Wozu brauchen wir Vermehrungsgut?

Bei der Ausnutzung natürlicher Prozesse zur Bestandesverjüngung und Wiederbewaldung ist ein Blick auf die in Frage kommenden Elternbäume unbedingt erforderlich. Entsprechen diese weder in ihrer Anzahl, ihrem Vitalitätszustand oder ihrer Wüchsigkeit den Anforderungen, die an die künftige Generation des Waldbestandes gestellt werden, kann kein auf die Dauer stabiler Waldbestand entstehen.

Genetische Vielfalt für stabile Waldbestände der Zukunft…

Bei nur wenigen Bäumen einer Art in der Umgebung reichert sich zum Beispiel der Inzuchtkoeffizient in der Population schnell an und die genetische Vielfalt kann sehr stark eingeschränkt sein. Es kommt zu sogenannten Flaschenhalseffekten und eine Anpassung an stattfindende Klimaveränderungen ist dann kaum möglich (Hattemer et al. 1993). Möchte man sich nicht ausschließlich auf die ausgleichende Wirkung einfliegender reproduktionswirksamer Pollen verlassen, was artabhängig wiederum sehr verschieden sein kann, kommt man um zumindest ergänzende aktive Maßnahmen durch Saat und Pflanzung nicht herum. Auch kann der Waldumbau in großflächigen Reinbeständen nur durch aktives Einbringen gewünschter Arten vorangebracht werden.

…durch Anpassung

Gerade die Verjüngungsphase ist für stattfindende Anpassungsprozesse von enormer Bedeutung. Genügend Elternbäume vorausgesetzt, erhöht sich die Vielfalt durch Gametenbildung und Neukombination der Erbanlagen stark und sinkt durch Zufalls- und Anpassungsprozesse erst schnell und dann immer langsamer wieder ab.

Im Rahmen der Erhaltung forstlicher Genressourcen und zum Aufbau einer Saatgutreserve spielt das Saatgut eine wichtige Rolle als Informationsspeicher. Insbesondere hochwertiges Vermehrungsgut wie zum Beispiel. der Kategorie "Geprüft" trägt nicht zuletzt zur Ertragssicherheit der Wälder für künftige Generationen bei.

 

Was beeinflusst die Verfügbarkeit von Vermehrungsgut?

Natürliche Verhältnisse

Die Naturraumausstattung einer Region und die historische Bewirtschaftung bestimmen wesentlich das Vorkommen von Baumarten. Nur von Arten, deren Individuen in genügender Anzahl und entsprechender regionaler Verteilung vorhanden sind, kann Vermehrungsgut erzeugt werden.

Die natürlichen Verhältnisse geben auch die Fruktifikationshäufigkeit vor. Diese ist an erster Stelle art- und altersabhängig. Es gibt Arten, die früh und regelmäßig fruktifizieren (z.B. Sand-Birke) und solche, die spät in die reproduktive Phase eintreten und zwischen Samenjahren längere Pausen einlegen (z.B. Rot-Buche). Die Fruktifikation ist darüber hinaus von der Verfügbarkeit von Licht, Wärme und Nährstoffen abhängig (Rohmeder 1972). Die jährliche Witterung kann auch das Auftreten von Fraßgesellschaften begünstigen.

Zugelassenes Ausgangsmaterial

Im Land Brandenburg sind bei den dem Forstvermehrungsgutgesetz (FoVG) unterliegenden Arten mit Stand vom 30.06.2023 10.282 ha Saatgutbestände und Samenplantagen zur Gewinnung von forstlichem Vermehrungsgut zugelassen. Die Fläche schwankte in den letzten 30 Jahren immer zwischen 9.000 und 11.000 ha, je nachdem, ob nach Überprüfungen altersbedingt Zulassungen entzogen wurden oder Neuzulassungen überwogen. Der Umfang entspricht etwa einem Prozent der Waldfläche des Landes und somit der allgemeinen Empfehlung ein Prozent der vitalsten und wüchsigsten Bestände zur Vermehrung heranzuziehen. Bei artbezogener Betrachtung liegt die Zulassungsfläche der Kiefer deutlich unter, aller anderen Arten über dem empfohlenen Wert. Viele Arten sind neu hinzugekommen.

Die Rot-Buche fruktifiziert in Brandenburg in regelmäßigen Abständen etwa aller drei Jahre. Da die Nachfrage, nicht zuletzt wegen der im Land nur begrenzt verfügbaren geeigneten Standorte, in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen und das Saatgut bis zu fünf Jahre lagerfähig ist, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt von einer ausreichenden Versorgung ausgegangen werden.

