Auer-, Birk- und Haselhuhn besiedeln unterschiedliche Entwicklungsstadien des nadelbaumreichen Waldes. Weil die drei Arten spezielle Lebensraumansprüche haben und auf Störungen sehr empfindlich reagieren, sind sie Indikatoren für naturschützerisch wertvolle Gebirgswälder. Waldreservate sind wichtige Instrumente für die Förderung der Waldhühner. Sie sind aber allein zu klein und können den Raumbedarf der Vögel nicht vollständig abdecken. Deshalb muss es gelingen, dass die Ansprüche von Auer-, Birk- und Haselhuhn zusätzlich auch in der allgemeinen Forstpraxis berücksichtigt werden.
Auer-, Hasel- und Birkhuhn sind typische Bewohner der weitläufigen Waldlandschaften in den nördlichen Breiten Eurasiens. Mit der nacheiszeitlichen Bewaldung unseres Kontinents haben die drei Arten auch die gebirgigen Regionen Mitteleuropas erobert. Hier sind die scheuen waldbewohnenden Vogelarten wichtige Indikatoren der Landschafts- und Nutzungsgeschichte.
Die attraktiven Vögel können nämlich den unterschiedlichen Entwicklungsphasen des natürlich wachsenden Gebirgswaldes relativ gut zugeordnet werden:
- Das Birkhuhn bevorzugt baumarme, zwergstrauchreiche Flächen im Bereich der Waldgrenze und von Mooren, Lawinenrunsen oder Windwurfflächen.
- Das Haselhuhn hingegen nutzt Verjüngungsflächen mit Laubhölzern in Altbeständen, Sträucher entlang von Bächen und Runsen oder auch laubholzreiche Entwicklungsstadien nach Windwürfen.
- Lückige, krautreiche Nadelholz-Altbestände sind der bevorzugte Lebensraum des Auerhuhns.
Bestandsrückgang trotz Waldzunahme
Abb. 2 - Haselhühner bevorzugen junge, strauchreiche Entwicklungsstadien im Wald.
Foto: Reinhard Lässig (WSL)
Während das Birkhuhn in der Roten Liste als potenziell gefährdet eingestuft ist, gilt das Haselhuhn als verletzlich und das Auerhuhn als stark gefährdet (Tabelle 1). Dies ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Waldfläche der Schweiz seit rund 150 Jahren zunimmt und heute 30 Prozent der Landesfläche bedeckt. Entsprechend liegt der Schluss nahe, dass sich die strukturelle Entwicklung der Wälder und Waldränder seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts negativ auf die Verbreitung und Bestandsentwicklung der Waldhühner auswirkte.
Verschiedene Quellen aus den letzten 150 Jahren weisen darauf hin, dass in dieser Zeitspanne sowohl Auer- als auch Haselhuhn um 1900 die höchsten Bestände aufgewiesen haben. Damals beobachtete man eine Bestandszunahme im Alpenraum und eine Ausdehnung des besiedelten Areals ins nördliche und südliche Alpenvorland.
Dies hat zum einen mit günstigen Witterungs- und Brutbedingungen, zum anderen aber auch mit der ökologischen Bindung von Hasel- und Auerhuhn an bestimmte Waldstrukturen zu tun, die zu dieser Zeit wegen der starken Nutzung der Wälder weit verbreitet waren: Wälder mit einem Mosaik von Kahlschlägen und Jungwuchs und das milde Klima boten offenbar den Waldhühnern optimale Lebensbedingungen.
Dunklere, einförmige Wälder
Abb. 3 - Lebensraum des Auer- und des Haselhuhns: voralpiner Waldbestand im Kanton Obwalden.
Foto: Kurt Bollmann (WSL)
Dann aber verzeichneten Auer- und Haselhuhn – und ausserhalb der Alpen auch das Birkhuhn – in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Mitteleuropa einen Bestandseinbruch, welcher nicht alleine auf Witterungsfaktoren zurückzuführen ist. In dieser Zeit hat sich der Wald stark verändert. Die intensive Nutzung der Wälder und die damit verbundenen Umweltgefahren führten im Jahre 1876 zum ersten Forstpolizeigesetz.
In der Folge wurden im Gebirge viele der zuvor entwaldeten Gebiete wieder aufgeforstet, als Schutz gegen Hochwasser und Lawinen. Solche Pflanzungen können zwar anfänglich den Waldhühnern noch als Lebensraum dienen, werden jedoch bereits nach einigen Jahren gleichförmig, dicht und dunkel.
