Zu Beginn des Jahrtausends beauftragte der Generalsekretär der Vereinten Nationen UNO Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, eine Bestandsaufnahme über den Zustand der Ökosysteme. von denen wir abhängen, zu machen. Der wissenschaftliche Bericht wurde 2005 vorgelegt. Seine Kernaussage lautete: "Jeder und jede ist auf die Natur und die ökologischen Leistungen (die von den Ökosystemen erbracht werden) angewiesen, um bei guter Gesundheit ein menschenwürdiges und sicheres Leben zu führen."
Der Bericht definiert Hauptkategorien von Ökosystemleistungen, von denen hier drei zusammengefasst werden:
- Versorgungsleistungen: Bereitstellung von Nahrung, Wasser, Baumaterial (Holz), Fasern, Rohstoffen für Arzneimittel
- Regulierende Leistungen: Regulierung von Klimabedingungen, Abfluss von Oberflächenwasser, physischer Schutzwaldeffekt, z. B. vor Steinschlag. Regulierung der Populationsgrössen von Schadorganismen, Wasserfilterung, Ausgleichen von Schadstoffkonzentrationen (bspw. aus Abfallbeseitigung), Bestäubung
- Kulturelle Leistungen: Leistungen, die Erholung, (Natur-)Tourismus, ästhetischen Genuss und spirituelle Erfüllung fördern
Die Ökosystemleistungen des Waldes ("Waldleistungen") umfassen alle wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen Vorteile, die Einzelpersonen und Gesellschaft aus dem Wald ziehen.
Funktionen und Leistungen des Waldes sichern
In der Schweiz sind die Waldfunktionen in der Bundesverfassung verankert, um ihren Fortbestand zu sichern (Art. 77 BV): "Der Bund sorgt dafür, dass der Wald seine Schutz-, Nutz- und Wohlfahrtsfunktionen erfüllen kann. Er legt Grundsätze über den Schutz des Waldes fest. Er fördert Massnahmen zur Erhaltung des Waldes." Das Schweizer Konzept der Waldfunktionen ähnelt dem der oben erwähnten Leistungen. Die Funktionen stellen die "Aufgaben" dar, die der Wald erfüllt und erfüllen soll, um uns zu schützen, zu versorgen und zu unserem Wohlbefinden beizutragen. Vereinfacht kann man sagen, dass der Wald Leistungen erbringt und damit Funktionen erfüllt. Um diese beiden Konzepte zu verdeutlichen, hat das BAFU kürzlich eine Tabelle erstellt, die das Verständnis der Begriffe Leistungen und Funktionen erleichtert (Waldzustand und Waldfunktionen).
Was als Waldfunktion gilt, wird in der Praxis in einem Mitwirkungsverfahren in der Waldplanung definiert, im Rahmen von regionalen oder kantonalen Waldentwicklungsplänen. Die Funktion "Schutz vor Naturgefahren" wird meistens als vorrangig angesehen und geht einher mit der Festlegung von Flächen, die der Holzproduktion, der Erholung und dem Naturschutz dienen. Dieses Prinzip der Multifunktionalität verlangt eine Waldwirtschaft, die es den Wäldern ermöglicht, mehrere Funktionen gelichzeitig zu erfüllen.
Waldleistungen in Politik und Praxis
Ein vorrangiges Ziel der aktuellen "Waldpolitik. Ziele und Massnahmen 2012-2014" ist die Holzproduktion (Ziel 1: Das nachhaltige Holznutzungspotenzial der Schweizer Wälder wird unter Berücksichtigung der Standortbedingungen ausgeschöpft). Es wird mit der Ressourcenpolitik Holz um die Holzverarbeitung und -verwendung weitergeführt. Weitere vorrangige Ziele sind die Funktionen des Schutzes vor Naturgefahren (Ziel 3) und des Naturschutzes (Ziel 4). Die übrigen Waldleistungen werden unter ökonomischen Gesichtspunkten (Inwertsetzung bestimmter Leistungen) sowie unter dem Aspekt des Wohlfahrtsnutzens für die Bevölkerung, insbesondere für Erholung und Freizeit, betrachtet (Ziele 6.2 und 10). "Der Bund unterstützt die monetäre Bewertung der Ökosystemleistungen der Wälder und, falls erforderlich, der städtischen Waldbestände". Er "schlägt einen Plan für die Abgeltung der Ökosystemleistungen (oder Leistungen) der Wälder vor". Das BAFU hat sich insbesondere mit den Leistungen des Waldes zur Trinkwasserfilterung und zur Speicherung von CO2 befasst. Die Erholung im Wald ist Gegenstand der Bundesstrategie "Freizeit und Erholung im Wald", die seit 2018 umgesetzt wird.
Entsprechend einer aktuellen Studie der Berner Fachhochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL, verfolgen die ausgewählten Waldbesitzer und -besitzerinnen von sich aus Ziele, die in direktem Zusammenhang mit den Leistungen ihres Waldes für die Gesellschaft stehen: CO2-Sequestrierung, Wasserfilterung, Biodiversität und Schönheit sind für eine Mehrheit der Waldbesitzenden prioritäre Ziele. Die Einführung von Inwertsetzungssystemen für gewisse Leistungen ist möglich, aber relativ komplex. So haben sich mehrere Partnerschaften zwischen Trinkwasserversorgern und Waldbewirtschaftern herausgebildet. Bei der CO2-Speicherung übersteigt das Angebot die Nachfrage auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt.
