Störungen sind zeitlich und räumlich diskrete Ereignisse, die zum Verlust von lebender Biomasse führen. Diese zum Beispiel durch Windwurf, Borkenkäfer, Waldbrand oder Dürre (Abb. 1) ausgelösten Pulse der Baummortalität sind ein natürlicher Teil der Walddynamik – solange es Wälder gibt, gibt es auch grossflächiges Absterben von Bäumen.
In den wenigen verbliebenen Urwäldern Mitteleuropas kann zum Beispiel mittels Jahrringanalyse nachgewiesen werden, dass es in vergangenen Jahrhunderten immer wieder Phasen von grosser Baummortalität gab. In Naturwäldern sind Störungen ein wichtiger Motor der Anpassung; nach Störungen können sich zum Beispiel neue Baumarten etablieren, die besser an die herrschenden Bedingungen angepasst sind.
Für die Waldbewirtschaftung entstehen durch Störungen jedoch grosse Herausforderungen, weil wichtige Ökosystemleistungen durch Störungen negativ beeinflusst werden; Störungen konterkarieren daher oft die Ziele der Waldbewirtschaftung. Sie reduzieren zum Beispiel das ökonomische Ergebnis der Holzproduktion drastisch und reduzieren auch die Kohlenstoffspeicherung von Wäldern. Speziell für Leistungen des Waldes, für welche die zeitliche Kontinuität der Leistungserfüllung eine wichtige Rolle spielt, wie zum Beispiel für den Schutz vor Naturgefahren, sind Störungen eine grosse. Häufige Störungen erhöhen zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit für Hochwasserereignisse in Wildbacheinzugsgebieten um das Dreifache.
Die Störungsregimes in Europas Wäldern haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. In Mitteleuropa hat sich die Störungsrate in nur drei Jahrzehnten mehr als verdoppelt, wobei gerade Störungen durch biotische Schadorganismen einen steilen Anstieg verzeichnen. Die durch die Dürre 2018–2020 ausgelöste Baummortalität war mit hoher Wahrscheinlichkeit die grösste Störungswelle in Europas Wäldern seit mindestens 170 Jahren (Abb. 2). Mit fortschreitendem Klimawandel wird sich diese Entwicklung auch in den kommenden Jahrzehnten fortsetzen. Dabei ist zu erwarten, dass Borkenkäfer auch im Gebirge Wind als wichtigsten Störfaktor ablösen werden und dass die Störungsraten weiter ansteigen werden.
Abb. 2: Übersterblichkeit in Europas Wäldern in den Jahren 2018–2020, relativ zum Mittelwert der Periode 1986–2015. Quelle: Senf und Seidl (2021). Creative-Commons-Lizenz CC BY 4.0.
Resilienz gegenüber Störungen
Mit zunehmenden Störungen gewinnt auch die Störungsresilienz des Waldes an Relevanz. Der Begriff Resilienz hat viele Bedeutungen und wird in der Literatur unterschiedlich verwendet. Vereinfacht ausgedrückt kann man Resilienz jedoch als die Eigenschaft eines Systems beschreiben, nach einer Störung wieder zu seinem Ausgangszustand zurückzukehren bzw. seine relevanten Funktionen wiederzuerlangen. So dauert es im Alpenraum im Schnitt 35 Jahre, bis sich Wälder in Hinblick auf ihre Struktur und ihren Kronenschlussgrad wieder von einer Störung erholt haben (Abb. 3).
Abb. 3: Erholung nach Störungen im Alpenraum. Die Abbildung vergleicht gestörte Wälder (ungebrochene Linien) mit ungestörten Wäldern (horizontale punktierte Linien) in Bezug auf deren Wahrscheinlichkeit, strukturell geschlossenen Wäldern zu entsprechen (Kronenschlussgrad > 75 % und Oberhöhe >10 m). Quelle: © Stritih et al. (2023). Creative-Commons-Lizenz CC BY 4.0.
Da Störungen in den Alpen jedoch in deutlich längeren Intervallen auftreten (zwischen ca. 150 und 500 Jahren), kann man von einer generell hohen Störungsresilienz sprechen. Es gibt jedoch eine beachtliche Variabilität zwischen verschiedenen Waldtypen. Submediterrane Wälder an der Alpensüdseite erholen sich zum Beispiel deutlich langsamer von Störungen, was auf eine geringe Resilienz hindeutet und ein Anzeichen eines tiefgreifenden Systemwechsels (z. B. hin zu offenen Wäldern) sein kann.
Auch wenn aktuell die Resilienz in Europas Wäldern hoch ist, so kann diese doch durch eine weitere Zunahme von Störungen sowie durch häufiger auftretende klimatische Extreme zunehmend unter Druck geraten. Grössere Störflächen und eine höhere Störungsstärke führen zum Beispiel dazu, dass die Distanz zum nächsten Samenbaum grösser wird, was die Erholung nach Störungen verlangsamt. Auch können zunehmende klimatische Extreme wie Dürren die Baumverjüngung nach Störungen beeinflussen. Die Reaktion von Wäldern auf Störungen ist daher ein wichtiger Gradmesser, um Veränderungen frühzeitig zu erkennen und sollte daher spezielle Aufmerksamkeit (z. B. in Monitoring-Programmen) erhalten.