Lichtarme und einförmige Bestände wurden während Jahrzehnten gefördert, "Unkräuter" wie Weide, Birke, Erle und Vogelbeere beseitigt. Dem Haselhuhn wurden so die wichtigen Winternahrungsbäume entzogen und die forstlich geförderten, hochstämmigen Altersklassewälder bieten dem Auerhuhn weder ausreichend Deckung noch Nahrung.
Waldhühner benötigen strukturreiche Wälder
Für die Erhaltung von überlebensfähigen Populationen von Auer-, Hasel- und Birkhuhn haben sowohl Grösse wie auch Lage und Qualität der besiedelbaren Lebensräume eine zentrale Bedeutung. Diese Waldbestände müssen die ganzjährigen Lebensraumbedürfnisse der Arten abdecken: Ruhige Überwinterungsgebiete sollen ungestörte Balzplätze und vor Mensch und Raubfeinden sichere Aufzuchtorte ergänzen, und auch der gelegentliche Austausch von Einzelvögeln zwischen Populationen muss möglich sein. Exemplarisch wird im Folgenden am Beispiel des Auerhuhns erläutert, welche Fakten beim Artenschutz berücksichtigt werden müssen.
Tabelle 1: Verbreitung, Bestand und Gefährdung der drei Waldhühner in der Schweiz
Verbreitung | Bestand | Status gemäss Roter Liste | |
Haselhuhn | Jura, nördliche und südliche Voralpen, Alpen | 7500 bis 9000 Brutpaare | Verletzlich |
Birkhuhn | nördliche und südliche Voralpen, Alpen | 7500 bis 10000 Brutpaare | (potentiell gefährdet) |
Auerhuhn | Jura, nördliche Voralpen, östliche Alpen | 450 bis 500 Hähne | stark gefährdet |
Fallbeispiel Auerhuhn
Grundsätzlich besiedelt das heimliche Auerhuhn nur ausgedehnte, nadelbaumreiche Wälder. Föhre und Weisstanne sind bevorzugte Winternahrungsbäume und bieten mit ihren starken und weit ausladenden Ästen bessere Schlafplätze als die Fichte. Lückige und lichte Waldbestände weisen Flugschneisen auf und ermöglichen dem Sonnenlicht, bis auf den Waldboden vorzudringen. Dies fördert die Entwicklung einer Krautschicht, welche ein Schlüsselelement im Sommerlebensraum des vorwiegend vegetarisch lebenden Auerhuhns darstellt.
Insbesondere die Heidelbeere bietet gleichzeitig Deckung und während der Vegetationszeit energiereiche Nahrung. In der Krautschicht leben auch viele Insekten, die einen unentbehrlichen Bestandteil der Kükennahrung ausmachen. Freistehende Fichten mit bodennahen Ästen oder Rotten von Jungfichten bieten ebenfalls guten Sichtschutz und werden zum Ruhen gerne aufgesucht.
Weil die faserreichen Nadeln im Muskelmagen nur mit Hilfe von Magensteinchen verdaut werden können, braucht es im Lebensraum des Auerhuhns auch sandige Stellen oder umgestürzte Wurzelteller. Solche Orte werden auch für die Gefiederpflege aufgesucht. Man bezeichnet sie als Sandbadestellen.
Von den Waldhühnern scheint das Auerhuhn am empfindlichsten auf menschliche Störungen zu reagieren. Unbestritten ist die negative Wirkung von Forststrassen und touristischen Anlagen. Wo solche Eingriffe zu gross werden, gehen Auerhuhnvorkommen in der Regel zurück oder verschwinden ganz.
Generell ist aber die Benutzung von "festen Achsen" wie Wanderwegen weit weniger störend als das "Querwaldeinlaufen" von Waldbenutzern irgendeiner Art. Besonders sensibel auf Störungen reagieren die Raufusshühner im Winter, da ihre Lebensweise dann auf Energiesparen ausgerichtet ist, sowie in der Brutzeit.
Um Störungen zu minimieren, ist eine räumliche Entflechtung von Artenschutz und Waldnutzung erforderlich. Dabei müssen die noch vorhandenen Verbreitungszentren der Waldhühner als Kernzonen für die Ausscheidung von Waldreservaten respektiert werden. Eine Umgebungszone mit moderateren Auflagen für Tourismus, Sport und Forstwirtschaft kann die Kernzone durch die Pufferwirkung zusätzlich aufwerten. In den Kern- und Umgebungszonen sind Wegegebote und zeitlich begrenzte Sperrzonen zu diskutieren. Fallweise müssen auch die Sperrung sowie der Rückbau von Forststrassen ins Auge gefasst werden.
Im Gegensatz zum Auerhuhn haben einige seiner Feinde in Mitteleuropa während den letzten 100 Jahren von Veränderungen in der Land- und Forstwirtschaft sowie einem steigenden Nahrungsangebot und verbessertem Schutz profitiert. Es gibt Hinweise, dass sich der erhöhte Feinddruck vor allem in kleinen und isolierten Auerhuhn-Populationen negativ auswirken kann.
