Herausforderungen
Die Herausforderung der Wiederbewaldung von großen Schadflächen liegt in der Ausgangssituation. Freiflächen zeichnen sich aus durch (Renaud et al. 2011):
- Hohe Strahlungsintensität
- Hitze
- Trockenheit
- Austrocknende Winde
- Frostereignisse (Früh- und Spätfröste)
- Erosionen und Nährstoffausträge
Auf vielen Freiflächen stellt sich schnell Vegrasung ein. Weiterhin fehlt es oft in den noch intakten Nachbarbeständen an geeigneten und standortsgerechten Zielbaumarten (Samenbäumen). Infolge dessen sind oftmals Pionierbaumarten die einzige Option auf eine sukzessionsgestützte Wiederbewaldung von Schadflächen mit klimaresilienten Baumarten.
Pionierbaumarten vermögen Schadflächen aufgrund ihrer arttypischen Eigenschaften erfolgreich zu besiedeln, da sie eine Anpassung an die beschriebenen standörtlichen Freiflächenbedingungen zeigen (Bartsch et al. 2020). Allerdings müssen auch für die Pionierbaumarten gewisse Voraussetzungen erfüllt sein, damit sie sich in ausreichenden Dichten auf der Schadfläche einfinden.
Einschätzung der Wiederbewaldung mittels Pionierbaumarten
Eine frühzeitige Abschätzung der Wiederbewaldung hängt maßgeblich von drei Faktorenkomplexen ab, die sich gegenseitig beeinflussen:
- Verjüngungsökologie der Pionierbaumarten
- Details zur Schadfläche
- Witterungsbedingungen im Wiederbewaldungszeitraum
Aufgrund dessen muss die Einschätzung einer Wiederbewaldung oftmals schadflächenindividuell durchgeführt werden um gegebenenfalls geeignete Maßnahmen planen zu können.
Abb. 1. Um das Naturverjüngungspotenzial von Pionierbaumarten für die künftige Wiederbewaldung gestörter Flächen beurteilen zu können, braucht es sowohl verjüngungsökologisches Wissen über die Samenbäume, als auch flächenspezifische Informationen. Weiterhin wird die Wiederbewaldung maßgeblich von den herrschenden Witterungsbedingungen beeinflusst. Foto: K. Tiebel (TU Dresden)
Samenbäume und Samenausbreitung
Zur erfolgreichen Etablierung von Pionierbaumarten auf Schadflächen braucht es zu aller erst zwingend die benötigten Samenquellen. In Deutschland stehen hierfür Sandbirke, Schwarzerle, Zitterappel, Salweide, Eberesche, Waldkiefer und Europäische Lärche zur Verfügung. Welche Pionierbaumarten im Umkreis einer Schadfläche in den intakten Beständen als potentielle Samenquellen betrachtet werden können, hängt von ihrem Standort, dem Ausbreitungsvektor und von der Anzahl der Samenbäume ab. Die Variation der Ausbreitungsdistanzen ist den einflussnehmenden Faktoren Samenbaumstandort, Hangneigung, Windgeschwindigkeit, Windrichtung, Niederschlag und andern geschuldet (Tiebel et al. 2020a).
Singvögel als Ausbreitungsvektoren
Ebereschensamen werden von fruchtfressenden Singvögel auf Freiflächen bis zu 100 m verbreitet. Diese nutzen die Strukturelemente auf Freiflächen als Rast- und Sitzgelegenheiten (Sichtschutz) zum Absetzen von Kot (McDonnell und Stiles 1983, Żywiec et al. 2013). Bevorzugt werden dabei vor allem stehende, stärker dimensionierte und mindestens einen Meter hohe Totholzelemente, wie Hochstubben, umgeklappte Wurzelteller, aufragende Steiläste und weniger bereits etablierte Naturverjüngung oder künstliche Elemente (Zaun, Einzelschutz) (Tiebel et al. 2017). Größere Distanzen werden jedoch von den Vögeln überflogen, unabhängig davon ob Strukturelemente oder attraktive Nahrung vorhanden ist (McDonnell und Stiles 1983, Tiebel et al. 2017).