Die Attraktivität des Waldes für die Menschen in der Schweiz ist ungebrochen. Das zeigen die Ergebnisse der Umfrage Wald-Monitoring-Soziokulturell (WaMoS). Der Wald ist so beliebt, dass einige Kantone das Bedürfnis haben, die verschiedenen Aktivitäten im Wald besser steuern zu können. Auch in Städten werden die Bäume für die Bevölkerung immer wichtiger. Die urbane Forstwirtschaft wächst rasch, insbesondere um angesichts des Klimawandels eine besondere Leistung zu erbringen: den Schutz vor Hitze.
Strategische Schwerpunkte und aktuelle Projekte
Dank des Konzepts der Waldleistungen kann der Nutzen, den die Bevölkerung aus den Waldökosystemen und den Bäumen hat, ganzheitlich betrachtet werden. Dies ermöglicht, die von diesen natürlichen Ressourcen erbrachten Leistungen wirtschaftlich zu bewerten und sich auf neue gesellschaftliche Bedürfnisse im Zusammenhang mit dem Klimawandel zu konzentrieren.
Das BAFU arbeitet mit zahlreichen Partnern und Partnerinnen an der Thematik der Ökosystemleistungen des Waldes. Der Schwerpunkt liegt dabei insbesondere auf dem politischen und ökonomischen Potenzial, das mit der Bewertung und Inwertsetzung von Waldleistungen verbunden ist. Die ökonomische Bewertung von Leistungen wird in vielen Bereichen angewendet. Die Integration dieser Bewertung in die Statistik und die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ist beispielsweise Gegenstand einer vom Bundesamt für Statistik (BFS) geleiteten Pilotstudie mit dem Schwerpunkt Waldleistungen. Ebenfalls als Pilotprojekt haben Gemeinden Waldleistungen definiert und werden sie bewerten, um für ihre politische Entscheidungdsfindung besser informiert zu sein.
Leistungen des Waldes in Wert setzen
Abb. 5. Neues Trinkwasserreservoir am Gurten in der Gemeinde Köniz. Foto: Adrian Schmutz (BAFU)
Das Potenzial für die Inwertsetzung dieser Waldleistungen hängt von vielen Faktoren ab. Gemäss den Ergebnissen der neuesten Waldumfrage WaMoS ist die Schweizer Bevölkerung der Ansicht, dass viele Waldleistungen vom Staat bezahlt werden sollten. Das Entstehen neuer Märkte, wie der für CO2-Kompensationen, kann hier eine treibende Kraft sein. Trinkwasserentnahmen, die in den Gebieten mit Wäldern erfolgen, erfordern häufig den Aufbau lokaler Partnerschaften zwischen Wasserversorgern und Förstern. Schliesslich entstehen auch Innovationen aus der Nähe der Bevölkerung zu ihren Wäldern: "Waldbäder" und Waldfriedhöfe sind Beispiele dafür. Das BAFU unterstützt Waldakteure und -akteurinnen mit Informationen und Best-Practice-Beispielen.
Der Bund und mehrere Kantone nutzen das soziokulturelle Monitoring WaMoS, um zu sehen, wie sich die Wahrnehmung der Schweizer Bevölkerung in Bezug auf die vom Wald erbrachten Leistungen entwickeln. Auf der Grundlage der Ergebnisse des European Forest Institute führt das BAFU bis 2024 eine explorative Studie durch. Sie soll helfen, den Austausch zwischen der Bevölkerung und der Forstwirtschaft über die Leistungen des Waldes zu stärken.
Perspektiven im Zusammenhang mit der Integralen Wald- und Holzstrategie 2050
Das BAFU entwickelt derzeit in enger Zusammenarbeit mit den Kantonen und weiteren Akteuren und Akteurinnen eine integrale Wald- und Holzstrategie für den Zeithorizont bis 2050. Die Waldpolitik und die Ressourcenpolitik-Holz sollen dabei zusammengeführt werden, entsprechend dem gesamtheitlichen Konzept der Ökosystemleistungen. Diese Strategie soll als ganzheitlicher Ansatz (Gleichgewicht von Schutz- und Nutzaspekten) unter Berücksichtigung von relevanten Sektoralpolitiken (Klima, Energie, Biodiversität, etc.) formuliert werden.
Die Wald- und Holzstrategie 2050 muss in der Lage sein, den gesetzlichen Auftrag umzusetzen und dabei die ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Ansprüche optimal aufeinander abzustimmen. Dabei soll die Strategie die sektoriellen Politiken und dahinterstehenden Akteurinnen und Akteure bestmöglich koordinieren. Es gilt, die unterschiedlichen Rahmenbedingungen, wie die Topografie der Schweiz, unsere föderale Struktur und die Eigentumsverhältnisse zu berücksichtigen und die grosse Vielfalt an Wäldern mit ihren Waldleistungen zu nutzen und weiter zu stärken.
Die Strategieentwicklung erfolgt in einem komplexen und unsicheren sektorübergreifenden Kontext: Die Herausforderungen in den Bereichen Klima, Energie und Biodiversität sowie mit den aktuellen Entwicklungen wie der Covid-Pandemie und geopolitischen Krisen wie dem Krieg in der Ukraine sind gross. Deshalb ist es wichtig, eine kohärente Strategie mit Zielen und Massnahmen für die Zeit bis 2050 zu entwickeln. Sie wird dazu beitragen, dass der Wald resilient bleibt und die Waldleistungen langfristig für die Menschen gesichert werden können.