Für die Bemessung von Hochwasserabflüssen existieren viele Faustformeln und hydrologische Modelle. Während erstere zwar eine schnelle Abschätzung erlauben, sind sie jedoch wenig verlässlich. Die Mehrzahl der hydrologischen Modelle wiederum eignet sich meist nicht für den praktischen Einsatz in kleinen Einzugsgebieten. Zum einen fehlen oft Hard- und Software, zum anderen sind häufig die für die Modelläufe notwendigen Parameter nicht einfach zu bekommen oder mangels Messwerten können die Modelle nicht kalibriert werden.
Das Institut für Naturgefahren und Waldgrenzregionen des BFW entwickelt und testet unter dem Titel ZEMOKOST gemeinsam mit Praktikern der Wildbach- und Lawinenverbauung ein neues Modell zur Abschätzung von Hochwasserabflüssen in Wildbacheinzugsgebieten.
Faustformeln kontra hydrologische Modellierung
Das Excel-Programm ZEMOKOST ist als Bindeglied zwischen schneller Abschätzung mittels Faustformeln und Modellen gedacht. Anhand nachvollziehbarer, einfach zu erhebender Parameter werden die Hochwasserganglinien für die Bemessung berechnet und visualisiert.
ZEMOKOST ist ein modifiziertes Laufzeitverfahren. Die zugeführte Niederschlagsmenge erzeugt für definierte Teileinzugsgebiete Abflussganglinien, die anhand ihrer Fließzeiten (Laufzeiten) an der Oberfläche und im Gerinne berechnet werden können. Die abflusswirksame Regenmenge ergibt sich aus dem Produkt von Abflussbeiwert und gesamter Niederschlagsmenge. Mit gängigen Fließformeln (IZZARD-Formel für den Oberflächenabfluss, MANNING-STRICKLER für den Gerinneabfluss) werden die Laufzeiten berechnet.
Niederschlagsdaten als wichtige Einflussgrößen
Der Niederschlag ist die entscheidende Steuergröße für hydrologische Prozesse in Wildbacheinzugsgebieten. Niederschlagswerte sind jedoch Schätzwerte mit mehr oder weniger großen Messfehlern. ZEMOKOST kann sowohl mit ausgewerteten Niederschlagsregistrierungen als auch Modellrechnungen ("inadäquate Daten" nach LORENZ & SKODA) als Eingangsdaten arbeiten.
Trotz der seit einiger Zeit schwelenden Diskussion über die ungewohnt hohen Intensitäten von Starkniederschlägen (wie sie die "inadäquaten Daten" wiedergeben), wird ihre Verwendung für die Berechnung von Bemessungsabflüssen empfohlen. Einerseits steht dieser Datensatz für das gesamte Bundesgebiet zur Verfügung, andererseits belegt eine große Zahl von Fallbeispielen, dass die inadäquaten Daten nach LORENZ & SKODA besonders für betroffene Kleineinzugsgebiete hinsichtlich der Menge und Dauer (angenommene Wiederkehrzeit: 100 Jahre) im Bereich der rekonstruierten Niederschlagsangaben lagen.
Geländeanleitung zur Ermittlung von Abflussbeiwerten
Abflussbeiwertkarte (Legende nach dem Ampelprinzip): rote Flächen zeigen eine hohe Oberflächenabflussbereitschaft, dunkelgrüne eine geringe an
Seit drei Jahrzehnten werden am Institut für Naturgefahren und Waldgrenzregionen des BFW und am Bayerischen Landesamt für Wasserwirtschaft in München Starkregensimulationen und begleitende Untersuchungen (wie Boden und Vegetation) durchgeführt, um damit das Abflussverhalten in Wildbacheinzugsgebieten zu charakterisieren. Die Ergebnisse von 700 Einzelberegnungen wurden in einer Datenbank zusammengeführt. Ein erstes Produkt ist die "Geländeanleitung zur Abschätzung des Oberflächenabflussbeiwertes bei konvektiven Starkregen" (BFW-Dokumentation Nr. 3 – 2004). Mit Hilfe dieses Manuals erstellt der Praktiker Abflussbeiwertkarten zur Berechnung von Abflussspitze und -fracht beim Bemessungsereignis in Wildbacheinzugsgebieten. Zusätzlich enthält sie auch einen Ansatz zur Anschätzung der für die Ermittlung der Fließzeiten notwendigen Rauigkeit der Oberfläche.
Höchsthochwasser als Bemessungsereignis
ZEMOKOST ermittelt für eine gewählte Jährlichkeit die jeweils kritischen Dauerstufen und die dazugehörigen Abflussspitzen selbstständig, indem im Half-split-Verfahren Dauerstufen zwischen fünf Minuten und 24 Stunden durchgerechnet, die jeweiligen Abflussspitzen herausgeschrieben und gegenübergestellt werden. In einem abschließenden Rechengang wird jene Dauerstufe, die das Höchsthochwasser erzeugt hat, errechnet und graphisch dargestellt.
Innerhalb der Teileinzugsgebiete können die Auswirkungen von Speicher- oder Retentionswerken berücksichtigt, am Pegel selbst kann der Staubedarf einer gewählten Durchlassmenge kalkuliert werden. Zu den Stärken des Programms zählt weiters die Möglichkeit zur Simulation unterschiedlicher Szenarien (zum Beispiel: Wie wirkt sich eine Änderung der Landnutzung aus?).
Programm auf Anfrage erhältlich
Immer mehr Wildbach- und Lawinenverbauer verwenden ZEMOKOST für ihre Einzugsgebietsberechnungen. Das Programm ist auf Anfrage erhältlich, das BFW bietet dazu Schulungen und Anwender-Workshops an.
In einer nächsten Version des Modells wird angestrebt, die MANNING-STRICKLER-Formel für den Gerinneabfluss durch einen im alpinen Raum praxistauglicheren und moderneren Ansatz zu ersetzen (z.B. ABERLE, RICKENMANN oder RUF).