Habitatbäume und Baummikrohabitate werden zunehmend wichtiger bei der Förderung der Biodiversität und der Erforschung ökologischer Zusammenhänge in unseren Wäldern. Deshalb erarbeiteten Experten aus Europa eine Typologie sowie einen Katalog der Baummikrohabitate (Kraus et al. 2016, Larrieu et al. 2018). Diese Grundlagen ermöglichen eine einheitliche Aufnahmemethodik der Habitatbäume und Baummikrohabitate in Wäldern der gemässigten Klimazone.

Taschenführer der Baummikrohabitate

Im Taschenführer der Baummikrohabitate (2020) sind 47 Baummikrohabitate  der gemässigten Klimazone systematisch beschrieben. Basierend darauf ist seit 2024 ein Taschenführer zu Baummikrohabitaten der nördlicheren Vegetationszonen (vorerst in Englisch) verfügbar.

Habitatbaum – Baummikrohabitat

Ein Habitatbaum ist ein Baum, der mindestens ein Baummikrohabitat trägt (Abb. 2). Baummikrohabitate sind klar abgegrenzte Habitatstrukturen, die von teilweise hochspezialisierten Arten oder Artengemeinschaften während zumindest eines Teils ihres Lebenszyklus genutzt werden. Sie sind wichtige Zufluchts-, Brut-, Überwinterungs- oder Nahrungsstätten für Tausende von Arten.

Entstehung der Baummikrohabitate

Baummikrohabitate können durch unterschiedliche biotische oder abiotische Ereignisse entstehen: Zum Beispiel kann ein Stein­schlag eine Stamm­verletzung verursachen, ein Blitz kann einen Riss erzeugen oder ein Specht meisselt eine Höhle. Für einige Baum­mikro­habitate wie beispielsweise ein Nest oder Epiphyten­bewuchs dient der Baum nur als Stütze. Als Baum­mikro­habitate gelten nur Habitat­strukturen, für die ein direkter Zusammen­hang mit assoziierten Arten bekannt ist.

Baummikrohabitate bieten besondere mikroklimatische Lebens- und Umwelt­bedingungen, die stark von ihrer Ausformung und ihren Eigenschaften abhängen, wie zum Beispiel ihrer Grösse, Form, der Lage im Baum, dem Grad der Holz­zersetzung und der Besonnung, oder ob sie auf einem lebenden oder toten Baum vorkommen. Viele Arten oder Arten­gemein­schaften kommen lediglich auf bestimmten Baum­mikro­habitaten vor. Je grösser daher die Vielfalt an Baum­mikro­habitaten innerhalb eines Baum­bestandes ist, desto mehr verschiedene Arten können darin einen geeigneten Lebensraum finden. Und je zahlreicher Baum­mikro­habitate vorkommen, desto leichter gelingt diesen Arten die Besiedlung neuer Habitate, da diese nur von begrenzter Lebensdauer sind und in entsprechender Reichweite liegen müssen. 

Formen der Baummikrohabitate

1. Höhlen: Löcher, Vertiefungen oder geschützte Stellen im Holzkörper, feucht oder trocken, mit oder ohne Mulm, auf dem Stamm, in der Krone oder am Stammfuss gelegen.

  • Spechthöhle: von einem Specht gemeisselte Bruthöhle
  • Mulmhöhle: Höhle mit Mulm (Mischung aus sich zersetzendem Holz und tierischen Exkrementen und organischen Resten) 
  • Insektengänge und Bohrlöcher: von saproxylischen Insekten gegrabene Brutgänge und Ausschlupflöcher
  • Vertiefungen und Stammfusshöhlen: nicht durch Insekten geschaffene Höhlungen oder Mulden im Holzkörper, feucht oder trocken, ohne Mulm 

2. Stammverletzungen und freiliegendes Holz: Splintholz oder Kernholz freiliegend aufgrund von Streif- oder Bruchverletzungen mit Rindenverlust. 

  • Freiliegendes Splintholz: Splintholz sichtbar aufgrund von Rindenverlust
  • Freiliegendes Splint- und Kernholz: Splint- und Kernholz sichtbar aufgrund einer Zersplitterung des Holzes 

3. Kronentotholz: Abgestorbene Äste in der Baumkrone.

4. Wucherungen: Auswüchse verursacht durch eine Reaktion des Baumes auf plötzlich erhöhte Lichteinwirkung oder einen Angriff von Bakterien, Pilzen oder Viren. 