Entsprechend müssen für die Erhaltung dieser Teilpopulationen vorübergehend und fallweise auch jagdliche Massnahmen auf den Fuchs in Betracht gezogen werden. Solche können zwar Lebensraumverbesserungen und Störungsreduktionen keinesfalls ersetzen, aber unter bestimmten Voraussetzungen sinnvoll ergänzen. Ohne diese unpopulären flankierenden Massnahmen dürfte sich der Arealschwund der Waldhühner vor allem in den Randzonen des Verbreitungsgebiets fortsetzen und die Isolation von einzelnen Vorkommen verstärken.
Wegen der unterschiedlichen Lebensbedingungen im Jura, den Voralpen und Alpen ist eine räumlich differenzierte Betrachtung der Gefährdungsursachen notwendig. Zwar ist die Liste der Probleme ziemlich identisch, die Bedeutung von Lebensraumqualität, Störungen und Feinddruck unterscheiden sich aber von Region zu Region. Zusätzlich muss der Aspekt der Wüchsigkeit des Waldbodens speziell beachtet werden.
Flachgründige, nährstoffarme und moorige Böden lassen meist nur ein lückiges und langsames Baumwachstum zu. Sie begünstigen strukturell vielfältige Waldbestände, die dem Auerhuhn über Jahrzehnte stabile Lebensbedingungen bieten. Diese Primärbiotope beherbergen die Quellpopulationen des Auerhuhns. Waldreservate mit oder ohne Eingriffe sind die optimalen Instrumente zur Förderung solcher natürlicherweise wenig produktiven Wälder.
Tiefgründige, nährstoffreiche Waldböden hingegen weisen meistens Wälder mit höheren Baumdichten auf. Die Bäume wachsen zudem schneller und höher, sorgen mit dichtem Kronenschluss für Schatten, und in tieferen Lagen schliessen die Buchen Lücken und Schneisen rasch. In solch wüchsigen Waldbeständen müssen Auerhuhn-Lebensräume "durch die Hand des Försters" geschaffen und mit einer auf das Artenschutzziel ausgerichteten Bewirtschaftung gefördert werden.
Nach dem heutigen Stand des Wissens sind die Primärbiotope zu klein und zu isoliert für eine längerfristige Erhaltung des Auerhuhns in der Schweiz. Deshalb ist es wichtig, dass diese Kerngebiete mit waldbaulich aufgewerteten Lebensräumen vergrössert und vernetzt werden. Denn eine einzelne Population beziehungsweise Balzgruppe ist auf mehrere Quadratkilometer guten Lebensraum angewiesen. Um den Austausch von Vögeln zwischen Nachbarpopulationen zu ermöglichen und einer genetischen Isolation entgegenzuwirken, müssen die einzelnen Einstände über so genannte Trittstein-Biotope miteinander in Kontakt stehen.
Solche grossflächigen Lebensraumaufwertungen erfordern ein nationales Konzept mit regionalen Massnahmeplänen und einen gezielten Einsatz der vorhandenen Mittel zugunsten der Kerngebiete. In den übrigen potenziellen Lebensräumen des Auerhuhns müssen die Anforderungen der Art in der allgemeinen Forstpraxis berücksichtigt werden. Bund und Kantone haben die Möglichkeit, dem Prozess mit einer gezielten Lenkung von Förderungsmitteln die gewünschte Richtung zu geben.
Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) hat zusammen mit der Schweizerischen Vogelwarte einen Nationalen Aktionsplan zur Förderung des Auerhuhns ausgearbeitet. Engagement ist aber auch in den Regionen nötig. Diese sollten die Präsenz der attraktiven Waldhühner als Standortvorteil erkennen und die Nutzung der Gebirgswälder und der umliegenden Kulturlandschaft auch auf die Bedürfnisse der scheuen Wildtiere ausrichten.
Abb. 4 - Lebensraumelemente für das Auerhuhn - tiefastige Fichten werden gerne als Versteck benutzt. Die Heidelbeere bietet Nahrung vom Frühling bis in den Herbst und ist zugleich Lebensraum für viele Insekten, welche für die Küken in den ersten Lebenswochen die Hauptnahrung bilden.
Foto: Kurt Bollmann (WSL)
Abb. 5 - Trittsiegel und Kotspuren verraten den Biologen die Anwesenheit eines Auerhuhns in einem Gebiet, auch wenn sie den Vogel nicht direkt beobachten können.
Fotos: Kurt Bollmann (WSL)
Abb. 6 Trittsiegel Auerhuhn