Abb. 2 - Wurzelwerk einer umgestürzten Tanne
Foto: Marco Walser (WSL)
"Der Wald wirkt nach allen bis jetzt bekannten Untersuchungen ausserordentlich günstig auf die Milderung der Hochwassergefahr." Dieses Zitat stammt von Prof. Arnold Engler, der bereits seit 1903 die Hochwasserschutzwirkung des Waldes wissenschaftlich untersuchte und 1919 seine Ergebnisse veröffentlichte. Die Vermutung, dass Wald Hochwasser verhindern oder zumindest abschwächen kann, führte bereits im 19. Jahrhundert zu grossflächigen Aufforstungen und zum gesetzlichem Schutz des Waldes in der Schweiz (Forstpolizeigesetz 1876).
Im Verlaufe der letzten Jahrzehnte hat sich aber gezeigt, dass Wälder nicht automatisch vor Hochwasser schützen. Nach heutigem Wissensstand hängt der Beitrag zum Hochwasserschutz vom Waldzustand, also vom standortspezifischen Baumbestand und Bestandesaufbau (Arten- und Altersstruktur) sowie von den Bodeneigenschaften ab. Lüscher und Zürcher (2003) gehen davon aus, dass die Hochwasserschutzwirkung von Wald auf gehemmt durchlässigen, mittel- bis tiefgründigen Böden am höchsten ist. Von grosser Bedeutung sind dabei Baumwurzeln, die im Boden ein Hohlraumsystem bilden, das sehr viel Wasser aufnehmen kann (Lange et al. 2010).
Ein Projekt der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL und des Geographischen Instituts der Universität Bern untersuchte den Einfluss der Wurzeln auf das Wasserspeichervermögen von Böden in einem voralpinen Heidelbeer-Tannen-Fichten-Hochwasserschutzwald in der Umgebung des Gantrisch, rund 30 km südlich von Bern (Abb. 1). Durch den hohen Grund- bzw. Hangwasserstand sind die Böden in diesem Gebiet bei Regen rasch gesättigt. Deshalb ist die Frage nach der Hochwasserschutzwirkung dieser Wälder von besonderem Interesse.
Die Forscher führten Beregnungsexperimente und Wurzelmessungen durch. Intensive, kurze Beregnungen simulierten Starkniederschläge, die in dieser Intensität natürlicherweise nur rund alle 100 Jahre auftreten (Abb. 3). Da Hochwasser vor allem dann entstehen, wenn der Bodenwassergehalt bereits sehr hoch ist, wurde der Porenraum vor den Experimenten vorgesättigt, die Wasserspeicherung war somit auf grössere Poren beschränkt. Während der Beregnungsexperimente wurden in verschiedenen Bodentiefen Wassergehalte aufgezeichnet. Zum Schluss wurden Wurzelproben entnommen.
Bis zu 12,6 km Wurzeln pro Quadratmeter Oberboden
Abb. 3 - Versuchsaufbau mit Regensimulator und Sonden für die Wassergehaltsmessungen im Boden
Foto: WSL
Abb. 4 - Durchschnittliche Wurzellänge pro Bodenvolumen über die Bodentiefe
Abb. 4 - Durchschnittliche Wurzellänge pro Bodenvolumen über die Bodentiefe
In den obersten 10 cm des Bodens war die Wurzeldichte sehr hoch. Im Durchschnitt befanden sich Wurzeln mit der Gesamtlänge von 1,26 cm in einem Kubikzentimeter Boden. Das entspricht 12,6 km Wurzeln pro Kubikmeter Oberboden. Allerdings nahm die Wurzeldichte mit zunehmender Bodentiefe rasch ab und betrug bereits in 30 cm Tiefe nur noch rund 15% derjenigen zwischen 0–10 cm (Abb. 4).
Es ist bekannt, dass die Fichte teilweise wassergesättigte Bodenhorizonte kaum erschliessen kann und auf vernässten Böden sehr oberflächlich wurzelt. Der hohe Grund- bzw. Hangwasserstand in den Böden des Untersuchungsgebietes limitiert die Durchwurzelung der Fichte in tieferen Bodenschichten. Etwa 90% aller gefundenen Wurzeln waren feine Wurzeln mit einem Durchmesser von bis zu 2 mm. Die Feinwurzelsysteme der Fichte und Tanne erneuern sich im Durchschnitt etwa jedes Jahr und hinterlassen im Boden beim Absterben ein Hohlraumsystem, das als Wasserspeicherraum dient.
Aus den Wassergehaltsmessungen lässt sich berechnen, wie viel Wasser im Boden gespeichert werden kann. Der Verlauf der Speicherkapazität über die Bodentiefe ist vergleichbar mit demjenigen der Wurzeldichte: Mit zunehmender Bodentiefe nimmt die Wasserspeicherkapazität ab (Abb. 5). Etwa die Hälfte des Wassers wird bereits in den obersten 20 cm des Bodens gespeichert. Unterhalb von rund 50 cm Tiefe betrug die Wasserspeicherung unter 1 mm pro 10 cm Bodentiefe. Sie hat daher kaum Bedeutung für die Speicherleistung des Gesamtbodens. Der Bodenaufbau unterstützt diese Messdaten. Ab rund 25 cm Tiefe zeigten alle Böden Merkmale länger andauernder Wassersättigung (Vernässungsmerkmale wie Mangan- und Eisenkonkretionen, Abb. 6). Diese weisen darauf hin, dass der Unterboden bei hoher Bodenfeuchte zumeist wassergesättigt ist und kaum Wasser aufnehmen kann.
Mehr Wurzeln – grösserer Wasserspeicher
Abb. 6 - Typischer Boden im Untersuchungsgebiet. Die Rostflecken und die grauen, reduzierten Zonen zeugen von hohem Grund- bzw. Hangwasserstand.