  • Hexenbesen und Wasserreiser: Auswüchse in Form von Ansammlungen aus kleinen Zweigen
  • Maserknollen und Krebse: Starke Gewebswucherungen mit rauer Rindenoberfläche und Rindenschäden 

5. Feste und schleimige Pilzfruchtkörper: Fruchtkörper von holzabbauenden Pilzen oder Schleimpilze, die mindestens einige Wochen bestehen bleiben. 

  • Mehrjährige Pilzfruchtkörper: Fruchtkörper von Holzpilzen mit mehrjährigem Wachstum
  • Kurzlebige Pilzfruchtkörper und Schleimpilze: Fruchtkörper von einjährigen holzabbauenden Pilzen oder Plasmoden von Schleimpilzen 

6. Epiphytische, epixylische und parasitische Strukturen: Strukturen oder lebende Organismen, für die der Baum hauptsächlich als Stütze dient. 

  • Pflanzen und Flechten, epiphytisch oder parasitisch: Gefässpflanzen, Moose oder Flechten, für die der Baum hauptsächlich als Stütze dient
  • Nest: Nest von Wirbeltieren (mit Ausnahme von Spechthöhlen) oder Wirbellosen, auf einem Teil des Baumes platziert oder in einem Hohlraum geschützt
  • Mikroboden: kleines Volumen eines jungen Bodens, der durch die Humifizierung der zersetzenden organischen Substanz aus Zweigen, Blättern, Rinde oder Moos entstanden ist 

7. Ausflüsse: aktive Saft- oder Harzflüsse.

Taschenführer der Baummikrohabitate

Das Europäische Forstinstitut (EFI) entwickelte mit Fachleuten aus West- und Mitteleuropa einen Katalog von Baummikrohabitaten (Larrieu et al. 2018). Die hierarchische Typologie der Baummikrohabitate umfasst drei Ebenen: 7 Formen, 15 Gruppen und 47 Typen. ür die schnelle Auswahl von Habitatbäumen bei der Holzanzeichnung mögen die sieben Formen genügen. Für Waldinventuren oder Monitoringzwecke empfehlen wir, entweder die 15 Gruppen oder die 47 Typen zu verwenden.

Im Taschenführer der Baummikrohabitate (PDF) sind die 47 definierten Mikrohabitat-Typen systematisch beschrieben. Er enthält auch empfohlene Schwellenwerte für Feldaufnahmen oder Inventare sowie Informationen über Häufigkeit und Entstehungsgeschwindigkeit jedes Baummikrohabitats (Beispiel in Abb. 4). 

Neben Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch ist der Taschenführer der Baummikrohabitate auch auf Spanisch, Katalanisch und Holländisch erhältlich (PDF).

Field guide to Northern Tree-related microhabitats

Im Feldführer Field guide to Northern Tree-related microhabitats (PDF) werden 52 Baummikrohabitate beschrieben: 47 wie oben sowie fünf weitere, die speziell in borealen und hemiborealen Wäldern vorkommen. Der boreale Wald (oder Taiga) ist das größte Landbiom der Welt und liegt in den hohen nördlichen Breiten zwischen etwa 50° und 70°, wo sechs bis acht Monate im Jahr eisige Temperaturen herrschen.

Kurzfilme zu den Baummikrohabitaten

Folgende Kurzfilme (französisch, deutsche Untertitel) über die 47 verschiedenen Baummikrohabitat-Typen sind das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, dem Institut national de recherche pour l’agriculture, l’alimentation et l’environnement (INRAE) und dem Centre national de la propriété forestière (CNPF) in Frankreich. Die einzelnen Beiträge können rechts oben im Video ausgewählt werden [☰].

 

Literatur

Weitere Verweise zur im Text verwendeten Literatur befinden sich im Originalartikel (PDF) sowie im WSL-Merkblatt für die Praxis Habitatbäume kennen, schützen und fördern. Der Taschenführer ist eine Beilage zum Merkblatt.

  • Bütler, R.; Lachat,T.; Krumm, F.; Kraus, D.; Larrieu, L., 2020: Habitatbäume kennen, schützen und fördern. Merkbl. Prax. 64. 12 S. Download PDF
  • Bütler, R.; Lachat, T.; Krumm, F.; Kraus, D.; Larrieu, L., 2020: Taschenführer der Baummikrohabitate – Beschreibung und Schwellenwerte für Feldaufnahmen. Birmensdorf, Eidg. Forschungsanstalt WSL. 59 S. Download PDF

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