Abb. 2. Getrocknete Kastanien aus dem Dörrhaus. Foto: Luca Plozza
Die erfolgreiche Restauration der Kastanienselven im Moesano (Kanton Graubünden, Schweiz) ermöglichte die Wiederaufnahme der Produktionskette der Kastanie, die Lebensgrundlage der Vorfahren. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeite die Regionalgruppe "Associazione del Castanicolori della Svizzera Italiana" mit dem Amt für Wald und Naturgefahren, den Gemeinden, privaten Eigentümern, dem Misoxer Forstdienst, Zivildienstleistende, Arbeitslosen und zahlreichen Freiwilligen zusammen.
"Die Produktionskette der Kastanie im Moesano wiederaufzunehmen und einer der Lebensgrundlagen unserer Vorfahren aufzuwerten" – von dieser Entwicklung hat während des langjährigen Engagements zur Wiederherstellung der Kastanienselven im Moesano noch vor kurzer Zeit niemand zu träumen gewagt.
Alte Kastanienselven "wiederbeleben"
Im Fokus stand vorerst – unter Federführung des Amtes für Wald und Naturgefahren und dem gemeinsamen Einsatz von Gemeinden, privaten Eigentümern und dem Misoxer Forstdienst – rund 60 ha Selven überhaupt wieder zurückzugewinnen. Dabei öffnete jeder Schritt neue Möglichkeiten und mit der erfolgreichen Restauration der Selven wurde eine Kastanienselvenverwertung überhaupt möglich.
Die Regionalgruppe Moesano der "Associazione del Castanicolori della Svizzera Italiana" nahm sich dieser Aufgabe an. Sie organisierte die Ernte, die Verarbeitung und die Herstellung von hochwertigen Produkten. 2013 begann die organisierte Ernte mit Zivildienstleistenden beim Amt für Natur und Umwelt, gefolgt von der Weiterverarbeitung durch Arbeitslose im Rahmen eines Einsatzprogramms im Moesano.
Die Kastanien haltbar machen
Die Früchte müssen sortiert, gewaschen und haltbar gemacht werden. Letzteres mit der sogenannten "Novena". Die frischen Kastanien wässert man mit dreimaligem Wasserwechsel neun Tage lang. Man entfernt die obenauf schwimmenden, wurmstichigen Kastanien, bevor sie an der Luft trocknen und ein letztes Mal nach der Grösse sortiert (kalibriert) werden. Aufgehängt in Jutesäcken an einem trocknen, dunklen Ort, sind die Kastanien danach bis in den März hinein haltbar.
Festa del Arbol
Das Projekt erhielt unter anderem durch die Mithilfe von Arbeitslosen auch einen wichtigen gesellschaftlichen Stellenwert. Seit 2014 wird jährlich ein Volksfest veranstaltet – reihum in den Dörfern der Region. Dieses, der Kastanienkultur gewidmete "Festa del Arbol", geht im Herbst 2017 bereits in die vierte Runde. Der Dialektausdruck "l'Arbol" bedeutet übertragen "DER Baum schlechthin" und meint den Kastanienbaum. Am Fest wird ein Teil der Ernte – die gerösteten Kastanien – über dem Feuer gebraten und den Besuchern als "heissi Marroni" offeriert. Neben diesem geselligen und kulinarischen Teil werden aber auch die mit den Kastanien zusammenhängende Kultur und die Geschichte hervorgehoben sowie Führungen durch die Selven angeboten. Sei es beim ersten Fest in Soazza, in Castaneda im Calancatal oder im Herbst 2016 in San Vittore: Der rege Besucherzulauf zeugt von grossem Interesse der Bevölkerung an der Kastanienkultur.
Abb. 3. Kastanienfest in Moesano. Foto: Luca Piozza
Abb. 4. Dörrhaus Dr Alt in San Vittore. Foto: Luca Plozza
Dörrhaus "Grà di Dro Alt" wieder genutzt
Was aber geschieht mit den kleineren Kastanien, die nicht direkt verbraucht werden? 2016 konnte Aufwertungsprojekt dafür ein bedeutender Baustein hinzugefügt werden: die Wiederherstellung und Inbetriebnahme des Dörrhauses "Grà di Dro Alt" in der Gemeinde San Vittore. Die sogenannte "Grà" ist ein kleines Wirtschaftsgebäude zum Dörren der Kastanien. Der Bau der jahrzehntelang ungenutzten "Grà di Doro Alt" konnte mit einer dendrochronologischen Untersuchung eines Balkens auf die Zeit zwischen 1590 und 1610 datiert werden.
Vom Forstdienst Moesano in die Wege geleitet, wurden die Renovationsarbeiten durch die Denkmalpflege und den Fonds Landschaft Schweiz, den ForstkreisSan Vittore / Calanca, von zwei privaten Unternehmen und vielen Freiwilligen finanziert.
Freilichtstützpunkt des Museums Moesano
Das Museum Moesano kümmert sich um den Bertieb des Dörrhauses. Die "Grà" wurde zu einem Freilichtstützpunkt des Museums. Allerdings haben neben dem Gebäude auch die zum Teil Jahrhundertealten Kastanienbäume fast Museumswert.
Im Oktober 2016 ging das Dörrhaus dank der Hilfe von älteren Sachkundigen und Freiwilligen nach 50 Jahren wieder in Betrieb. Der Rost wurde mit 300 kg Misoxer Kastanien befüllt. Freiwillige wechselten sich in den nächsten drei Wochen ab, um das Feuer am Rauchen zu halten, und damit das Dörrhaus Tag und Nacht in Betrieb zu halten. Das Endprodukt mit langer Haltbarkeit wurde in verschiedenen Geschäften und Restaurants zum Verkauf angeboten.
In vier Jahren wurden im Schnitt über 700 kg Kastanien gesammelt und verwertet. Die Aufwertungsinitiative für die im Moesano so gut wie aufgegebene Kastanienkultur zeigt eine Wirkung, die über diese materielle Wertschöpfung durch Produkte hinausgeht: Kultur und Geschichte leben auf, Freiwilligenarbeit und der gesellschaftliche Zusammenhalt werden gefördert. Die Zukunft wird zeigen, welche Möglichkeiten sich noch durch die breite Unterstützung eröffnen.