Foto: WSL
Es ist bekannt, dass Wälder durch ihr Kronendach den Boden besser vor Niederschlägen abschirmen als Freiland. Ein Teil des Regens verdunstet direkt in der Krone und erreicht den Boden nicht (Interzeption). Der Waldboden ist daher vor Niederschlagsereignissen meist trockener und kann mehr Wasser aufnehmen als Wiesen und Ackerland. Die Interzeption verliert aber mit zunehmender Regenmenge an Bedeutung.
Die Wasserspeicherkapazität des Bodens hängt von zahlreichen Bodeneigenschaften ab. Nebst der Gesamtporosität gehören die Bodenart (Anteile Sand, Schluff und Ton) und die Durchwurzelungsdichte dazu. In diesem Projekt zeigte sich, dass die Wasserspeicherkapazität hauptsächlich durch Wurzeln bestimmt wurde, denn eine höhere Wurzeldichte vergrösserte die Wasserspeicherkapazität. Wurzeln sind offensichtlich in vernässten Böden der wichtigste Faktor bei der Bildung von Hohlräumen, die Niederschlagswasser aufnehmen und speichern können. Wälder schirmen den Boden also nicht nur durch das Kronendach vor Niederschlag ab, sondern erhöhen die Hochwasserschutzwirkung auch durch ein effizientes Porensystem im Boden, das durch Wurzeln entsteht.
Forstliches Potenzial im Hochwasserschutzwald
Waldbauliche Massnahmen können die Wurzeldichte in vernässten Böden erhöhen. Es stellt sich nun die Frage, welchen zusätzlichen Speichereffekt Massnahmen erreichen können. Eine Verdopplung der Wurzeldichte würde zu einer Erhöhung der Wasserspeicherfähigkeit um rund 80% führen. Also könnten in den obersten 80 cm des Bodens 21 mm Wasser zusätzlich gespeichert werden. Allerdings lässt sich die Wurzeldichte in der Praxis selten so stark erhöhen.
Das Potenzial, durch Wurzeln die Hochwasserschutzwirkung zu verbessern, ist dennoch beträchtlich. 30% mehr Wurzeln bedeuten 7 mm mehr Wasserspeichervermögen. Das entspricht immerhin rund 10% der Niederschlagsmenge eines einstündigen Unwetterereignisses, wie es nur rund alle 100 Jahre erwartet wird. Die Daten zeigen, dass der Wald einen wichtigen und oftmals unterschätzten Beitrag zum Hochwasserschutz leistet, auch wenn er keine Wunder bewirken kann.
Der ideale Hochwasserschutzwald
Die Durchwurzelung des Bodens im Hochwasserschutzwald sollte möglichst intensiv sein, um eine maximale Schutzwirkung zu bieten. Die höchste Wurzeldichte wird erreicht, wenn sich verschiedene Baumarten mit unterschiedlichen Wurzelsystemen konkurrieren und kleinflächig unterschiedliche Altersstufen gleichzeitig vorhanden sind.
Hochwasserschutzwälder befinden sich oft auf vernässten Böden. Deshalb sollen Baumarten gefördert werden, die zeitweise Wassersättigung im Wurzelraum ertragen. Von den häufigsten Baumarten in den Voralpen eignet sich dazu besonders die Tanne, die Fichte hingegen wurzelt auf solchen Standorten meistens nur flach. Gleichförmige Bestände sind für die Hochwasserschutzwirkung nicht ideal.
Die Hochwasserschutzwirkung ist zumeist hoch, wenn der Schutzwald folgende Anforderungen erfüllt:
- Einzelbaumweise Mischung unterschiedlicher Baumarten
- Mindestens eine Baumart soll fähig sein, in zeitweise wassergesättigten Bodenhorizonten zu wurzeln
- Verschiedene Altersstufen sollen gleichzeitig vorhanden sein
- Grössere Bestandeslücken sollen vermieden werden.
Diese Anforderungen entsprechen weitgehend denjenigen der Wegleitung "Nachhaltigkeit und Erfolgskontrolle im Schutzwald (NaiS)". Darin wird für einen Hochwasserschutzwald eine kleinflächig stufige Bestandesstruktur mit hohem Deckungsgrad und gleichmässiger Verteilung gefordert. Zudem sind für jeden Waldstandortstyp Anforderungen an die Artenmischung, das Gefüge, an Stabilitätsträger und die Verjüngung vorgegeben.
Auch wenn die Hochwasserschutzwirkung in gewissen Wäldern im Vordergrund steht, darf man nicht vergessen, dass Wälder immer mehrere Funktionen erfüllen müssen. Daher sollte mit waldbaulichen Eingriffen im Hochwasserschutzwald eine möglichst hohe Schutzfunktion unter Mitberücksichtigung von ökologischen und ökonomischen Anforderungen angestrebt werden.
Literatur
- Engler, A., 1919. Untersuchungen über den Einfluss des Waldes auf den Stand der Gewässer. Mitteilungen der Schweizerischen Zentralanstalt für das forstliche Versuchswesen Band 12.
- Frehner, M., Wasser, B., Schwitter, R., 2005. Nachhaltigkeit und Erfolgskontrolle im Schutzwald. BUWAL.
- Lange, B., Germann, P., Lüscher, P., 2010. Einfluss der Wurzeln auf das Wasserspeichervermögen hydromorpher Waldböden. Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen, 161: 510–516.
- Lüscher, P., Zürcher, K., 2003. Waldwirkung und Hochwasserschutz. Eine differenzierte Betrachtungsweise ist angesagt. Berichte aus der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft, 40: 30–33.