Wälder sind der bedeutendste Lebensraum epiphytischer, d.h. auf Borke (umgangssprachlich: Rinde) von Pflanzen lebenden Flechten. Die verschiedenen Waldtypen beherbergen dabei ganz unterschiedliche Flechtenvegetationen. Vor allem die subalpinen Fichtenwälder oder die Lärchen-Arvenwälder der Zentralalpen sind ausserordentlich flechtenreich. Nicht nur die Biomasse sondern auch die Artenvielfalt der Flechten kann in einem solchen Wald ausserordentlich gross sein: 30 verschiedene Arten an einem einzigen Baumstamm sind keine Seltenheit!

Die meisten epiphytischen Flechtenarten kommen nicht auf allen Baum- und Straucharten vor, sondern zeigen deutliche Vorlieben. Manche Flechten bevorzugen beispielsweise saure, nährstoffarme Rinden und sind daher überwiegend an Nadelbäumen zu finden, andere wiederum sind auf neutrale Borke, z.B. Esche, spezialisiert.

SwissLichens

Wissenschafter der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL haben einen Verbreitungsatlas aller Flechten der Schweiz entwickelt. Darunter befinden sich 557 Arten, die auf lebenden Bäumen oder Sträuchern gefunden werden können. Interessierte erhalten bei SwissLichens Informationen zu den folgenden Fragen:

  • Wie heisst die Flechte?
  • Wo wurde sie gefunden?
  • Ist sie auf der Roten Liste der Schweiz?
  • Ist sie in der Schweiz geschützt?
  • Wie oft wurde sie gefunden?
  • Wie hoch liegt der tiefste / höchste Fundort in der Schweiz?
  • Ist sie selten in der Schweiz?
  • In welcher Höhenstufe kommt sie vor?
  • Auf welchem Baum oder Strauch wächst sie (am häufigsten)?

Ein Leben in Symbiose

Flechten sind Pilze, die in enger Gemeinschaft mit Grünalgen oder Cyanobakterien (Blaualgen) leben. Eine solche Lebensgemeinschaft verschiedener Organismen nennt man Symbiose. Die Doppelnatur der Flechten ist äusserlich nicht erkennbar; sie offenbart sich erst bei Betrachtung unter dem Mikroskop.

Die Symbiose bietet beiden beteiligten Partnern erhebliche Vorteile. Die Algen und Cyanobakterien (Photobionten) sind in der Lage, Photosynthese zu betreiben, und versorgen auf diese Weise sich und den Pilzpartner (Mycobiont) mit den für die Ernährung notwendigen Kohlehydraten. Der Pilz seinerseits bietet durch Umhüllung der Alge Schutz vor intensiver Sonnenstrahlung, vor algenfressenden Tieren und versorgt sie zudem mit mineralischen Nährstoffen und Wasser. Alle Photobionten können auch ohne ihren Pilzpartner leben, dieser jedoch nicht ohne Photobionten

Je nach Wuchsform unterscheidet man Strauch-, Bart-, Blatt- und Krustenflechten. Flechten besiedeln eine Fülle von verschiedenen Substraten wie Baumrinde, Gestein, Erdboden, Holz, Moos, immergrüne Blätter, aber auch anthropogene Substrate wie bearbeitetes Holz, Mauern oder sogar Denkmäler.

Besonders flechtenreiche Wälder sind: 

  • Natürliche und naturnahe Wälder jeder Art mit alten und sehr alten Bäumen, vorausgesetzt, die Bestände liegen in luftreinen bzw. nur mässig mit Schadstoffen belasteten Gebieten
  • Alte hainartige Baumbestände, wie alte herrschaftliche Jagdreviere, Parkanlagen, extensiven Viehweiden, Obstgärten oder Selven, vorausgesetzt, die Bäume werden nicht gespritzt oder durch Düngung stark beeinflusst
  • Eichen- und hainbuchenreiche, lichte Mittelwälder oder aus Niederwäldern hervorgegangene Eichenbestände

Textquelle

Scheidegger, C.; Clerc, P.; Dietrich, M.; Frei, M.; Groner, U.; Keller, C.; Roth, I.; Stofer, S.; Vust, M., 2002: Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Baum- und erdbewohnende Flechten. - Bern, Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft BUWAL; Birmensdorf, Eidgenössische Forschungsanstalt WSL; Conservatoire et Jardin botaniques de la Ville de Genève CJBG. 124 S.