Jeder kennt ihn, den großen kastanienfarbenen Hirschkäfer. Nicht nur als größter seiner Art, auch durch sein imposantes "Geweih" – den bizarr vergrößerten Oberkiefer – ist er unverwechselbar. Findet man an einem lauen Juniabend einen solchen Käfer, bleibt er ob seiner archaisch anmutenden Erscheinung oft noch lange in Erinnerung.
Aber was wissen wir über ihn? Er gehört zur Familie der "Schröter" (Lucanidae), die mit vier Arten bei uns vorkommt. Es sind allesamt xylobionte, d. h. an Holz gebundene Arten. Im Allgemeinen wird der Hirschkäfer mit altem Eichwald assoziiert. Aber heißt das auch, dass der Käfer wie z. B. zahlreiche Bockkäferarten in alten Eichen bzw. im toten Holz alter oder absterbender Bäume vorkommt? Ja und nein, lautet die sybillinische Antwort! Tatsächlich entwickelt sich die Larve – ähnlich der des Maikäfers oder des Nashornkäfers – viele Jahre tief im Boden. Das erklärt auch seine engerlingartige Larvenform. Im Gegensatz zum Maikäfer frisst die Larve aber nicht an gesunden Wurzeln, sondern ernährt sich von und in morschem verpilztem und feuchtem Holzsubstrat. Der Nährwert des Holzes erschließt sich dabei wohl vor allem durch die Pilzhyphen und die Wiederverwertung der Kotballen (Koprophagie).
Nicht nur Eichen als Brutstätte
Da der Käfer bzw. die Larve ein hohes Wärmebedürfnis hat, bevorzugt er lichte bis offene, wärmebegünstigte Wälder. Das bringt in unseren Breiten eine gewisse Affinität an sonnige Kleinstandorte und den Eichenwald mit sich. Der Hirschkäfer ist dadurch an die Verjüngung der Eiche im Schirm- bzw. Kahlschlag gut angepasst, weshalb er als große, xylobionte Art auch in bewirtschafteten Wäldern sein Auskommen findet. Tatsächlich zeigen aber Untersuchungen, dass der Hirschkäfer zu den polyphagen Insekten gehört und die Eiche als Brutstätte nicht per se bevorzugt. Über 20 Holzarten sind bislang als Bruthabitat gelistet, darunter auch Nadelbäume und auffällig viele Offenland-Baumarten wie Kirsche, Birke, Weide, Pflaume und Apfel. Neu ist, und das ist ein Ergebnis der letztjährigen Hirschkäferkartierung der FVA im Zuge der NATURA-Managementplan-Erstellung, dass der Hirschkäfer auch Stubben von (amerikanischen) Roteichen als Brutstätte nutzt: Im Freiburger Mooswald wurden überraschenderweise die meisten Hirschkäfer in einem rund 50-jährigen Roteichenbestand gefunden. Also in einem Wald, der weder alt, noch licht ist. Folgeuntersuchungen haben die anfänglichen Zweifel, dass es sich hierbei tatsächlich um ein an Roteiche gebundenes Hirschkäfervorkommen handelt, rasch beseitigt. Der Hirschkäfer demonstriert damit eine hohe Anpassungsfähigkeit. Der Käfer nutzt in einer klimatisch begünstigten Umgebung (Oberrheinebene) die durch regelmäßige Durchforstungseingriffe kontinuierlich bereit gestellten zahlreichen Stubben als Brutsubstrat. Diese weisen bereits in jungem Alter ausreichende Dimensionen von ca. 40 cm Durchmesser auf. Nachdem die Roteiche einen recht breiten, sich rasch zersetzenden Splintholzbereich hat, können die Stubben bereits besiedelt werden, bevor die Zersetzung des Kernholzes beginnt. Da sich das vermulmte Holz zunächst auf den Splint beschränkt, könnte dies der Grund sein, warum die zahlreich gefundenen Käfer bzw. Käferteile insgesamt etwas kleinwüchsiger sind.
Insekt des Jahres 2012
Mit der Wahl des Hirschkäfers zum Insekt des Jahres 2012 wird die Aufmerksamkeit auf eines unserer bemerkenswertesten Insekten gelenkt. Wie kaum eine andere Art steht der Hirschkäfer für das verklärte, romantisierte Bild des "deutschen Waldes" und illustriert die Bedeutung des Waldes für den Artenschutz. Es ist daher ein lohnendes Unterfangen, sich die Erhaltung des Hirschkäfers auf seine Fahnen zu schreiben. Mit Hilfe seiner Anpassungsfähigkeit und vielleicht auch durch den Klimawandel begünstigt, sollte es gelingen, dass auch künftige Generationen beim Anblick des Hirschkäfers ins Staunen geraten.