Vergleicht man die Bedeutung verschiedener Gruppen von Organismen aus dem Blickwinkel der Biomasse oder der Artenvielfalt, zeigt sich eindrücklich die Dominanz der Bäume in Bezug auf die Biomasse, aber auf der anderen Seite auch die Dominanz der Insekten (und der Pilze) im Hinblick auf die Biodiversität.
Bestäuben von Pflanzen und Verbreitung der Samen
Rund 80 Prozent aller Bäume und Sträucher werden von Insekten bestäubt. Im Wald vermehren sich zwar viele Baumarten mit Hilfe von Windbestäubung, einige aber investieren viel Energie in grosse, mit Nektar lockende Blüten. Beispiele dafür sind Ahorn, Hartriegel, Weissdorn, Rosskastanie, Kirsche, Kreuzdorn, Weide, Vogelbeere und Linde. Die angelockten Bienen, Wespen, Fliegen, Käfer und Schmetterlinge saugen den Nektar und fressen vom Pollen. Sie übertragen den Pollen aber gleichzeitig auch auf andere Pflanzen und bestäuben so deren Blüten.
Viele Ameisen spielen eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Samen und Früchten von krautigen Pflanzen. Dies ist bei über 150 Pflanzenarten bekannt. Gewisse Pflanzen bilden spezielle Samenanhänge, die von den Ameisen gesammelt und gefressen werden. Die nicht gefressenen Samen keimen auf den Ameisenstrassen oder "Abfallplätzen". Die Pflanze profitiert zweifach: Einerseits können die Samen am windarmen Boden so grössere Distanzen überwinden, anderseits sind sie in der Nähe von Ameisenhaufen vor anderen Samenfressern besser geschützt.
Umsetzen von Nährstoffen
Blatt- und nadelfressende Insekten sind Regulatoren der Nährstoff- und Energieflüsse. Das von den Larven gefressene Pflanzenmaterial gelangt in Form von Kot der Tiere schon stark abgebaut auf den Boden. Diese Ausscheidungen werden sehr schnell von Mikroorganismen besiedelt und mineralisiert. Das führt zu einer schnelleren Verfügbarkeit der Nährstoffe für das Pflanzenwachstum.
Abbau des Holzes
In der natürlichen Dynamik eines Waldes sterben immer wieder Bäume ab. Die Gründe dafür können Alter, Blitzschlag, Sturm, Waldbrand, Trockenheit, Insektenbefall oder Krankheiten sein. Die in der Rinde und im Holz gespeicherten Nährstoffe und die Energie müssen dem Boden wieder verfügbar gemacht werden. Für Mikroorganismen ist der Abbau von Holz schwieriger als von Blättern oder Krautpflanzen. Die schwer zu besiedelnde Rinde schützt den darunter liegenden Holzkörper vor dem Abbau durch Pilze.
Frisch abgestorbenes Holz wird von einer Vielzahl von spezialisierten Pionierinsekten besiedelt. Sie bohren Löcher in die Rinde oder bis ins Holz und machen dieses Substrat für weitere holz und rindenfressende Insekten und für Pilze zugänglich. Auch ihr Genagsel und ihr Kot können viel besser durch Mikroorganismen abgebaut werden als das noch feste Holz. Der Abbau eines Stammes nur durch Mikroben allein würde doppelt so lange dauern wie mit Hilfe der Holzinsekten. Der Abbau eines toten Baumes lässt sich in verschiedene Phasen unterteilen.
In der ersten Phase besiedeln Pioniere den frisch abgestorbenen Baum. Diese primären Xylobionten sind Arten, die sich häufig baumartenspezifisch von der Rinde oder dem Splintholz ernähren. Dazu gehören vor allem verschiedene Käferfamilien wie die Borken-, Bock-, Prachtund Werftkäfer. Aber auch die Holzwespen gehören dazu. Da Holz eine ziemlich karge Nahrung darstellt, verläuft die Larvenentwicklung der Bockkäfer und Holzwespen häufig über mehrere Jahre. Einzelne Arten bringen gezielt Pilzsporen mit, um mit Hilfe des Pilzes das Holz einfacher verwerten zu können. Die Pioniere lösen die Rinde vom Holz und erschliessen mit ihrer Bohrtätigkeit das Substrat Holz für den weiteren Abbau. Diese Besiedlungsphase dauert normalerweise ein bis zwei Jahre.