Größe der Schadfläche
Entscheidend für den Erfolg oder das Ausbleiben von Naturverjüngung aller Pionierbaumarten und der Wiederbewaldungsgeschwindigkeit sind ebenfalls Schadflächengröße und -form. Bei mehr oder weniger runden Schadflächen von mehr als vier Hektar Größe muss ebenfalls davon ausgegangen werden, dass sich erst nach mehr als fünf bis 15 Jahren das Zentrum mit diesen Pionierbaumarten zu schließen beginnt (Tiebel 2020). Denn die Wiederbewaldung kann nur durch Naturverjüngung am Freiflächenrand nach Eintritt in das reproduktionsfähige Alter übernommen werden. Im Zentrum kann über den langen Zeitraum bereits eine Vergrasung eingetreten sein, sodass sich die Wiederbewaldung dieses Bereiches deutlich länger hinzieht als am Schadflächenrand.
Keimung und Etablierung
Sind die Voraussetzungen für einen Sameneintrag auf einer Schadfläche durch Pionierbaumarten gegeben, braucht es optimale Keimstandorte. Diese sind feuchte Mineralböden ohne Konkurrenzvegetation (Tiebel et al. 2023b), wie man sie auf Störungsflächen in Mulden, Stockachseln, umgestürzten Bäume und kleinflächigen Bodenverwundungen findet. Mächtige Streu- und Humusauflagen sowie vermooste oder vergraste Flächen sind ungeeignet (Hiller et al. 2002, Tiebel et al. 2023b), wodurch sich eine Etablierung von Naturverjüngung der Pionierbaumarten über Jahre hinziehen kann (Wohlgemuth et al. 2002, Brang et al. 2015) ohne das waldbauliche Dichten zur Schaffung eines Waldinnenklimas erreicht werden.
Wild
Hinsichtlich hoher Wilddichten gilt es die etablierte Verjüngung anschließend zu schützen, da sie gern verbissen und später auch geschält wird (Chantal und Granström 2007) mit der Folge einer Entmischung der Baumartenzusammensetzung. Neben Jagden, Einzelschutz oder Zaun kann auch verbliebenes Reisigmaterial bzw. Kronenmaterial auf der Fläche diese Aufgabe übernehmen (Chantal und Granström 2007).
Folgen des Klimawandels
Waren die Umweltbedingungen schon immer extrem auf Freiflächen, werden sich diese im Klimawandel weiter verschärfen. Auch die Pionierbaumarten sind im voranschreitenden Klimawandel vor Herausforderungen gestellt. Infolge von Trockenheit und Hitze sterben nunmehr Samenbäume ab, es gelangen weniger Samen zur vollständigen Reife und es verkürzt sich das Verjüngungsfenster.
Bodenfeuchtigkeit
Die Bodenfeuchtigkeit ist vor allem im ersten Jahr entscheidend für die Etablierung. Zum Beispiel vermögen die Samen von Zitterpappel in Abhängigkeit von der Temperatur und Luftfeuchtigkeit zwischen sechs bis mehr als 13 Wochen auf dem Boden auf Niederschlag für eine erfolgreiche Keimung auszuharren. Im Zuge des Klimawandels kann sich dieser Zeitraum auf eine Woche verkürzen (Tiebel et al. 2023a). Schaffen es die Samen im Frühjahr erfolgreich zu keimen, kann eine Trockenperiode von mehr als drei Wochen, bei der die Feuchtigkeit im Oberboden unter die nutzbare Feldkapazität fällt, für die Pionierbaumartenkeimlinge tödlich enden (Tiebel et al. 2023b).
