Wie jede andere Massnahme zum Schutz vor Naturgefahren kann der Wald eine gewisse Schutzleistung erbringen. Diese Leistung ist aber nicht unbegrenzt, weshalb auch das Verhalten im Überlastfall zu betrachten ist. Es ist das Ziel dieses Beitrags, Leistungsprofile des Waldes und das Verhalten im Überlastfall sowohl für die Beeinflussung der Abflussbildung als auch für die Bodenstabilisierung zu erläutern.

Wald dämpft Abflussspitzen bei Hochwasser

Seit über 110 Jahren bildet die Wirkung des Waldes auf Hochwasser einen Forschungsgegenstand der Hydrologie und der Forstwissenschaften. Am 8. April 1903 begann die damalige "Centralanstalt für das forstliche Versuchswesen" (Vorgängerinstitution der heutigen Forschungsanstalt WSL) mit kontinuierlichen Messungen in zwei Einzugsgebieten im schweizerischen Emmental: einerseits im praktisch vollständig bewaldeten Sperbelgraben und andererseits im damals nur zu ca. einem Drittel bewaldeten Rappengraben.

ENGLER (1919) zeigte mit diesen Untersuchungen, dass die Abflussspitzen im vollständig bewaldeten Einzugsgebiet bei Gewitterniederschlägen um 30, teilweise sogar um 50 Prozent geringer sind als diejenigen im wenig bewaldeten Gebiet. ENGLER beschreibt auch, dass die Differenz der beiden Gebiete mit zunehmendem Niederschlag abnimmt, bis schliesslich kein Unterschied mehr festzustellen ist.

Keinen entsprechenden Zusammenhang konnten BURCH et al. (1996) anhand ihrer Arbeiten in drei unterschiedlich bewaldeten Einzugsgebieten im Alptal (SZ) feststellen. In diesem Flyschgebiet wurde sowohl bei kurzen als auch bei lang anhaltenden Niederschlägen kein Einfluss des Waldes auf die Abflussspitzen festgestellt. Die Ergebnisse dieser Projekte sowie neuere Arbeiten bildeten die Grundlage für die nachfolgend kurz erläuterte schematische Darstellung der Waldwirkung auf Hochwasser.

Unterschiedliche Bodentypen wirken sich unterschiedlich aus

Der Wald beeinflusst die Abflussbildung bei einem Niederschlagsereignis vor allem wegen der zusätzlichen Speicherung von Wasser im Boden. Grundsätzlich ähnlich, allerdings in viel kleinerem Ausmass, wirkt die Interzeption. Je mehr Wasser zurückgehalten wird, umso kleiner ist der Abfluss.

Waldböden weisen in der Regel bei einem einsetzenden Niederschlagsereignis eine grössere Wasseraufnahmefähigkeit auf als Freilandböden, einerseits weil sie meist eine höhere Infiltrations- und Speicherkapazität besitzen (organische Auflage, generell besserer, natürlich gelagerter Bodenaufbau, weniger Verdichtung), andererseits weil die Waldvegetation mehr Wasser verdunstet. Die tief reichenden Wurzeln entziehen dabei den Böden rascher und bis in grössere Tiefen Wasser. Je nach Untergrund, auf dem sich ein Boden entwickelt, übt der Wald eine mehr oder weniger starke Wirkung auf die Speicherkapazität aus.

Flachgründige Böden auf undurchlässigem Untergrund (wie z. B. Gleyböden auf Flysch im Alptal) weisen generell kleine Speicherkapazitäten auf. Unter Wald kann sich die Speicherkapazität dieser Böden erhöhen. Allerdings bleibt sie auch unter einem optimalen Bestand relativ gering. Entsprechend ist der Wasserrückhalt bei einem Niederschlag, der gross genug ist, ein schadenbringendes Hochwasser auszulösen, nicht in der Lage, den Abfluss massgeblich zu reduzieren (Abb. 2).

Ganz anders präsentiert sich die Situation bei Böden mit hoher Speicherkapazität auf durchlässigem Untergrund, wie z.B. Braunerden auf Molassesandstein oder -nagelfluh im Emmental. Diese Böden weisen, wie in Abbildung 3 dargestellt, auch ohne Wald eine sehr hohe Speicherkapazität auf. Zudem ist deren Untergrund oft so durchlässig, dass grosse Teile des Wassers rasch in die Tiefe versickern, bevor der Boden gesättigt wird. Unter derartigen Bedingungen entscheiden die Verhältnisse im Untergrund darüber, wie rasch wie viel Wasser abfliesst, sofern die Infiltrationskapazität des Bodens hoch genug ist.

Waldwirkung vor allem bei mittlerer Speicherkapazität und gehemmter Durchlässigkeit

Somit ist sowohl bei gut durchlässigen als auch bei praktisch undurchlässigen Böden die Wirkung des Waldes auf die Abflussbildung bei Hochwasser gering. Auf Böden mit mittlerer Speicherkapazität und gehemmter Durchlässigkeit dagegen kann der Wald durchaus eine gewisse Wirkung auf Hochwasser entfalten (Abb. 4).

