Die Lungenflechte (Lobaria pulmonaria) gilt traditionell als Heilmittel gegen Husten. Sie wächst in regenreichen Wäldern auf der Rinde alter Laubbäume, insbesondere auf Bergahorn und Rotbuche. Aus den intensiv genutzten Wäldern des Mittellands ist sie wie zahlreiche andere Flechtenarten praktisch verschwunden, denn die Bäume werden hier meist so früh gefällt, dass sich die Flechten nicht optimal auf ihnen ausbreiten können. Anzutreffen ist die Art hier zu Lande nur noch in den Voralpen und im Jura, doch wenn in einem Wald nur wenige Trägerbäume stehen, kann sie sich auch in diesen Lagen heute kaum mehr verbreiten.

Als gefährdete Art ist die Lungenflechte in der Schweiz strikt geschützt. Jetzt steht zur Diskussion, sie zurückhaltend zu nutzen – und damit gleichzeitig zu fördern. Im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) klärt Christoph Scheidegger von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) ab, wie sich dies bewerkstelligen liesse. Der Flechtenspezialist sieht gute Chancen für einen Erfolg. Aus Versuchen weiss er, wie die Regeneration der Flechte gelingt: Beim Sammeln darf nicht wie bei der traditionellen Ernte das ganze Individuum entfernt werden. Das obere Randgewebe muss am Stamm bleiben. Aus diesem etwa 20 Prozent umfassenden Teil kann sich die Lungenflechte regenerieren.

Flechten sind spezielle Organismen: Sie bestehen aus Pilzen und Algen. Die Pilzfäden bilden mit den Algenzellen eine Lebensgemeinschaft. Zum Leben braucht dieses "Team" nur Licht und Feuchtigkeit. Trotzdem ist in der Schweiz mehr als ein Drittel der Flechten gefährdet.

==> Rote Liste der Flechten

Flechten auf neue Trägerbäume verpflanzen

Nutzer können ausserdem für die weitere Verbreitung sorgen, indem sie spezielle Fragmente aus dem unteren Rand des Ernteguts an geeignete Baumstämme verpflanzen. Nach 5 bis 30 Jahren sind die Lungenflechten wieder so weit gereift, dass eine erneute Ernte möglich ist.

Mit grossem Arbeitseinsatz und viel Geduld lässt sich so die Zahl der Trägerbäume und damit die Flechtenpopulation vergrössern. Als Nebenprodukt einer kommerziellen Nutzung könnte ein solch aufwändiger Artenschutz unter Mitwirkung der Forstdienste gelingen. Die Bewilligung zum Sammeln müsste entsprechende Auflagen enthalten.

Damit der Segen nicht versiegt

Interesse an einer Sammelbewilligung hat die Weleda AG in Arlesheim, die einen Hustensirup herstellt und dafür pro Jahr etwa hundert Kilogramm Lungenflechte braucht. "Die Flechte zu beschaffen ist zunehmend schwierig und langfristig nicht gesichert", erklärt der Leiter der Pflanzenbeschaffung der Firma, Andreas Ellenberger. Er hat deshalb angeregt, das Sammeln, verbunden mit Fördermassnahmen, in der Schweiz zu ermöglichen.

Ellenberger liegt daran, den Nutzen mit dem Artenschutz zu verbinden, um die Angebote der Natur langfristig zu erhalten. Der Hersteller von Arznei- und Pflegemitteln bezieht die Lungenflechte zurzeit aus Frankreich und Kanada, wo sie nicht geschützt ist. Die schweizerischen Bestände dürften den Bedarf der Firma nicht decken, so dass auch weiterhin Importe nötig wären. Diese sollten dem gleichen Sammelregime unterstehen, um eine durchwegs nachhaltige Beschaffung sicherzustellen.

Lebensräume erhalten

Flechten sind symbiotisch lebende Pilz-Algen-Geflechte. In der Schweiz befinden sie sich mehrheitlich auf dem Rückzug. Das dokumentiert die 2002 erschienene erste Rote Liste der Flechten, an der WSL-Biologe Scheidegger massgeblich beteiligt war. 44 Prozent der 520 erfassten Baumflechten sind gefährdet. 22 Arten sind in keiner Region der Schweiz mehr zu finden.

Die ausgesprochen langsam wachsenden Organismen kommen vor allem mit der Veränderung ihres Lebensraums nicht zurecht. Viele gefährdete Baumflechten brauchen lichte, naturnahe Wälder mit starken Altholzbeständen. "Artenschutz bedeutet deshalb auch bei Flechten primär Schutz der Lebensräume2, betont Christoph Scheidegger. Seltene Baumflechten helfen so, reich strukturierte Wälder mit interessanter Flora und Fauna zu erhalten.

 

(TR)