Abb. 3 - Der Buchdrucker ist einer der wenigen Borkenkäfer, die unter günstigen Bedingungen auch auf lebende Bäume übergehen und diese zum Absterben bringen können. Foto: Beat Fecker (WSL)
In einer zweiten Phase beginnt sich das Holz zu zersetzen. Zweige und Äste fallen ab, und die Rinde löst sich vom Stamm. Das Insektenspektrum ändert sich. Wiederum sind es viele verschiedene Käfergruppen, die in dieser Zersetzungsphase dominieren: Nagekäfer ("Holzwürmer"), Hirschkäfer, Schwarzkäfer und Schnellkäfer. Aber auch viele Fliegen- und Mückenarten entwickeln sich in den Gängen und im Mulm. Wie schon in der Besiedlungsphase leben natürlich auch viele räuberische und parasitische Insekten im Holz und ernähren sich von den eigentlichen Holzfressern. Im Verlaufe dieses mehrere Jahre dauernden Zersetzungsprozesses spielen Bakterien und Pilze eine immer grössere Rolle.
In der letzten Phase, der Humifizierungsphase, zerfällt das Holz und geht langsam in Boden über. Nun leben Ameisen, Fliegenlarven, verschiedene Käfer, Milben und Springschwänze im Holzmulm. Die eigentlichen Bodenlebewesen (Würmer, Schnecken, Asseln, verschiedene Insekten) steigen in das Moderholz auf. Diese Fauna zerkleinert die Partikel und vergrössert damit die angreifbare Oberfläche für Mikroben, welche den eigentlichen Abbau von Zellulose, Hemizellulose, Lignin und Pektin vornehmen. Das Holz wird schliesslich zu Rohhumus und zu "Boden".
Abb. 4 - Der Nashornkäfer ist ein Mulmbewohner. In der Schweiz ist diese seltene Art geschützt. Foto: Beat Wermelinger (WSL)
Waldgesundheit
Verschiedene Insekten können geschwächte, aber noch lebende Bäume besiedeln und durch ihre Frasstätigkeit zum Absterben bringen. Bekannte Beispiele hierfür sind gewisse Borkenkäferarten. Dadurch werden altersschwache, kranke, unter Stress stehende Baumindividuen ausgemerzt, was zugleich den durchschnittlichen "Gesundheitszustand" des Waldes und seine Widerstandsfähigkeit fördert. Auch werden Kadaver und Kot von Waldtieren von spezialisierten Insekten wie Schmeiss- und Fleischfliegen oder Aaskäfern besiedelt und verwertet.
Abb. 5 - Die Larven der Goldfliegen entwickeln sich in Aas und sorgen mit vielen anderen Aasverwertern dafür, dass Kot und Kadaver schnell abgebaut werden. Foto: Beat Wermelinger (WSL)
Fressen und Gefressenwerden: Nahrungskette und Regulation
Die Insekten ihrerseits sind Nahrung für verschiedenste Tiergruppen. Bei den Vögeln sind die Spechte, Meisen, Grasmücken, Spatzen und der Kuckuck typische Insektenfresser. Weitere insektenfressende Wirbeltiere sind Mäuse, Spitzmäuse, Fledermäuse, Salamander, Frösche, Kröten und Eidechsen. Ausserdem leben natürlich auch viele Insekten selbst räuberisch oder parasitisch von anderen Insekten. Sie können bei der Regulation von Massenvermehrungen von Schadinsekten eine grosse Rolle spielen.
Schaffen von Lebensräumen
Das Abtöten einzelner Bäume und der Abbau des Holzes durch Insekten schaffen neue Lebensräume. Durch Insektenbefall abgestorbene Bäume bringen Licht in den Wald, so dass verschiedene Krautpflanzen und Pioniergehölze gedeihen können und wärmeliebende Offenlandarten von Insekten und anderen Tieren neue Brut-, Frass- und Lebensmöglichkeit finden. Das Schaffen von Totholz wie auch der Abbau des Holzes durch die Insekten erzeugen auch für andere Organismen neue Lebensräume.
Buch: Insekten im Wald
Der Insektenforscher Beat Wermelinger stellt in einem 2017 erschienenen Buch die Vielfalt, die Funktionen und die Bedeutung der Waldinsekten vor. Das mit 580 Fotos reich bebilderte Werk ist in leicht verständlicher Sprache geschrieben. Damit richtet es sich gleichermassen an Fachpersonen und interessierte Naturliebhaberinnen und -liebhaber.
(TR)