Wasserspiegel
Ein weiterer kritischer Punkt im Klimawandel. Für eine dauerhafte Etablierung muss es den Pionierbaumarten im ersten Jahr möglich sein, dem sinkenden Wasserspiegel hinterherzuwachsen (Karrenberg et al. 2002, Dickmann und Kuzovkina 2014). Nur so können sie sich langfristig auf trockenen Standorten behaupten.
In Zukunft wird von verjüngungsökologischer Seite die Phase der Keimung und Etablierung entscheidend über Erfolg und Misserfolg einer Wiederbewaldung von Schadflächen sein (Tiebel et al. 2023b).
Schlussfolgerungen für die waldbauliche Praxis
Generell gilt es aufgrund der begrenzten Lebensspanne der Pionierbaumarten jederzeit ausreichend Samenbäume in den Waldflächen vorzuhalten und diese durch gezielte Pflegeeingriffe von interspezifischer Konkurrenz freizustellen und zu stabilisieren (Cameron 1996, Gockel 2016, Tiebel 2020). Freigestellte, vitalisierte Individuen treten deutlich früher in den Reproduktionsprozess ein und produzieren deutlich mehr Samen als bedrängte und beschatte Pionierbaumarten (Hynynen et al. 2010, Gockel 2016, Tiebel et al. 2019b). Damit die Pflegeeingriffe nicht zu teuer werden, sollten die lichtbedürftigen und konkurrenzschwachen Pionierbaumarten an Wegrändern, Straßenrändern, Waldrändern und Blößen vorgehalten werden, wo ein einseitiger Kronenausbau möglich ist. In Beständen sollten mindestens Trupps von Pionierbaumarten erhalten werden, da sich somit die interspezifische Konkurrenz reduzieren lässt (Tiebel 2020, Tiebel et al. 2020b).
Maßnahmen nach einem Schadereignis
Sind nach einem Schadereignis Samenbäume auf den Schadflächen verblieben, sollten diese unabhängig ihrer Dimension und Vitalität erhalten werden. Die Restbestockung kann einen wesentlichen Beitrag zur schnellen Wiederbewaldung leisten. Sind in den angrenzenden, ungestörten Waldflächen potentielle Samenbäume vorhanden, aber bisher nicht gepflegt worden, sollte dies zur Anregung der Samenproduktion nachgeholt werden (Gockel 2016).
Erhalten von Strukturelementen
Im Hinblick auf die Samenausbreitung von Eberesche beziehungsweise aller durch die Mithilfe von Tieren verbrachten Baum- und Straucharten muss darauf geachtet werden, dass Totholzstrukturen, wie umgeklappte Wurzelteller, Hochstubben und Totholzelemente auf den Schadflächen zur Förderung des Sameneintrags erhalten bleiben (McDonnell und Stiles 1983, Tiebel et al. 2017).
Eine vollständige Beräumung aller (Totholz-)Strukturen auf einer Schadfläche unterbindet nicht nur den Sameneintrag durch fruchtfressende Singvögel, sondern eliminiert auch potentielle Keimstandorte mit freiem Mineralboden (Wohlgemuth et al. 2002, Brang et al. 2015, Tiebel 2020). Strukturelemente als Keimstandorte bieten den Vorteil der Beschattung und damit Pufferung von Strahlung und Hitze, wodurch sich beispielsweise in Senken von Wurzeltellern oder Wurzelanläufen von Stubben Regenwasser sammeln und die Böden länger feucht halten kann (Vodde et al. 2011, Hartig und Schmidt 2020). Eine Beräumung von verwertbarem Schadholz kann andererseits freien Mineralboden fördern und damit ebenfalls die Keimbedingungen verbessern.
Das Literaturverzeichnis entnehmen sie bitte dem Originalartikel.
Eberswalder Waldkolloquium
Hier finden Sie die Vortragsfolien des Eberswalder Waldkolloquiums 2024 “Wege zur Waldverjüngung und Wiederbewaldung”.