Dies ist z. B. bei einem Stauwasserboden (Pseudogley) der Fall. Dort kann eine Erhöhung der Speicherkapazität zu einer massgeblichen Verzögerung und Reduktion der Abflüsse beitragen. Weiter sind Baumwurzeln in der Lage, Horizonte mit reduzierter Durchlässigkeit zu durchstossen. Damit ermöglichen sie, dass grössere Wassermengen in die Tiefe versickern. Auf Grund des heutigen Kenntnisstandes ist davon auszugehen, dass der Wald vor allem bei gehemmt durchlässigen Horizonten in einer Tiefe zwischen 30 und 50 cm eine massgebliche Wirkung auf die Hochwasserentstehung entfalten kann.

Der Wald ist somit unter bestimmten Bedingungen in der Lage, eine Schutzfunktion gegenüber Hochwasser wahrzunehmen, weil er die Abflussbildung beeinflusst. Ob der Wald auf einem bestimmten Standort eine Wirkung entfalten kann oder nicht, lässt sich auf Grund einer Beurteilung der Bodeneigenschaften bestimmen.

Leistungsprofil des Waldeinflusses auf die Hochwasserabflussbildung

Die Wirkung einer Massnahme bei einer bestimmten Belastung (z. B. durch einen Starkregen) kann aus dem Vergleich der Reaktion (hier dem resultierenden Abfluss) mit und ohne Massnahme bestimmt werden. Analysiert man die Wirkung von Massnahmen für unterschiedliche Belastungen, kann ein Leistungsprofil erstellt werden. Ein vollständiges Leistungsprofil bildet dabei auch den Überlastfall ab. Bei technischen Schutzmassnahmen wird der Überlastfall als ein Szenario definiert, das das Dimensionierungsszenario deutlich übertrifft. Für natürliche Massnahmen, wie sie hier diskutiert werden, können in Analogie Szenarien herangezogen werden, bei denen keine massgebliche Schutzwirkung mehr zu erwarten ist.

In Abbildung 5 ist schematisch das Leistungsprofil dargestellt, wie es ein Wald auf einem Boden mit mässiger Speicherkapazität und gehemmter Durchlässigkeit aufweist. Die gestrichelte, gerade Linie stellt als Vergleich die Situation ohne Massnahme dar. Die durchgehende Kurve verdeutlicht schematisch die Situation, wie sich die Speicherkapazität des Waldes auf das Ausmass eines Ereignisses auswirkt.

So lange der Waldboden Speicherkapazität aufweist, bleibt das Ausmass eines Ereignisses deutlich unter jenem an einem vergleichbaren Standort ohne die zusätzliche Speicherkapazität des Waldbodens. Ist der Boden aber gesättigt, beginnt sich die Kurve mit weiter zunehmendem Ereignisausmass immer mehr der Situation ohne Massnahmen anzunähern. Das Ausmass des Ereignisses und damit der verursachte Schaden steigt aber auch in diesem Überlastfall nie über jenes Ausmass an, das ohne Wald zu erwarten wäre. Wald weist deshalb in dieser Situation im Überlastfall ein "gutmütiges" Verhalten auf.

Leistungsprofil der stabilisierenden Wirkung des Waldes

In Abbildung 6 ist das schematische Leistungsprofil für die stabilisierende Wirkung des Waldes dargestellt. Im Gegensatz zur Wirkung auf die Hochwasserabflussbildung sind hier nur wenige Einschränkungen im Hinblick auf die standörtlichen Bedingungen nötig, da der Wald mit Ausnahme ausserordentlich steiler Hänge fast überall eine gewisse Stabilisierung gegen Erosion und flachgründige Rutschungen entfaltet.

Die Reaktion an einem vom Wald stabilisierten Standort ist so lange deutlich geringer als an einem unbewaldeten Standort, wie diese Wirkung erhalten bleibt. Findet jedoch auf einem Hang trotz Wald eine Rutschung statt bzw. werden die Ufer eines Gewässers erodiert, fallen neben Boden und Gestein auch die dort stockenden Bäume dem Abtrag zum Opfer. Die Reaktion auf eine Belastung über der stabilisierenden Wirkung der Bäume ist deshalb grösser als die Reaktion, wenn ein Standort ohne Wald der gleichen Belastung ausgesetzt wird. Der Wald weist deshalb in diesem Zusammenhang ein "wenig gutmütiges" Verhalten auf. Es kann sich ins besondere dann negativ auswirken, wenn das Schwemmholz weiter unten einen Gerinnequerschnitt verlegt.

Schlussbemerkungen

Bei aller Bedeutung des Waldes als Schutzwald vor Naturgefahren ist zu beachten, dass der Wald noch zahlreiche weitere Funktionen wahrnimmt und auch vor anderen Naturgefahren schützt. Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, für jeden Standort zu beurteilen, welche Funktionen ein Wald wahrzunehmen hat und daraus angemessene Pflegemassnahmen abzuleiten.