Implikationen für die Waldbewirtschaftung
Was können wir für die Waldbewirtschaftung aus der aktuellen Forschung zu Störungen und Resilienz im Wald lernen? Im Folgenden werden drei Gedanken dazu skizziert, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.
1. Mit (mehr) Störungen leben lernen
Trotz aller Bemühungen der Waldbewirtschaftung, Störungen zu reduzieren und zu vermeiden, sind diese in Europas Wäldern in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen. Wir müssen uns also von dem Gedanken verabschieden, dass wir Störungen vermeiden können; nach der Störung ist vor der Störung, dies gilt besonders in Zeiten des rapiden Klimawandels und der sich häufenden Extremereignisse.
Daraus folgt, dass Massnahmen, die den Umgang mit Störungen erleichtern (z. B. Bereitstellung von ausreichend Saatgut und Pflanzmaterial) und ihre Auswirkungen auf wichtige Ökosystemleistungen abmildern (z. B. Lagerkapazitäten für Schadholz) speziell im Fokus stehen sollten. Klar ist dabei auch, dass der Umgang mit Störungen nicht auf Bestandes- oder Betriebsebene zu bewältigen ist, sondern Koordination und Abstimmung aller Akteure auf Landschaftsebene benötigt. Eine zentrale Erkenntnis aus 40 Jahren Forschung zur Störungsökologie ist, dass der räumliche Kontext eine bedeutende Rolle für Störung und Resilienz spielt – ein Faktor, der gerade in der Bewirtschaftung unserer kleinstrukturierten mitteleuropäischen Landschaften noch zu wenig Beachtung findet.
2. Die Resilienz in der Bewirtschaftung erhöhen
Durch gezielte Massnahmen kann die Waldbewirtschaftung die Resilienz von Wäldern erhöhen. Ein zentrales Element hierzu ist die Erhöhung der Vielfalt unserer Wälder, wobei im Kontext von Störungen v. a. die Reaktionsdiversität hervorzuheben ist. Ein Wald, der aus Bäumen mit verschiedenen Eigenschaften besteht, ist besser in der Lage, sich von unterschiedlichen Störungen wieder zu erholen und seine Funktionen nach einer Störung rasch wieder zu erfüllen.
Auch strukturelle Vielfalt (Abb. 4) kann zur Störungsresilienz beitragen, v. a. in Situationen, wo Störungen hauptsächlich die Oberschicht betreffen, wie das zum Beispiel bei Windwurf und Borkenkäfer der Fall ist. Vorhandene Vorverjüngung kann in diesen Fällen die durch Störung frei werdenden Ressourcen nutzen und die Erholungsphase nach Störungen deutlich verkürzen.
Wichtig bleibt jedoch, dass es keine allgemein gültigen Lösungen für die aktuellen Herausforderungen gibt und entsprechende waldbauliche Ansätze an die lokalen Gegebenheiten und Ziele in der Waldbewirtschaftung angepasst werden müssen. Dazu braucht es qualifizierte Fachleute vor Ort – forstliche Aus- und Weiterbildung sowie ausreichende Personalausstattung tragen somit auch zur Erhöhung der Resilienz unserer Wälder bei.
3. In der Krise auch eine Chance sehen
Störungen bieten auch Chancen für die Waldbewirtschaftung. Eine solche Chance ist die Steigerung der Artenvielfalt in unseren Wäldern, was wiederum einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der aktuellen Biodiversitätskrise leisten kann. Gestörte Wälder sind sehr arten- und strukturreich (Abb. 5) und beherbergen in etwa gleich viele Tier- und Pflanzenarten wie alte und strukturierte Wälder. Die aktuelle Welle an Störungen gibt uns also auch die Chance, einen sichtbaren und grossflächigen Beitrag zum Artenschutz zu leisten. Dieser Aspekt wurde bis jetzt in der Kommunikation über den Wald und seine aktuelle Krise von Politik und Interessensvertretungen noch zu wenig beleuchtet.
Eine weitere Chance liegt in dem grossen Potential für Veränderung, das gestörte Wälder mit sich bringen. Wir wissen seit Jahrzehnten, dass der Klimawandel uns zu einem teils radikalen Umdenken im Wald zwingt. Die aktuelle Welle an Störungen gibt uns nun die Chance, die notwendige Reorganisation von Wäldern mit grossen Schritten voranzubringen. Geänderte Klima- und Störungsregimes können zum Beispiel die Wiederherstellung von Ökosystemen beschleunigen und somit langfristig auch positiv auf die Erreichung unserer Ziele in der Waldbewirtschaftung wirken.
(TR)