Borkenkäfer verändern Landschaften
Laut einer neuen Studie stellen Insekten die grösste Bedrohung der Wälder Europas dar, noch vor Stürmen und Feuer. Auch in den USA gelten Insekten und Pathogene als die wichtigsten Störungsfakoren. Während die Bilder von wütenden Waldbränden wie z. B. in Kalifornien regelmässig in den Medien zu sehen sind, finden Waldzerstörungen durch Insekten oder Krankheiten vergleichsweise wenig Beachtung, obwohl sie flächenmässig von wesentlich grösserer Bedeutung sein können. In den USA z. B. ist die jährlich von Insekten und Krankheiten befallene Waldfläche rund 45 Mal grösser als jene, die durch Brände zerstört wird, und der daraus abgeleitete ökonomische Schaden ist etwa fünf Mal so hoch.
Die beiden Sturmereignisse "Vivian" und "Lothar" hatten in der Schweiz zusammen rund 18,5 Mio m3 Holz geworfen, was rund dem 4-fachen einer normalen Jahresnutzung entspricht. Die nachfolgenden Massenvermehrungen des Buchdruckers (Ips typographus, Abb. 1) führten zu einem Befall von weiteren rund 10 Mio m3 Fichtenholz. Der Jahrhundertsommer 2003 liess die nach Lothar schon wieder abflauenden Borkenkäfer-Populationen nochmals drastisch ansteigen, was schätzungsweise weitere 2,5 Mio m3 Schadholz verursachte. Seitdem gab es in der Schweiz keine weiteren Grossereignisse mehr und die Borkenkäferschäden gingen stark zurück.
Diese Zahlen aus der Schweiz werden durch aktuelle Berichte über die Befallssituation in Nord-Amerika durch Borkenkäfer wie den Mountain Pine Beetle aufs Eindrücklichste bestätigt und in einen globalen Kontext gestellt: Allein in der kanadischen Provinz British Columbia wurden im Jahr 2006 auf einer Fläche von 9,2 Mio ha Föhrenwälder abgetötet. Die Regierung schätzt, dass bis 2013 rund 80% der hiebsreifen Föhren tot sein werden. Die besorgniserregende Epidemie hat die kanadische Regierung veranlasst, in den nächsten fünf Jahren 200 Mio Dollar in ein nationales Mountain Pine Beetle Program zu investieren.
Nehmen Borkenkäferepidemien zu?
Insektenbedingte Waldschäden haben in den vergangenen Jahrzehnten weltweit deutlich zugenommen. Die steigenden Temperaturen der vergangenen Jahrzehnte haben die Entwicklung der Borkenkäfer gefördert: je wärmer es ist, desto schneller entwickeln sich die Larven, desto mehr Eier produzieren die Weibchen und umso mehr Generationen bilden sich pro Jahr aus. Zudem dürfte die heiss-trockene Witterung vergangener Jahre, speziell der Hitzsommer 2003, die Wirtsbäume geschwächt und ihre Widerstandskraft gegenüber Schadinsekten reduziert haben.
Wenn dann noch, wie in der Schweiz, innerhalb von nur 10 Jahren zwei extreme Stürme wie "Vivian" und "Lothar" durchs Land ziehen und grosse Mengen von brutfähigen Stämmen in den Wäldern zurücklassen, dann ist der Startschuss für eine Massenvermehrung der Borkenkäfer gefallen (Abb. 2).
Abb. 2 - Ein Befall durch Borkenkäfer erfolgt fast immer fleckenweise. Die Befallsherde können sich ausweiten oder auch erlöschen. Foto: Beat Wermelinger (WSL)
Was bringt die Zukunft?
Der gegenwärtige und erwartete Klimawandel dürfte die Rahmenbedingungen der Waldentwicklung deutlich verändern. Die Prognosen sagen heissere und trockenere Sommer und warm-feuchte Winter sowie häufiger auftretende starke Stürme voraus. Bäume und Borkenkäfer dürften sehr unterschiedlich auf diese Veränderungen reagieren. Bäume sind nicht mobil, werden Jahrhunderte alt und brauchen oft Jahrzehnte, bis sie Samen produzieren. Kurzfristige Anpassungen an Umweltveränderungen, wie zum Beispiel Trockenheit, sind folglich nur beschränkt möglich.
Im Gegensatz dazu profitieren Borkenkäfer schnell von den wärmeren Bedingungen und können sich auf der Suche nach brutfähigen Wirtsbäumen fliegend fortbewegen (Abb. 3). Diese ungleiche Flexibilität im Umgang mit den prognostizierten Umweltveränderungen kann zu radikalen Verschiebungen der eingespielten Wechselwirkungen zwischen Borkenkäfern, ihren natürlichen Feinden und den Wirtsbäumen führen.
Abb. 3 - Nach dem Ausschlüpfen aus der Rinde fliegen die Käfer weg, um neue, befallstaugliche Wirtsbäume zu suchen. Foto: Beat Wermelinger (WSL)
Neben der rein temperaturbedingten Zunahme der Populationsdichten gibt es auch Anzeichen für ein sich veränderndes Zusammenspiel zwischen Schadinsekten und ihren Wirtsbäumen:
- Die Gebiete, in denen Massenvermehrungen von Insekten möglich sind, weiten sich weiter aus.
Beispiel: Beim Mountain Pine Beetle (Dendroctonus ponderosae) wird heute in den Rocky Mountains eine massive Verschiebung der Gunstgebiete nach Norden und Osten beobachtet. In der Sierra Nevada in Südspanien, breitet sich der Pinienprozessionsspinner (Thaumetopoea pityocampa), ein nadelfressender Schmetterling, zunehmend in höhere Lagen aus und bedrängt die Reliktvorkommen der Waldföhre (Pinus sylvestris). Im Extremfall könnte dies zu einem Verschwinden dieser Baumart führen, die in der Sierra Nevada die Waldgrenze bildet. - Unauffällige Arten können unvermittelt zu Schädlingen werden.