Ernte und Anzucht

In Brandenburg sind aktuell 334 Betriebe als Forstsamen- / Forstpflanzenbetriebe gemeldet. Dabei handelt es sich zum überwiegenden Teil um Dienstleistungsbetriebe, die mit ihrer Leistung Forstpflanzen in Verkehr bringen. Im Samenjahr 2023 waren 30 Betriebe aktiv an der Ernte von Vermehrungsgut beteiligt, einige davon aus anderen Bundesländern. Forstbaumschulen, die mit der Anzucht von Pflanzen beschäftigt sind gibt es in Brandenburg noch sechs. Sowohl bei den Samenbetrieben, als auch bei den Baumschulen hat in den letzten zwei Jahrzehnten ein noch immer anhaltender Konzentrationsprozess stattgefunden.

Bei der Eiche wechseln sich Zeiten der kontinuierlichen Versorgung (2011 bis 2016) mit Phasen von Fehl- und Sprengmasten (2019 bis 2021) ab. Dabei fruktifizierten in der ersten Phase nicht dieselben Bestände jährlich, sondern jeweils Bestände verschiedener Regionen Brandenburgs. Bei Eiche sind mehrere Fehlmasten hintereinander besonders nachteilig, da sich das Saatgut trotz intensiver Forschungsarbeiten in der Vergangenheit nicht längerfristig lagern lässt. Nur durch unterschiedliche Baumschulsortimente und die Ausnutzung von Wildlingen lassen sich diese Phasen teilweise überbrücken.

Ernteaktivitäten in Brandenburg im Vergleich

Wo Brandenburg bei den Ernteaktivitäten im Vergleich zu anderen Bundesländern steht lässt sich auf Basis der Erntestatistik der BLE (2024) einschätzen. Bei Trauben-Eiche betrug die Erntemenge zum Beispiel mehr als das Doppelte als im an zweiter Stelle liegenden Flächenland Bayern mit dem bekannten Trauben-Eichen-Gebiet Spessart.

Brandenburg auf den vorderen Plätzen

Brandenburg belegt bei verschiedenen Rangeinstufungen vordere Plätze. Das betrifft sowohl die Gesamtmenge des erzeugten Vermehrungsgutes als auch die für Nadel- und Laubholz getrennten Auswertungen. Die letzte Spalte enthält die Gesamterntemenge bezogen auf die je Bundesland verfügbare Waldfläche (Statistisches Bundesamt 2022). Es ergeben sich auffällige Verschiebungen, so erzeugte zum Beispiel Schleswig-Holstein für die verfügbare Fläche verhältnismäßig viel Vermehrungsgut. Dies ist auf die zahlreichen in der Region ansässigen Baumschulbetriebe und deren Saatgutbedarf zurückzuführen. Brandenburg behauptet sich weiterhin auf Rang zwei.

Nachfrage

Die Verfügbarkeit von Vermehrungsgut einer entsprechenden Herkunft ist stark von der Kontinuität in der Nachfrage abhängig. Plötzliche Änderungen ziehen Anpassungen bei der Zulassungsfläche, Ernte und Pflanzenanzucht nach sich. Ist jeweils ausreichend Zulassungsfläche der gesuchten Herkunft vorhanden, dauert es etwa vier Jahre bis der entsprechende Pflanzenmarkt sich angepasst hat. "Modewellen" bei Baumartenempfehlungen sind daher unbedingt zu vermeiden, da dann, wenn genügend Pflanzen angeboten werden können, die Nachfrage schon wieder zusammengebrochen ist.

Knappes und wertvolles Saatgut

Schwieriger wird es bei Baumarten mit eingeschränkter Fruktifikation wie der Winter-Linde oder bei Arten mit dauerhaft hoher Nachfrage und schlechter Lagereignung wie den heimischen Eichenarten. Hier ist ein ständiger Abwägungsprozess zwischen der Saatgutverfügbarkeit und dem gewählten Verjüngungsverfahren erforderlich. Bezogen auf die gleiche Flächeneinheit wird bei Eichensaaten im Vergleich zur Pflanzung etwa die sechsfache Saatgutmenge benötigt. Der Fortschritt beim Waldumbau hängt also wesentlich davon ab, wie sorgsam mit dem knappen, wertvollen Saatgut umgegangen wird. Saaten sind insbesondere nach Vollmastjahren wie 2018 angezeigt.

