszeit, während in Amerika bei Borkenkäfer-Massenvermehrungen vor allem im Winter gar 99% der Nahrung aus Borkenkäfern bestand. Ganz allgemein steigt der Anteil von Borkenkäfern in der Nahrung von Dreizehenspechten mit steigenden Käferpopulationen an.

670‘000 Borkenkäfer pro Jahr und Specht

Bei einer Temperatur von -12° C entspricht der Energiebedarf eines Dreizehenspechtes einer Anzahl von 3200 Borkenkäferlarven pro Tag und bei 10° C muss er immerhin noch 1700 Larven verschlingen. Bei Brutbeginn reduziert der Specht den Borkenkäferanteil zugunsten von kalorienreicherer Nahrung wie z.B. den grösseren Bockkäferlarven.

Eine Untersuchung aus der Schweiz schätzt die Anzahl vertilgter Borkenkäfer über alle Entwicklungsstadien hinweg von Larven über Puppen bis zu Käfern auf ungefähr 670‘000 Individuen pro Jahr und Specht. Die gesamte Schweizer Dreizehenspechtpopulation frisst also jährlich geschätzte 1.7 Mia. Borkenkäfer. Im Vergleich dazu wurden in 5‘000 bis 25‘000 Borkenkäferfallen zwischen 1984 und 1999 im Durchschnitt jährlich 85 Millionen Borkenkäfer gefangen, mit den höchsten Werten nach dem Sturm Vivian mit 137 Millionen Individuen im Jahr 1992. Dreizehenspechte sind also viel effizienter als Käferfallen, besonders während der Latenzphasen.

Grosse indirekte Zerstörungswirkung

Nebst direkter Vertilgung von Käferlarven verursacht der Dreizehenspecht durch seine Sucharbeit an Baumstämmen auch indirekte Mortalität von Käferbruten. Er ist nämlich ein sogenannter Hackspecht, der mit seinen Schnabelhieben unzählige Rindenstücke ablöst und darunter nach Nahrung stochert.

Stösst er auf einen nahrungsreichen Baum, kann er diesen innert kurzer Zeit fast vollständig schälen (Abb. 2). Dadurch werden die Käferbruten widrigen Umwelteinflüssen ausgesetzt und sie sterben zum Beispiel durch Austrocknung oder ungünstige Temperaturen ab. Ausserdem befallen Pilze die Brutgalerien. Borkenkäferbrut in abgefallenen Rindenstücken ist am Boden wiederum für andere Vögel oder Kleinsäuger zugänglich.

Wenn die Borke durch die Ablösung von Rindenteilen dünner ist, kann dies zu erhöhter Parasitierung der Borkenkäferlarven führen. Denn so können auch Schlupfwespen mit kurzem Eiablagestachel unter der Rinde liegende Larven parasitieren, die sie bei normal dicker Rinde nicht erreichen würden. Diese indirekten Zerstörungsmechanismen von Borkenkäfern infolge der Hackarbeit von Dreizehenspechten sind noch deutlich grösser als der direkte Verzehr. Dreizehenspechte können also für die Regulation von Borkenkäferpopulationen in nadelholzdominierten Wäldern eine grosse Rolle spielen.

Genügend Totholz für grosse Spechtpopulationen

Wenn Dreizehenspechte in hoher Populationsdichte vorkommen, sind sie zweifach nützlich: als effiziente Vertilger und indirekte Zerstörer von Borkenkäfern halten sie diese während Latenzphasen in Schach und im Falle von Käfergradationen helfen sie mit, diese einzudämmen. Natürlich können sie allein eine Massenvermehrung von Borkenkäfern nicht verhindern.

Welches sind die Haupteigenschaften eines geeigneten Dreizehenspecht-Lebensraums? In Mittel- und Nordeuropa korreliert das Vorkommen von Dreizehenspechten mit dem Anteil von über hundertjährigen Wäldern, dem Anteil dicker Bäume und dem Totholzangebot (Abb. 3). Gemäss einer Untersuchung im Kanton Schwyz sind die Nahrungsbäume zu etwa 97 % Fichten, davon 90 % sterbend oder bereits abgestorben, mit einem mittleren Durchmesser von rund 40 cm.

Anhand eines bioenergetischen Modells untersuchte eine Studie in sechs Gebieten der Schweiz die Anzahl toter Bäume, die für die Deckung des Nahrungsbedarfs von Dreizehenspechten nötig ist. Bei mindestens 14 Dürrständern von über 21 cm BHD pro Hektare beträgt die Wahrscheinlichkeit 90 %, dass der Dreizehenspecht genügend Nahrung findet. Das entspricht einem Anteil von ca. 5 % Dürrständern (oder einer Grundfläche von >1.6 m2 Dürrständern pro Hektare oder einem Volumen von >18 m3 pro Hektare). Das gesamte Totholzvolumen von stehenden und liegenden Bäumen sollte sich auf mindestens 33 m3 pro Hektare belaufen. Dasselbe durchschnittliche Totholzvolumen (30 m3 pro Hektare) konnte auch im Nationalpark Berchtesgaden in Deutschland in Dreizehenspechthabitaten nachgewiesen werden.

Fazit

Die Waldwirtschaft sollte sich die Gratisarbeit der Dreizehenspechte im Kampf gegen Borkenkäfer zunutze machen. Das bedeutet, den Spechten kontinuierlich geeignete Habitate zur Verfügung zu stellen, damit sie bei Käfergradationen eine genügend grosse Grundpopulation haben. Dazu gehören in erster Linie genügend geeignete Nahrungsbäume in Form von absterbenden und toten Fichten, um den Nahrungsengpass im Winter zu überbrücken. Die Bekämpfungswirkung in einem lokalen Käfernest hängt in erster Linie davon ab, wie viele Jungspechte den Ort erreichen können. Spechte haben einen grösseren Einfluss, wenn sie ab Beginn des Ausbruchs vor Ort sind. In Wäldern, wo sie ganzjährig leben und somit auch brüten, ist ihre Wirkung am grössten.

 

(TR)