Beispiel:Im Wallis wird seit einigen Jahren vermehrt ein Befall durch den bisher unauffälligen Blauen Föhrenprachtkäfer (Phaenops cyanea) festgestellt. Im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten wird diese Art heute als verbreitet und aggressiv beurteilt. - Es kommt zu einer Erweiterung des Wirtsspektrums.
Bei Massenvermehrungen können Insekten auch Wirtsbaumarten befallen, die sie normalerweise kaum besiedeln.
Beispiele: Die fünfnadeligen Föhren gelten in Nordamerika als anfälliger gegenüber Borkenkäfern als die robusteren zweinadeligen Föhren. Dies scheint mit ein Grund dafür zu sein, wieso in den Rocky Mountains die fünfnadeligen Föhren tendenziell in höheren Lagen angesiedelt sind. Bis anhin waren sie in diesen Höhenlagen vor dem Mountain Pine Beetle sicher, da sich diese Borkenkäferart in kälteren Lagen nur schlecht halten konnte. Im Zuge der Klimaerwärmung behaupten sich diese Borkenkäfer nun auch in den höher gelegenen Refugien der fünfnadeligen Whitebark Pine (Pinus albicaulis) und können diese Föhrenart erfolgreich befallen. Die Folgen könnten für die Föhrenbestände fatal sein. In den kanadischen Rocky Mountains wird beobachtet, dass der Mountain Pine Beetle in die bisher nicht befallenen Gebiete mit Jack Pine (Pinus banksiana) vordringt und neu auch diese Föhrenart befällt, was zu einer ökologischen und ökonomischen Katastrophe führen könnte.
Auch der einheimische Buchdrucker kann im Zuge von Massenvermehrungen von der Fichte auf Föhrenarten übergehen, vor allem auf die Aufrechte Bergföhre (Pinus mugo ssp. uncinata, Abb. 4). Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Baumart ist zwar gering, doch der ökologische Schaden wäre erheblich, wenn diese seltene Baumart stark dezimiert würde. - Bestimmte Entwicklungsphasen der Wirtsbäume und der Insekten verschieben sich und verlaufen nicht mehr synchron.
Beispiele: Der streng periodische Befall des Lärchenwicklers (Zeiraphera diniana), eines Falters, der alle 7 bis 11 Jahre zu teilweisem bis vollständigem Kahlfrass an den Lärchen in inneralpinen Tälern führt, gilt als eines der stabilsten Beispiele eingespielter Wechselwirkungen zwischen Insekten und Wirtspflanzen. Die regelmässig auftretende Entnadelung, die für die letzten 1200 Jahre nachgewiesen werden konnte, trat in den letzten beiden Zyklen 1989 und 1998/1999 nur schwach in Erscheinung. Es scheint, dass wiederholt warme Wintertemperaturen die Reservestoffe in den Lärchenwicklereiern erschöpften oder die veränderten Temperaturverhältnisse die zeitliche Abstimmung von Austrieb der Lärche und Schlüpfen der jungen Eiräupchen störten.
Abb. 4 - Im Rorwald bei Giswil OW starben zahlreiche Aufrechte Bergföhren nach Buchdruckerbefall ab. Foto: Thomas Reich (WSL)
Spezielles Augenmerk muss auf neu auftretende, nicht einheimische Insekten gerichtet werden, die vor dem Hintergrund der zunehmenden Globalisierung des Welthandels vermehrt eingeschleppt werden. Über 100 nichteinheimische Insektenarten haben sich in den Wäldern Europas bisher etablieren können, die Mehrheit auf Laubbäumen. Das wärmere Klima erhöht die Überlebenschancen dieser exotischen Gäste.
Da diese eingeführten Organismen neue Elemente in unseren einheimischen Waldökosystemen sind, bestehen noch keine eingespielten Wechselbeziehungen zu den Wirtsbäumen und den natürlichen Feinden. Dadurch ist die Gefahr von Epidemien gross, aber kaum vorhersehbar. Allein im letzten Jahr wurden in der Schweiz fünf neue Insektenarten auf Gehölzen entdeckt, allerdings vorwiegend auf exotischen Pflanzen.
Konsequenzen für die Waldbewirtschaftung?
Aufgrund der zahlreichen weltweiten Erfahrungen, des bestehenden Systemwissens und der Klimaprognosen ist davon auszugehen, dass sich die Borkenkäfer-Epidemien mehren werden. In der Schweiz dürften in erster Linie die Nadelholzbestände der Tieflagen, aber auch die ausgedehnten Nadelwälder in den montanen und subalpinen Lagen des Jura, der Voralpen und Alpen betroffen sein. Beim Laubholz ist vor allem in Tieflagen vermehrt Kahlfrass durch Schmetterlingsraupen, wie z. B. Schwamm- und Prozessionsspinner oder Frostspanner, zu erwarten (Abb. 5). Aufgrund der sich verändernden Rahmenbedingungen und Wechselwirkungen sind die Folgen für die Walddynamik, die Produktion und Bewirtschaftung des Rohstoffes Holz und den Wald als Kohlenstoffsenke nur schwer abschätzbar.
Eine zuverlässige Abschätzung dieser Veränderungen ist für die Waldforschung der kommenden Jahre eine grosse Herausforderung und eine notwendige Grundlage für den nachhaltigen Umgang mit der Ressource Wald und ihrer Güter und Dienstleistungen.
(TR)