Da die ausgewiesenen Herkunftsgebiete über die Landesgrenzen hinausgehen, fließt Vermehrungsgut auch in andere Bundesländer ab. Aus diesen wird zum Teil wieder nach Brandenburg zurückgeliefert. Eine Statistik über diesen Warenverkehr gibt es nicht, aber die Bilanz ist vermutlich nicht ausgeglichen.

 

Was können wir sonst noch tun?

Wie schon in der Vergangenheit wird auch künftig ständig an der Qualifizierung des Erntezulassungsregisters gearbeitet. Um Neuzulassungen von Saatgutbeständen vornehmen zu können, sind laufend Neuanträge aus allen Eigentumsarten erforderlich.

Dem Landesbetrieb liegt ein Vermehrungsgutkonzept für das Land Brandenburg aus dem Jahr 2016 vor (Schneck et al. 2016). Dieses wird gegenwärtig überarbeitet, um es an die Herausforderungen des Klimawandels anzupassen. Drei wesentliche Bereiche bilden die Anlage von Samenplantagen, die bessere Ausnutzung von Eichensaatgut zum Beispiel durch Aufbau einer Thermotherapieanlage in der Landesbaumschule und ein Konzept zum Aufbau und Bewirtschaftung einer Saatgutreserve in Brandenburg.

Vermehrungsgut zwischen Angebot und Nachfrage

Die Übergänge der Versorgungslage sind fließend und jedes Jahr neu zu bewerten. Günstiger weise befindet sich der Markt zwischen "optimaler Versorgung" und leichter "Mangellage" da dann einerseits die Nachfrage meist gedeckt werden kann, andererseits kaum Pflanzen vernichtet werden müssen. In Zeiten ohne große Kahlflächen durch Schadereignisse sollte nie eine Notfalllage eintreten. Der Saatgutvorrat ist so zu steuern, dass auch Jahre ohne Fruktifikation gut überbrückt werden können. Auf kleinere Schadereignisse kann dann durch Kombination von natürlichen Prozessen und ergänzt durch aktive Pflanzungen ausreichend schnell reagiert werden.

Saatgutreserve für den Katastrophenfall

Dennoch muss auch Vorsorge für größere Katastrophen getroffen werden. Für den Aufbau einer Saatgutreserve wurde mit einem Totalverlust des Waldes auf einem Prozent der Fläche geplant. Davon soll die Hälfte, also ca. 5.000 ha für eine aktive Wiederbewaldung vorgesehen werden. Es wurden elf Ankerbaumarten ausgewählt, die als Pionierbaum geeignet sind und deren Saatgut mindestens mittelfristig Lager bar ist. Darüber hinaus soll zur weiteren Risikominimierung der allgemeine Saatgutvorrat der Landesbaumschule auf das 1,5-fache gesteigert werden, um im Bedarfsfall eine breitere Baumartenpalette zur Verfügung zu haben. Die Reserve steht im Notfall vorrangig für erosionsgefährdete Flächen im Gesamtwald zur Verfügung.

Einfluss der Herkunftsempfehlungen

Einfluss auf die Nachfrage haben weiterhin die jeweiligen Herkunftsempfehlungen der Länder. Diese werden auf der Basis von Versuchsergebnissen und langjährigen herkunftsbezogenen Anbauerfahrungen erstellt. Liegen solche Kenntnisse nicht vor, wird vorrangig die regionale Herkunft empfohlen. Angesichts der (prognostizierten) Änderungen durch den Klimawandel wird vermehrt zusätzlich auf Herkünfte aus trockeneren und ggf. wärmeren Regionen zurückgegriffen. Dabei sind Besonderheiten, wie zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Spätfrostereignissen zu berücksichtigen. Für Brandenburg ergeben sich angesichts der vorherrschenden Bedingungen zumindest für die etablierten Arten kaum Alternativen, zumal gerade in den in Frage kommenden Gebieten ebenfalls ein Mangel an Vermehrungsgut bestehen dürfte.

Fazit

Es gibt viele Faktoren, die die Verfügbarkeit von Vermehrungsgut beeinflussen – die Beseitigung von Mangelsituationen gelingt nur, wenn kontinuierlich an allen Stellen gearbeitet wird!

 

Eberswalder Waldkolloquium

Hier finden Sie die Vortragsfolien des Eberswalder Waldkolloquiums 2024 “Wege zur Waldverjüngung und Wiederbewaldung

Weitere Informationen

Weitere Informationen zu Aufbau und Bewirtschaftung der Saatgutreserve finden sich bei Schneck et al. 2024.